"Weiße Krankheit" auch heute noch aktuell
Vor 70 Jahren hat die Kulturszene der damaligen Tschechoslowakei ein außerordentliches Ereignis erlebt. An diesem Tag wurde das seinerzeit höchst aktuelle Theaterstück "Bila nemoc" (Die Weiße Krankheit) von Karel Capek uraufgeführt. Und das gleich doppelt, denn am Abend des 29. Januar 1937 wurde es parallel voneinander in zwei renommierten Theaterhäusern des Landes gespielt: im Prager Ständetheater und im Landestheater in Brno / Brünn.
Im Verlauf der 30er Jahre des vorigen Jahrhunderts zogen sich die Wolken über Europa immer finsterer zusammen. Der Faschismus hatte unaufhaltsam Fuß gefasst. Nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Spanien hatten viele Menschen schon geahnt, worauf die gesellschaftspolitische Entwicklung in Europa hinsteuert. Der tschechische Schriftsteller und Dramatiker Karel Capek hat das aktuelle Zeitgeschehen höchst sensibel wahrgenommen. In der düsteren Atmosphäre entstand sein Antikriegsdrama "Bila nemoc".
Darin stehen sich zwei höchst unterschiedliche Charaktere gegenüber: Der Diktator, der das Volk mit seinen demagogischen Reden mit dem Virus der Massenpsychose - der Weißen Krankheit - ansteckt, und Dr. Galen, ein Arzt, der sich des Wertes des menschlichen Lebens bewusst ist und die "weiße Krankheit" heilen kann. Der Diktator bestellt den Arzt zu sich, nachdem sich sein bester Freund, ein Rüstungsmagnat, mit der Krankheit angesteckt hat. Er fordert Dr. Galen auf, seinen Freund zu retten. Der Arzt will es aber nur unter einer Bedingung tun: Die Rüstungsproduktion soll eingestellt werden. Der Diktator lehnt ab.
Im selben Jahr wurde Capeks Stück auch verfilmt, die Premiere fand am 12. Dezember 1937 in Prag statt. Die Hauptrollen wurden mit denselben Schauspielern besetzt, die in der Prager Inszenierung auftraten. Den Diktator spielte Hugo Haas, der auch Regie führte. Wegen seiner jüdischen Abstammung musste er bald aus dem Land fliehen.
Das tragische Ende von Capeks Stück hatte die Entwicklung in Europa bereits vorgezeichnet. Der Diktator will auf Galens Bedingungen erst eingehen, als er selbst die "weiße Krankheit" hat. Der Arzt will ihm seine Arznei bringen, er wird aber auf der Straße von einer fanatischen, dem Krieg huldigenden Menschenmasse zu Tode getrampelt. Das Stück wurde nach dem Krieg landesweit auf mehreren tschechischen Bühnen aufgeführt. Eine Zeitlang gehörte es auch zum Repertoire des Prager Nationaltheaters. Den Chef des Schauspielhauses im Prager Nationaltheater, Michal Docekal, baten wir um eine kurze Einschätzung des Dramas:
"Es war bestimmt ein kontroverses Stück, und so war auch die damalige Zeit. Capek schuf damit ein höchst aktuelles Werk, das sehr direkt politische und gesellschaftliche Themen anpeilte. In der kurzen Zeit bis zum Kriegsausbruch konnte das Stück noch auf einer Reihe europäischer Bühnen aufgeführt werden. Es ist ganz bestimmt auch heute noch ein relevantes Drama."