Die deutsche EU-Präsidentschaft - Eine Bilanz aus Prag
Ein halbes Jahr lang bildete sie den Hauptschwerpunkt der deutschen Außenpolitik, am Samstag ist sie nun offiziell zu Ende gegangen: die deutsche Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union. Konnte Berlin in den letzten sechs Monaten seine selbst gesteckten Ziele umsetzen? Und welche Haltung nahm Tschechien, ein Land, dem viele einen ausgeprägten Hang zur EU-Skepsis nachsagen, gegenüber der deutschen Vorsitzführung ein? Gerald Schubert hat sich mit Helmut Elfenkämper unterhalten, dem deutschen Botschafter in Prag.
Herr Botschafter, vor ungefähr einem halben Jahr haben wir uns über die damals gerade beginnende deutsche EU-Präsidentschaft unterhalten. Jetzt ist sie vorbei. Vielleicht können wir zunächst einige Punkte dieser Präsidentschaft umreißen. Beginnen wir mit dem Klimaschutz, den Sie bei unserem letzten Gespräch als eine Priorität genannt haben. Wie zufrieden sind Sie damit? Was konnte die deutsche Präsidentschaft hier erreichen?
"Der Klimaschutz war natürlich ein ganz zentrales Thema unserer Präsidentschaft. Wir haben sowohl im EU-Rahmen mit den sehr ambitionierten Zielsetzungen der Europäischen Union, als auch dann später beim Hineintragen dieser Linie in den G8-Rahmen einiges erreicht. Das Erreichte muss natürlich noch in konkretes Handeln umgesetzt werden, die Ziele bei der CO2-Reduktion müssen noch auf die einzelnen Mitgliedstaaten verteilt werden. Aber ich glaube, wir haben zusammen mit unseren Partnern doch dazu beigetragen, dass sich die Einsicht in die Notwendigkeit, ernsthaft etwas für den Klimaschutz zu tun, durchgesetzt hat. Damit sind wir doch auf dem richtigen Weg."
Ungefähr um die Mitte der deutschen Präsidentschaft gab es einen großen Gipfel in Berlin. Von ähnlichen Gipfeln dieser Art hat er sich dadurch unterschieden, dass auch ein Geburtstag zu feiern war: 50 Jahre Europäische Union, wenn man so will, oder konkret 50 Jahre Römische Verträge. Dazu wurde eine Berliner Erklärung beschlossen. Wie würden Sie diese Erklärung aus heutiger Sicht beurteilen? Ist sie mehr als bloß eine Festschrift? Wurde in ihr eine Richtung vorgegeben, die sich in der zweiten Hälfte der deutschen Präsidentschaft noch niedergeschlagen hat?
"Wir wollten den 50. Jahrestag der Unterschrift unter die Römischen Verträge dazu nutzen, dass sich die Europäische Union in der Stimmung, die durch die Ablehnung des Europäischen Verfassungsvertrages im Frühjahr 2005 entstanden war, neu auf sich selbst besinnt. Und ich glaube, das haben wir erreicht. Das Ergebnis war ja schließlich eine Festlegung der 27 Mitglieder darauf, dass man versucht, die EU auf eine neue institutionelle Grundlage zu stellen. Und zwar mit einem Zeitrahmen bis Ende 2008 - also noch vor der nächsten Wahl zum Europaparlament, und damit auch die nächste Kommission nach Möglichkeit bereits unter diesem Rahmen antreten kann. Das konnten wir in dem Mandat für den neuen Reformvertrag, der an die Stelle des Europäischen Verfassungsvertrages treten wird, schließlich umsetzen. Insofern hat die Konferenz von Berlin mehr gebracht als nur ein feierliches Gedenken an die Vergangenheit."Mir persönlich fällt auf, dass die Interpretation dessen, was vor einigen Tagen in Brüssel beschlossen wurde, doch recht vielfältig ist. Sehr oft geht es dabei um Symbole: Die europäische Hymne ist im neuen Vertrag nicht mehr drinnen, die europäische Flagge ist nicht mehr drinnen, es wird einen europäischen Außenminister geben, aber der soll nicht so heißen. Ist es aber so, dass der Großteil der Verfassung eigentlich in den neuen Vertrag gerettet werden konnte?
