Vor 57 Jahren: Milada Horakova und die, die überlebt haben

Milada Horakova

Am Dienstag haben auf dem Vysehrader Friedhof Slavin in Prag ehemalige Mitkämpfer und Vertreter verschiedenster Institutionen einer Frau gedacht, die vor 57 Jahren vom kommunistischen Regime hingerichtet wurde. Milada Horakova - tschechoslowakische Menschenrechtlerin und Widerstandskämpferin. Christian Rühmkorf hat die Gedenkfeier besucht und auch mit Überlebenden des kommunistischen Terrors gesprochen

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"Die Glocken der sind verklungen. Sie rufen uns auf zu tiefem Gedenken an die große Frau dieser Nation, Doktor Milada Horakova. So geschieht es immer am Vorabend des traurigen Tages, des 27. Juni, als im Jahre 1950 die kommunistischen Henker ihrem Leben ein Ende gesetzt haben. Es war keine Hinrichtung, sondern ein zielgerichteter politischer Mord. Vergessen wir das nie!", sagt der 80-jährige Frantisek Sedivy, der wegen antikommunistischer Tätigkeiten zeitgleich zu 20 Jahren Haft verurteilt worden war.

Milada Horakova - eine Politikerin und Kämpferin für Menschenrechte, eine Frau, die nicht nur im Nationalsozialismus aktiv gegen die Unterdrückung gekämpft hat und dafür jahrelang im KZ Theresienstadt war und im Gefängnis eingesperrt war. Sie stand auch im Kommunismus für Pluralismus und eine freie Gesellschaft ein. In einem Schauprozess wurde ihr dafür "antisowjetische Konspiration", Hochverrat, Spionage und umstürzlerisches Verhalten vorgeworfen. Zusammen mit drei anderen Regimekritikern wurde sie zum Tode verurteilt und am 27. Juni 1950 hingerichtet. Daran zu erinnern, trafen sich am Dienstag neben Vertretern aus Politik und Gesellschaft die noch lebenden Opfer des Kommunistischen Regimes selbst. Die meisten von ihnen sind organisiert in der Konföderation der politischen Gefangenen. An die vielen Opfer des kommunistischen Terrors erinnerte in seiner Ansprache auch der über 85-jährige Josef Lesak, der zusammen mit Milada Horakova in der Tschechischen Nationalversammlung saß - bis 1948, dem Jahr der kommunistischen Machtübernahme:

Frantisek Sedivy  (Foto: Autor)
"Es waren schrecklich viele Tote. Allein im Prozess um Milada Horakova wurden 13 weitere Personen verurteilt. Vier von ihnen zum Strick. 48 weitere bekamen lebenslängliche Haftstrafen. Und die übrigen 581 Angeklagten wurden insgesamt zu 7850 Jahren Kerker verurteilt. Das sind 13,5 Jahre pro Person. Das war eine Folter am tschechoslowakischen Gedanken. Das war ein Unglück im Jahre 1938 und es war ein Unglück im Jahre 1948."

Frantisek Sedivy, einer der noch lebenden Zeitgenossen von Milada Horakova, erzählt, wie er aufgewachsen ist und warum er in den antikommunistischen Widerstand gegangen ist:

"Wir waren den Ideen des ersten Präsidenten Tomas Garrigue Masaryk treu. Und wir waren der tschechischen Heimat treu. Wir waren in der Zeit der Ersten Republik als Patrioten erzogen worden. Wir haben auch den Krieg und die Zeit nach dem Krieg erlebt."

Obwohl Frantisek Sedivy und seine Altersgenossen noch nicht erwachsen waren, so waren sie doch reifer als die Kinder und Jugendlichen in ihrem Alter heute. - Ein Grund, weshalb er und seine Kommilitonen sich mit 22 Jahren gegen den erneuten Verlust der Freiheit in der kommunistischen Zeit gewehrt haben. Milada Horakova war für Frantisek Sedivy und seine Kommilitonen ein Beispiel. Seine Gruppe wurde mit einigen anderen im selben Prozess angeklagt, in dem auch Milada Horakova zum Tode verurteilt wurde.

