Tschechen auf Gastbesuch zu Hause

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Tschechen gibt es überall. Auch außerhalb Tschechiens. Dabei sind nicht alles Exilanten. Als solche bezeichnet man nur jene, die die Tschechoslowakei in der kommunistischen Zeit verlassen haben. Zu den so genannten Auslandstschechen gehören aber auch die Nachfahren tschechischer Auswanderer, die im 19. oder frühen 20. Jahrhundert ihre Heimat verlassen hatten. Andreas Wiedemann hat für unsere Sendereihe "Begegnungen" mit einigen Auslandstschechen gesprochen.

Im September trafen sich rund 200 Tschechen aus aller Welt zur Woche der Auslandstschechen in Prag. Fünf Tage lang nutzten sie die Gelegenheit, sich auszutauschen und über die Situation in den tschechischen Exil-Gemeinden ihrer jeweiligen Länder zu informieren. Die Lebensgeschichten der Teilnehmer und ihre Wege ins Ausland nehmen bei den Gesprächen besonders viel Raum ein.

"Ich stamme aus Prag, ich bin hier geboren und bin nun seit 38 Jahren in der Schweiz. Ziemlich genau zwei Monate nach der Okkupation durch die sowjetische Armee habe ich die Gelegenheit genutzt, als die Grenze offen war, bin ich legal ausgereist. Ich habe von der Schweizer Botschaft ein Visum für vier Tage erhalten und habe die Hoffnung gehabt, die Russen ziehen sich wieder zurück und ich bin nach zwei bis fünf Jahren wieder zurück in meiner Heimat. Und aus diesen fünf Jahren sind 38 Jahre geworden", erzählt Jaroslava Neffe aus der Schweiz.

Jan Nepomuk Hudek wohnt heute in Ludwigshafen. Auch er verließ die Tschechoslowakei während des Kommunismus.

"Ich bin nicht in Deutschland geboren, ich bin aber auch nicht geflüchtet, sondern legal aus der Tschechoslowakei ausgewandert und zwar 1964, als Ministerpräsident Antonin Novotny den Deutschen erlaubte, die in Westdeutschland lebenden direkten Verwandten zu besuchen. Da haben wir die Möglichkeit genutzt und gesagt, machs gut alte Heimat und ihr alten Kommunisten!"

Jan Nepomuk Hudek konnte ausreisen, weil seine Frau einen deutschen Vater hatte, der nach der Kriegsgefangenschaft in Jugoslawien in die Bundesrepublik gegangen war. Die Umstände des Weggehens unterscheiden sich in vielfältiger Art und Weise. Gemeinsam war aber allen, dass sie sich in einer neuen und fremden Umgebung einleben mussten. Schweißt das gemeinsame Erlebnis die Tschechen im Ausland zusammen? Oldrich Cupr verließ die Tschechoslowakei nach der Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahr 1968 in Richtung Schweiz. Dort arbeitet er für die tschechischsprachige Zeitschrift Zpravodaj (Der Bote). Laut Cupr gibt es das typische Leben im Exil nicht. Über die Tschechen in der Schweiz sagt er:

"Es gibt solche und solche. Es gibt viele Individualisten unter den Tschechen. Etwa ein Drittel organisiert sich in Vereinen. Die anderen nehmen zumindest unsere Zeitschrift in Anspruch, und lesen, was los ist und informieren sich, aber schließen sich sonst gerne ein und haben keine Zeit."

Jan Nepomuk Hudek aus Ludwigshafen sagt zum Organisationsgrad der Tschechen in Deutschland:

"Ich würde sagen, in Deutschland gibt es das weniger. Da leben die Tschechen ziemlich individuell. So wie ich das erfahren habe, ist eher jeder für sich. Wir sind praktisch Kämpfer im Busch."

