Vollgras voraus - Zehn Jahre Hanfparade in Prag
"Legalize it", hieß es am Wochenende in Prag. Unter dem Zeichen des vielgezackten Hanfblattes trafen sich mehrere tausend Marihuana-Anhänger, um beim zehnten Prager "Million Marihuana March" für die gesetzliche Freigabe ihrer Lieblingspflanze zu demonstrieren. Ziel des Marsches war das Letna-Plateau. Dort haben dann nicht nur die Wiesen nach Gras geduftet.
"Der Million Marihuana March ist eine Demonstration für die Legalisierung von Marihuana. Ziel ist, eine Änderung der Gesetze zu erreichen, die den Genuss von Marihuana verbieten beziehungsweise stark einschränken, sei es zum Spaß oder für medizinische Zwecke. Im Laufe der Zeit hat sich aus der Demo ein Musikhappening entwickelt. Jetzt haben wir hier vier Bühnen mit Bands und DJs. Alle treten umsonst auf, um damit die Legalisierung von Marihuana zu unterstützen."
Wie in den meisten Ländern der EU ist auch in Tschechien der Anbau und Besitz von Cannabis verboten. Die Realität sieht aber anders aus. Statistiken zufolge gehört Tschechien im Marihuana-Konsum zur europäischen Spitze. Jeder fünfte Tscheche hat schon einmal gekifft, und wer es tut, der macht sich meist nicht einmal die Mühe, das sonderlich geheim zu halten."Ausländer, die nach Tschechien kommen, wundern sich meistens, wie offen die Leute hier mit Marihuana umgehen. Hier wird überall ganz offen gekifft - in Kneipen, in Klubs, auf der Straße - das ist ganz normal. Faktisch gesehen ist Kiffen in Tschechien legal, nur das Gesetz reflektiert das nicht."
So David Cermak von der Bürgervereinigung für die Legalisierung von Cannabis, die eine Neubewertung von Hasch und Marihuana gemäß der tatsächlichen Schädlichkeit für Gesundheit und Gesellschaft erreichen will. Inzwischen gibt es sogar Unterstützung aus der Politik. Im letzten Jahr hat sich der damalige Justizminister Pavel Nemec in ein Hanf-T-Shirt gezwängt, um für seine kollabierende Freiheitsunion (US-DEU) im Wahlkampf auf dem Marihuana March populistisch auf Stimmfang zu gehen - eine Peinlichkeit für alle Seiten. Mittlerweile gibt es aus den Reihen der Grünen aber auch ernstere Stimmen, die eine Neubewertung von Marihuana fordern. Die jungen Leute auf dem Letna haben jedenfalls keine Zweifel, was der richtige Weg ist:
"Marihuana rauchen so viele Leute, dass es keinen Sinn macht, das zu verbieten. Es würde reichen, so etwas wie die holländischen Coffee Shops einzuführen, wo Kiffen erlaubt ist, dann gäbe es überhaupt keine Probleme", meint dieser junge Mann und träumt schon von der Freigabe des Cannabis-Anbaus und seiner goldenen Zeit als Hobbygärtner:"Das würde ich im Garten und überall züchten - hier auf dem Letna würde ich mir ein Feld anlegen! Aber vor allem darf man nicht vergessen, dass man Hanf auch anders verwenden kann - als Treibstoff, für Kleidung, für alles Mögliche - man kann es sogar essen!"
Auch wenn auf dem Letna niemand wirkt, als würde er aus seinen Gras-Vorräten gerne Biodiesel für Papis Auto destillieren: Der vielseitige Nutzen der Hanfpflanze ist für die Legalisierungsbefürworter ein wichtiges Argument. Organisator David Cermak unterstreicht vor allem den medizinischen Wert:
"In Tschechien hat sich in den letzten Jahren die pharmazeutische Anwendung von Marihuana stark entwickelt. Leute stellen daraus Salben oder Tees her. Marihuana hilft, die Symptome von verschiedenen Krankheiten zu lindern, etwa bei Parkinson. Und eine Marihuana-Salbe ist sehr gut für Wunden - es gibt nichts anderes, was zum Beispiel die Wunden von Ekzemen so schnell abheilen lässt."Dass Marihuana zumindest offiziell in Tschechien nach wie vor verboten ist, das konnte man am ersten Maiwochenende auf dem Prager Letna schon einmal vergessen - die meisten Anwesenden haben ganz praktisch für ihren Hanftabak Partei ergriffen. Kein Problem für Organisator Cermak:
"Wir sind hier auf einer Demo für die Legalisierung von Marihuana - klar, dass sich die Leute da auch mal einen Joint drehen. Das Kiffen ist hier so verbreitet, dass die Leute inzwischen auch gelernt haben, einen Joint zu genießen. Dazu gehört natürlich auch die Aufklärung - zu wissen, welche Risiken das mit sich bringt. Und genau darum sollte es gehen, und nicht um Repression."
Aufklärung spielte bei dem Hanf-Happening verständlicherweise kaum eine Rolle. Dabei ist es keine Frage: Gesund ist Marihuana allenfalls als Heilsalbe. Auch wenn nach Meinung von Experten Cannabis die Gesundheit im Allgemeinen weniger belastet als Tabak, kann bei entsprechenden Voraussetzungen Kiffen sogar zur Schizophrenie führen. Gewöhnlichere Begleiterscheinungen sind Lethargie und Motivationsverlust - dass übermäßige Cannabisbenebelung keine klaren freien Menschen formt, das war auch bei der Prager Hanfparade zu beobachten.Das Auge des Gesetzes war zum Million Marihuana March trotzdem noch fester zugedrückt als sonst. Zwar war der Letna von Einsatzwagen der Polizei gerahmt, aber die Ordnungshüter haben nur die Fußballfans im benachbarten Sparta-Stadion im Zaum gehalten. David Cermak von der Bürgervereinigung für die Legalisierung von Cannabis hat in den letzten Jahren nur gute Erfahrungen mit der Polizei:
"Die Aktion ist angemeldet, hier gibt es keine Probleme. Die Polizei verhält sich so, wie sie soll und bleibt im Hintergrund, so lange es keine Probleme gibt. Vor zehn Jahren, als wir mit dem Million Marihuana March begonnen haben, da war das ganz anders: Wir wurden praktisch als Kriminelle behandelt, uns wurde vorgeworfen, dass wir Drogen verbreiten, aber inzwischen ist so weit, dass wir weder mit der Polizei noch mit sonst irgendwem Probleme haben."Dass man sich mit einem Joint in Prag nicht verstecken muss, das bestätigt auch dieser Teilnehmer der Hanfparade.
"Die Polizisten sind meist in Ordnung und machen keine großen Probleme. Entweder gibt's eine Verwarnung oder eine kleine Strafe - größeren Ärger habe ich noch nicht erlebt."
Wie es scheint, ist die Sache für die Bürgervereinigung für die Legalisierung von Cannabis fast schon gewonnen. Wie wird David Cermak das feiern? Mit einem extra-großen Joint?
"Ich muss sagen, dass ich selbst schon seit zwei Jahren nicht mehr kiffe. Mir hat das nicht gut getan, deshalb habe ich es gelassen."