Nowawes – die frühere tschechische Kolonie nahe Potsdam

Nowawes (Foto: Klára Stejskalová)

Die Schlacht am Weißen Berg von 1620 hatte große Folgen für die Böhmischen Länder. Unter anderem kam es zu einer Fluchtbewegung. Viele Tausend Protestanten wanderten aus. Sie suchten Zuflucht im benachbarten Preußen. Nová ves (spätere Schreibweise: Nowawes) bei Potsdam wurde zu einem der Zentren der Flüchtlinge aus Böhmen. Heute ist diese frühere tschechische Kolonie ein Teil von Babelsberg.

Foto: Klára Stejskalová

Bis 1850 wurden noch Gottesdienste auf Tschechisch in der Friedrichskirche am Weberplatz in Babelsberg abgehalten. Heute hört man diese Sprache hier nur noch von den wenigen Touristen, die vorbeikommen. Wer sich aber auf die Suche begibt, der trifft in diesem Teil von Babelsberg auf viele Zeugnisse der Besiedlung durch die Flüchtlinge aus Böhmen in der Folge des Dreißigjährigen Krieges.

Foto: Klára Stejskalová

Rund um den Weberplatz stehen Häuser mit typisch tschechischer Architektur. Eines davon ist der Sitz des örtlichen Museums. Brigitte Schweiger, Mitarbeiterin des Museums, erläutert:

Foto: Klára Stejskalová

„Ab 1750 kamen Glaubensflüchtlinge aus Böhmen hierher. Die ersten 50 Familien erhielten solche Häuser wie dieses hier vom preußischen König geschenkt. Zudem waren sie von der Steuerlast befreit. Die Grundstücke zu den Häusern waren zwischen 1000 und 1200 Quadratmeter groß. Doch der Boden, den die Bauern an den König verkauft hatten, war minderwertig. Und so konnten sich die Flüchtlinge kaum aus ihrem eigenen Garten ernähren. Hauptsächlich Weber und Spinner siedelten sich hier an. Dazu kamen auch noch Handwerker, die für den Alten Fritz (Preußenkönig Friedrich II., Anm. d. Red.) nach dem Siebenjährigen Krieg in Schlesien ein neues Palais errichtet hatten. Sie lebten auch auf dieser Seite der Siedlung und gingen immer nach Potsdam zur Arbeit.“

Weberhaus im Originalzustand

Weberstuben-Museum  (Foto: Klára Stejskalová)

Das Weberstuben-Museum bietet einen Einblick in das Leben der damaligen Siedler. Das Haus ist im Originalzustand inklusive der Ausstattung im Inneren.

„Der Grundriss hatte immer fünf Achsen. Die Häuser waren für eine Familie gedacht, man konnte aber auch eine Hälfte des Hauses vermieten, wenn das Geld nicht reichte. Wir befinden uns in der Arbeits- und Wohnstube. Da hinten kann man in die Schlafstube der Eltern schauen, in der auch die kleineren Kinder waren. Die Familien hatten damals bis zu zehn Kinder. Die Küche da hinten, die nach der Rekonstruktion des Hauses als Toilette dient, liegt zwei Stufen höher. Denn unter der Küche war ein Kriechkeller zur Lagerung von Kartoffeln, Kraut, Möhren und Ähnlichem“, so Brigitte Schweiger bei einer Führung durch das kleine Haus.

Foto: Klára Stejskalová

Ein Webstuhl und alte Fotos, die das Leben in der ehemaligen Siedlung zeigen, ergänzen das Bild. Auf den Fotos ist auch zu sehen, wie 1928 der S-Bahnhof Nowawes auf der Strecke zwischen Berlin und Potsdam eröffnet wurde. Die kleine Stadt der tschechischen Siedler trug ihren Namen bis in die 1930er Jahre. In Neubabelsberg – Nowawes begann damals die Filmindustrie zu gedeihen. NS-Propagandaminister Joseph Goebbels besuchte häufiger die örtlichen Studios und stieß sich aber an dem slawischen Ortsnamen. Daher wurden die benachbarten Städte zu Babelsberg zusammengefügt. Seitdem weist nur noch der Name der Hauptstraße auf die ursprüngliche Besiedlung hin, sie heißt Alt Nowawes. Leben hier überhaupt noch Menschen mit tschechischen Wurzeln? Museumsmitarbeiterin Schweiger:

Brigitte Schweiger  (Foto: Klára Stejskalová)

„Wir konnten dies nicht mehr nachweisen. In Berlin-Neukölln, in Rixdorf, wohnen noch welche, das ist nachgewiesen. Aber bei uns hier Babelsberg leider nicht mehr. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen auch noch einmal Flüchtlinge hierher, die hauptsächlich aus Ostpreußen und Schlesien vertrieben wurden. Aber nach der Wende waren es die Leute aus den alten Bundesländern mit dicken Portemonnaies, die die Villen aufgekauft und restauriert haben. Sie wohnen jetzt hier.“

Denkmalgeschützte Lattenzäune

Foto: Klára Stejskalová

Wenn man also heute durch die ehemalige tschechische Kolonie geht, stößt man auf malerisch renovierte Häuser mit Holzläden. In einigen Fenstern hängen alte, traditionelle Häkelvorhänge.

Foto: Klára Stejskalová

„Das ist das alte Siedlungsgebiet mit den 210 Häusern, und 110 Baudenkmäler stehen hier noch. Sie wurden 1992 unter Denkmalschutz gestellt. Und dann kam die Restaurierung, sie wird Ende dieses Jahres abgeschlossen. Das heißt, die Straßen wurden renoviert. Die Bewohner der Häuser erhielten Zuschüsse für die Restaurierung. Die Auflage war, alles im alten Zustand zu erhalten und zu erneuern. Selbst die Lattenzäune hier stehen unter Denkmalschutz. Die Bauern aus der alten Siedlung, dem Dorf am Anger, verkauften ja ihr unfruchtbares Land. Allerdings mussten sie weiter an die hinteren Weiden kommen, deswegen haben sie sich breite Straßen ausbedungen. Auf diesen wurden die Tiere entlanggetrieben. Und weil die Tiere nicht nur auf den Wegen blieben, sondern auch in die Gärten gingen, haben sich die Siedler mit den Bretterzäunen ein bisschen geschützt. Und so erklärt sich auch, warum die Straßen hier so breit“, erzählt Brigitte Schweiger vom örtlichen Museum, das seit 1992 in Betrieb ist. Dank der dortigen Dauerausstellung ist die Geschichte der früheren tschechischen Weber und Handwerker noch immer präsent.“

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