"Man muss schon sehen, dass die Idee, der Europäischen Union eine Verfassung im engeren Sinne zu geben, nicht durchgesetzt werden konnte. Wir haben aber eine ganze Reihe wichtiger, substanzieller Fragen erhalten können, die unserer Meinung nach die Fähigkeit der Europäischen Union zur Beschlussfassung in ihrem Inneren und in ihrer Arbeit nach außen hin doch stärken werden. Der schon von Ihnen genannte Hohe Beauftragte für die Außenpolitik, der nicht Außenminister heißt, der aber von einem außenpolitischen Fachstab unterstützt werden wird, und auch die Tatsache, dass es nach dem künftigen Vertrag einen Vorsitzenden des Europäischen Rates geben wird, einen Präsidenten, dessen Amtsperiode zweieinhalb Jahre dauern wird und um weitere zweieinhalb Jahre verlängert werden kann - das wird beides Kontinuität in die Arbeit hineinbringen. Wir haben auch den im alten Verfassungsvertrag vorgesehenen Bereich der Ausdehnung von Mehrheitsentscheidungen beibehalten können. Das sind alles ganz wichtige Schritte, um die Europäische Union, die natürlich mit dem Anwachsen auf 27 Mitglieder immer schwerer zu steuern war, doch wieder handlungsfähiger zu machen. Ich glaube, die Auswirkungen dieses Schrittes werden sich zeigen, wenn der neue Vertrag einmal in Kraft sein wird."
Wir sitzen hier in Prag, Sie sind deutscher Botschafter in Tschechien. Als solcher hatten Sie natürlich auch die Gelegenheit, täglich die Haltung der Tschechen gegenüber der Europäischen Union zu studieren. Gab es da innerhalb dieses halben Jahres Entwicklungen?"Ja sicher, da hat es sehr bedeutsame Entwicklungen gegeben. Wir müssen uns daran erinnern, dass die tschechische Regierung, die jetzt amtiert, ja erst Mitte Januar, also nachdem unsere Präsidentschaft angefangen hatte, vom Parlament bestätigt wurde. Was europapolitische Fragen angeht, ist sie eine sehr uneinheitlich zusammengesetzte Regierung. Die Auffassungen zu bestimmten europapolitischen Fragen differieren zwischen der größten Koalitionspartei ODS (Bürgerdemokraten, Anm.) einerseits und den Christdemokraten und Grünen andererseits. Die beiden letzten Parteien hätten ja auch den alten Verfassungsvertrag ohne weiteres mittragen können. Wir konnten beobachten, wie sich die interne Willensbildung dieser Regierung gestaltet hat. Ende April hat sie doch akzeptiert, dass wir vom alten Verfassungsvertrag ausgehen als einer Verhandlungsbasis für einen künftigen Vertrag. Nicht zuletzt mit Rücksicht auf ihre eigene Präsidentschaft, die in der ersten Jahreshälfte 2009 ansteht, hat die Regierung auch zugestimmt, dass das Zieldatum für den Abschluss dieses neuen Anlaufs für eine neue institutionelle Grundlage Ende 2008 sein wird. Das waren doch wesentliche Entwicklungen. Auf der anderen Seite konnte die tschechische Regierung bestimmte Dinge nicht mittragen, etwa die von Ihnen genannten staatlichen Symbole - das war aber auch bei anderen Ländern so. Auch hat sie sich mit Erfolg dafür eingesetzt, die Kontrollrechte der nationalen Parlamente zu stärken und die Möglichkeit der Rückverlagerung von der europäischen Ebene auf die nationalstaatliche Ebene vorzusehen. Das alles sind Punkte, die diese Regierung eingebracht hat. Vor allem in der zweiten Phase unserer Präsidentschaft hat sie aber Bereitschaft zum Kompromiss gezeigt. Der zuständige Vizepremier Alexandr Vondra ist ja unmittelbar vor dem Abschlussgipfel noch in Warschau gewesen, um die polnischen Partner davon zu überzeugen, dass sie es nicht zu weit kommen lassen sollten bei dieser sehr harten Auseinandersetzung um die Frage des Abstimmungsverfahrens."
Sie sprechen in Tschechien nicht nur mit Politikern, sondern können sich auch ein Bild von der Meinung in der Presse und der Stimmung in der Bevölkerung machen. Was können Sie dazu sagen? Wie hat Ihrer Meinung nach etwa die tschechische Presse die deutsche EU-Präsidentschaft begleitet?
"Die tschechische Presse hat unsere Präsidentschaft mit sehr großem Interesse begleitet, und in vielen Punkten in einer - wie ich rückblickend finde - sehr konstruktiven Weise. Sie reflektiert dabei eine im Grunde meist konstruktive Einstellung auch der weiteren öffentlichen Meinung dieses Landes zur Europäischen Union, die sich ja auch in den Umfragen niederschlägt. Es hätte auch zum Europäischen Verfassungsvertrag, der nun nicht zustande kommen wird, eine Mehrheit in der Bevölkerung gegeben. Daran hat sich im Wesentlichen nichts geändert."