Oldrich Cupr
Die Exilgemeinden der Tschechen hatten vor 1989 ein einigendes Band. Nämlich das gemeinsame Schicksal, die Heimat verlassen zu haben, und die Befürchtung, nie wieder zurückkehren zu können. Nach Ende des Kommunismus erlebten auch die Gemeinden der Auslandstschechen gewisse Veränderungen. Jaroslava Neffe berichtet über die Kontakte und über gemeinsame Aktivitäten der Tschechen in Schweiz:

"Das hat nach der Wende von 1989 ziemlich abgenommen, weil vor allem viele der älteren Leute bereits gestorben sind. Einige sind auch zurückgegangen. Die Gruppe der Leute, die damals ausgewandert sind, ist nicht mehr da und damit auch viel weniger Aktivitäten."

Neben Todesfällen und Abwanderungen gibt es aber auch noch einen anderen Grund für die Abnahme explizit tschechischer Aktivitäten im Ausland, nämlich die schrittweise Integration der Tschechen in die neuen Heimatländer.

"Ich habe mich auch sehr assimiliert in den Schweizer Kreisen. All die Jahre über hat es viele Aktivitäten gegeben und wir haben sehr viel organisiert, aber das hat abgenommen", sagt Jaroslava Neffe.

Für die Tschechen im Ausland ist die bedeutendste Veränderung nach der Wende von 1989 die Möglichkeit, das Herkunftsland wieder besuchen zu können. Auch ein organisiertes Treffen der Auslandstschechen wie es vom 17. bis zum 22. September in Prag stattgefunden hat, war vor 1989 nicht denkbar.

"Ich finde es tadellos, dass man heutzutage zu Hause so etwas organisieren kann. In der Zeit, als wir hierzulande als Exilanten abgeschrieben waren, war das nicht möglich. Und heutzutage ist das möglich", erläutert Oldrich Cupr, der sich in der Schweiz Cuper nennt, über das Treffen in Prag. Jaroslava Neffe erklärt, warum sie zu dem Treffen gekommen ist:

Festabend im Senat
"Es sind bei mir rein persönliche Interessen, wie der Gedankenaustausch mit anderen Auslandstschechen von anderen Kontinenten oder aus anderen Ländern."

Die Zusammenkunft in Prag diente aber nicht nur zum persönlichen Austausch. Die Auslandstschechen stellten auch politische Forderungen, wie die Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft in den Ländern, in denen sie heute leben. Da die Mehrheit der Tschechen, die bei dem Prager Treffen zugegen war, ihre Heimat während des Kommunismus verließ, sind einige von ihnen erbost über den wachsenden Einfluss der Kommunisten in der heutigen Tschechischen Republik. In einer Petition verurteilten sie vor allen Dingen die Wahl des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei (KSCM), Vojtech Filip, zum stellvertretenden Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses. Filip hatte für den kommunistischen Geheimdienst gearbeitet. Jan Nepomuk Hudek findet deutliche Worte über die Kommunisten in Tschechien:

"Obwohl es Demokratie heißt, sind die Menschen hier immer noch Sklaven der Kommunisten. Und sie sind nicht in der Lage, die Kommunistische Partei rauszuschmeißen und sie vor Gericht zu stellen. Die tschechischen Politiker taugen nichts", erbost sich Hudek.

Rut Kohn
Als die Woche der Auslandtschechen mit einem Festabend in den Räumen des tschechischen Senats beendet wurde, entstand der Eindruck, dass die Begegnung mit Tschechen aus anderen Ländern und der Besuch in der alten Heimat für viele doch der wichtigste Aspekt der gesamten Veranstaltung war. Rut Kohn, eine tschechische Künstlerin, die 1967 aus der Tschechoslowakei in die Bundesrepublik emigrierte, erhielt zusammen mit anderen Frauen eine Auszeichnung als bedeutende tschechische Frau in der Welt 2006. Die Anerkennung ihrer Arbeit in Tschechien und die Verleihung des Preises hat für Rut Kohn nach der langen Zeit im Exil deshalb eine ganze besondere Bedeutung:

"Das alles ist ein bisschen unerwartet und bringt mich fast zum Weinen. Mein Mann war politisch tätig und es gab nie die Hoffnung, dass wir einmal zurück nach Prag kommen dürfen und jetzt sind die Begegnungen hier immer schön aber auch manchmal schmerzlich. Das ist schwer in Worte zu fassen".