Rudolf Sandalo: Zwielichtiger Agent oder begnadeter Architekturfotograf?

Rudolf Sandalo: Fernmeldehochhaus im Stadtbild

Rudolf Sandalo war eine rätselhafte Person. Von dem 1899 in Schlesien geborenen und später in Brno / Brünn aufgewachsenen Architekturfotografen existiert kein einziges Foto. Und über die letzten Lebensjahre in Frankfurt (Main) ist wenig bis nichts bekannt. Stattdessen gibt es aber Beweise, die belegen, dass der deutschsprachige Fotograf mit den Nationalsozialisten kollaboriert hat. Und einige Quellen legen sogar nahe, dass er nach dem Zweiten Weltkrieg in Westdeutschland als Spion für die Kommunisten tätig war. War Rudolf Sandalo also ein zwielichtiger Agent oder ein begnadeter Architekturfotograf?

Die Villa Tugendhat in Brünn oder die Gebäude des bedeutenden Architekten Bohuslav Fuchs – das sind nur einige der Bauwerke, die Rudolf Sandalo in seinem Leben als Fotograf ablichtete. Margret Baumann ist Journalistin und Kuratorin und gibt seit vielen Jahren ein Magazin für Kommunikationsgeschichte heraus. Bereits vor längerer Zeit stieß sie bei ihren Recherchen im Fotoarchiv des Museums für Kommunikation in Frankfurt auf Farbbilder von Rudolf Sandalo, der sich selbst „de Sandalo“ nannte. In den letzten Jahren kamen ihr die Aufnahmen wieder in den Sinn. Denn derzeit bereitet Baumann eine Ausstellung über das ehemalige Fernmeldehochaus in Frankfurt vor. Im Interview für Radio Prag International sagt sie:

Rudolf Sandalo: Westturm,  im Vordergrund Portal des Palais Thurn und Taxis | Quelle: Museumsstiftung Post und Telekommunikation

„Bei den Recherchen fielen mir diese Fotos wieder ein. Als ich sie in die Hand nahm, sah ich hinten einen Stempel darauf: ‚Atelier de Sandalo, Gravensteinstraße 2, Frankfurt‘. Ich habe mich also dorthin aufgemacht und festgestellt, dass dort ein neues Wohngebiet ist. Ein Fotoatelier fand sich dort nicht. Also blätterte ich in alten Telefonbüchern und stieß auf den Röderbergweg. Ich habe dort überall geklingelt und die Leute gefragt, ob sie diesen Namen kennen.“

Doch den kannte niemand. Aufschluss bot Baumann nur ein umfangreicher Ausstellungskatalog, der 2019 in Brünn erschien und Leben sowie Werk Sandalos vorstellt. Über die Frankfurter Zeit des Fotografen finden sich indes auch in dem Katalog nur wenige Informationen.

Von Brünn nach Prag – und dann zu Speer nach Berlin

Geboren wurde Rudolf Sandalo am 15. August 1899 in Bielsko-Biała in Schlesien im heutigen Polen. Später zog die deutschsprachige Familie nach Brünn, wo Rudolf Sandalo senior ein Fotoatelier betrieb.

„Der Sohn kam schon relativ jung in dieses Metier. Im Alter von Mitte 20 stieg er offiziell als Partner ein. 1931 machte er dann die mittlerweile fast legendären Fotos von der Villa Tugendhat.“

Gerade diese Fotos haben wohl auch dazu beigetragen, dass das von Ludwig Mies van der Rohe entworfene Haus weltberühmt wurde.

1932 starb Rudolf Sandalo senior. Der Sohn, der sich in der Zwischenzeit von seiner Frau scheiden ließ, übernahm das Atelier und entschied, es nach Prag zu verlegen. Das Studio „de Sandalo“ war dort unter anderem in der Jilská 4 angesiedelt, wo sich heute ein Touristen-Lokal befindet.