"Ich wurde im Jahre 1952 eingesperrt, weil ich an der Spitze einer Studentengruppe stand, die sich zum einen die Unerstützung der antikommunistischen Bewegung zum Ziel gesetzt hat. Zum anderen wollten wir uns auf alles, was uns in Zukunft erwartete, vorbereiten. Das heißt auf ein normales Leben, wie wir es früher gelebt haben und auch für die Zukunft wollten. Und das, was die Kommunisten vorbereiteten, das war etwas anderes. Damit waren wir nicht zufrieden und wir waren alle dagegen."

Es folgten für Frantisek Sedivy lange Jahre im Gefängnis.

"Ich wurde erst im Jahre 1964 entlassen, nach 12 Jahren, die ich im Gefängnis verbracht hatte."

Aber auch heute, 43 Jahre danach, sind noch nicht alle Fragen und Probleme im Zusammenhang mit den politischen Gefangenen von einst gelöst, wie Frantisek Sedivy meint:

"Was Rehabilitation und Entschädigung betrifft ist meiner Meinung nach nicht alles in Ordnung."

Obwohl die Konföderation der politischen Gefangenen bisher viel erreicht hat, so Sedivy, gibt es trotzdem noch einige Versäumnisse. Vor allem was die Frauen der ermordeten politischen Gefangenen betrifft:

Josef Lesak  (Foto: Autor)
"Es wurden 238 Menschen hingerichtet. Aber das waren nicht alles politische Häftlinge. Und dann mussten wir zuerst feststellen, wer die Leute wirklich waren und welche Witwen noch leben. Aber die Witwen haben keine Entschädigung bekommen. Es wurde nämlich nach den Jahren oder nach den Monaten gerechnet, die jemand im Gefängnis war. Und die, die hingerichtet wurden, waren da vielleicht nur ein bis fünf Monate oder wurden sofort zu Hause erschossen. Das passt nicht zusammen. Die Frauen hatten damals, obwohl sie oft in Armut gelebt haben, keinen Anspruch auf Entschädigung. Das waren über 200 Menschen und im Gesetz hatte man das nicht berücksichtigt."

Entschädigung für die Hinterbliebenen - das will die Konföderation der politischen Gefangen noch erreichen. Und noch ein kleiner Fehler im Gesetz fällt Frantisek Sedivy ein. Aber bevor er es sagt, winkt er schon mit der Hand ab:

"Das war alles so formal gemacht. Wir haben zum Beispiel zehn, zwölf, vierzehn Jahre keinen Urlaub gehabt. Und für diesen Urlaub muss jeder Arbeitgeber normalerweise etwas bezahlen. Aber ich habe mir gesagt: Ich bin schon 80 Jahre alt und wozu brauche ich so viel Geld?!"

Welche Botschaft würde Frantisek Sedivy den Studenten von heute mit auf den Weg geben?

"Die Studenten müssen sich bemühen zu erfahren, was der Kommunismus wirklich war. Denn es gibt immer noch Gedankengut, das alte Kommunisten und andere noch verbreiten und das den jungen Leuten gut erscheint - für sie selbst und für andere. Aber es ist nicht so."

Ein anderer alter Herr, ein ehemaliger politischer Gefangener, der anonym bleiben möchte, ist bis heute von Misstrauen geprägt. Zwei Mal hat er die Tschechoslowakei über die Berge Richtung Deutschland verlassen hat - 1948 und 1968. Erst 1992 ist er in sein Heimatland zurückgekehrt. Auch der Samtenen Revolution hat er nicht getraut und immer noch einen kommunistischen Putsch befürchtet. Bis heute.

"Es sind immer noch - immer noch überall, wo sie hinkommen, die Bolschewiken an der Macht. Niemand anderer! Von 1992 bis 2007 hab ich die "Ohren uff", wie die Frankfurter sagen, die Ohren gespitzt!"