„Er hatte dort allem Anschein nach eine Wohnung mit einer Lebensgefährtin in der oberen Etage. Ein Lokal oder eine Art Bar muss es schon damals in dem Gebäude gegeben haben.“

Sandalo wohnte aber auch an weiteren Orten im Zentrum Prags, in der Klimentská und der Kaprova, sowie zeitweise im Stadtteil Žižkov.

„Er ist wirklich relativ häufig umgezogen. Es gibt zudem Fotos aus dem Jahr 1942 von ihm, die mit ‚Wilmersdorf, Berlin‘ gestempelt sind.“

Rudolf Sandalo: Bundespostministerium in Bonn,  1954 | Quelle: Museumsstiftung Post und Telekommunikation

Denn Anfang der 1940er Jahren war Sandalo zwischenzeitlich nach Berlin gegangen. Dort kollaborierte er auch mit den Nazis, so fotografierte er für Hitlers Hofarchitekt Albert Speer, der später in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilt wurde. Bereits zuvor, nach 1938, war Sandalo Mitglied der Abwehr geworden – also des Geheimdienstes der Wehrmacht. Den umfangreichen Recherchen von Jindřich Chatrný und Dagmar Černoušková zufolge war Sandalo ebenfalls Mitglied des Sicherheitsdienstes der NSDAP. War aber Rudolf Sandalo nun überzeugter Nationalsozialist? Margret Baumann zufolge lässt sich heute keine eindeutige Antwort mehr auf diese Frage geben:

„Er hat einmal die Villa dieser jüdischen Familie fotografiert. Aber er hat sich dann offensichtlich auch dubios im Kunsthandel betätigt, was ja in dieser Zeit durchaus meint, Dinge aus jüdischem Besitz zu veräußern. Er hat sich mit den Besatzern gemein gemacht und so seinen Lebensunterhalt verdient.“

Dubiose Freilassung aus dem Gefangenenlager

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Sandalo in Prag von den Sowjets gefangen genommen und in ein Lager in Gliwice gesteckt.

„Dubioserweise ist er schnell wieder freigekommen. Und dann gibt es einige Jahre, die im Dunkeln geblieben sind.“

Zu der mysteriösen Freilassung kommt noch die Auffälligkeit hinzu, dass Sandalo im Rahmen der Entnazifizierung erstaunlicherweise einen Persilschein bekam. Laut Baumann gibt es deshalb den Verdacht, dass Sandalo sich von nun an anderweitig im Geheimdienst betätigte.

„Er hatte eine Agentenkarte der Tschechoslowakei – was auch immer das meint. Es gibt keine Belege dafür, wo er tätig war und was er gemacht haben könnte. Aber man kann mit Sicherheit sagen: Zugang zu diesem Fernmeldegebäude in Frankfurt zu haben und dort Einblicke zu gewinnen, das wäre in den 1950er Jahren für den Osten von großem Interesse gewesen.“

Fernmeldehochhaus,  Querbau und Westturm,  im Vordergrund Palais Thurn und Taxis | Quelle: Museumsstiftung Post und Telekommunikation

Spionierte Sandalo in Frankfurt?

Das Fernmeldehochhaus war ein 17.000 Quadratmeter großer Gebäudekomplex – eines der ersten Hochhäuser in Frankfurt, das in Stahlskelettbauweise errichtet wurde, und einer der ersten Wolkenkratzer dort überhaupt. Im Inneren und auf dem Dach befand sich neueste Kommunikationstechnik, der Standort war ein Knotenpunkt des deutschen Fernmeldenetzes.

Sandalo war 1950 nach Frankfurt gezogen und dokumentierte die Bauarbeiten und das 1956 fertiggestellte Gebäude umfassend. Rund 40 Bilder sind heute noch erhalten. Ungeachtet dessen, ob die Aufnahmen womöglich für ausländische Nachrichtendienste dienten, sind die Bilder laut Baumann vor allem eines: gute Fotos.

Rudolf Sandalo: Westturm und Palais Thurn und Taxis | Quelle: Museumsstiftung Post und Telekommunikation

Sandalo fotografierte aber nicht nur den Frankfurter Bürokomplex, sondern etwa auch das 1954 fertiggestellte Bundespostministerium in Bonn und weitere repräsentative Bauten. Die Bedeutung all dieser Bilder liegt laut der Kuratorin heute vor allem darin, dass sie auf Farbfilm aufgenommen wurden. Und Baumann macht noch auf ein weiteres Detail aufmerksam:

„Er war ein Spezialist dafür, das Historische und das Neue in seinen Fotos zusammenzubringen. In Frankfurt wurde nach der Fertigstellung des Fernmeldehochhauses der historische Thurn-und-Taxis-Komplex wiedererrichtet. In seinen Bildern nimmt Sandalo beides in den Fokus: Die historische Bauweise eines Gebäudes, das ursprünglich im 18. Jahrhundert errichtet worden war, wird dem modernen Stahlkomplex gegenübergestellt. Er hatte ganz offensichtlich ein besonderes Talent dafür, diese Art von Architektur aufnehmen zu können.“

Es gibt kein Foto von Rudolf Sandalo

Die letzten Bilder, die Margret Baumann von Rudolf Sandalo auftreiben konnte, stammen aus den Jahren 1961 und 1962. Auch von 1965 existieren Fotos. Dann verliert sich die Spur aber. Bereits 1963, als Sandalo längst als Fotograf und Kunsthändler in Frankfurt lebte, wurde er von seiner Schwester und der Mutter gesucht. In dem Suchantrag heißt es, das letzte Lebenszeichen hätten sie aus dem Gefangenenlager in Gliwice erhalten.

Am 30. Dezember 1980 starb Sandalo in Frankfurt. Aber nicht nur, dass sich an seinen ehemaligen Wohnstätten niemand mehr an ihn erinnern kann. Baumann fragte auch Frankfurter Architekten und Fotografen, ob sie etwas über den Mann wüssten. Doch hier ebenso Fehlanzeige: Einen Rudolf Sandalo will heute niemand mehr kennen. Zudem ist sein Grab mittlerweile nicht mehr erhalten.

Kantine Fernmeldehochhaus | Quelle: Museumsstiftung Post und Telekommunikation

„Ich habe das Grünflächenamt angeschrieben und mich nach einer Grabstätte erkundigt. Aber es gibt keine mehr.“

Noch mysteriöser wird Sandalo durch einen weiteren Umstand, wie Baumann ausführt: Es gibt nämlich kein einziges Foto von ihm.

„Er hat unzählige Fotos gemacht, und sein Vater hat zahllose Menschen porträtiert. Aber von Rudolf Sandalo selbst gibt es kein einziges Bild.“

Was also von Rudolf Sandalo bleibt, sind die Fotos, die er selbst schoss. Seine Bilder werden demnächst neben etlichen weiteren Fotografien und Dokumenten in der Ausstellung über das Fernmeldehochaus im Museum für Kommunikation Frankfurt gezeigt. Wie steht Margret Baumann dazu, diese Bilder auszustellen, wo doch Sandalos Leben keinesfalls unproblematisch war?

„Ich glaube, dass es in jedem Fall wert ist, diese Fotos zu zeigen – selbst wenn er eine etwas vielschichtige Persönlichkeit war. Ich würde sagen: Wenn man das in einer Ausstellung kontextualisiert und diese problematischen Aspekte thematisiert, dann kann man das machen.“

Fernmeldehochhaus Modell | Foto: Museumsstiftung Post und Telekommunikation

Die Ausstellung über das 2005 abgerissene Fernmeldehochhaus wird am 14. November im Museum für Kommunikation in Frankfurt eröffnet. Sie ist bis zum 9. März kommenden Jahres zu sehen.

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