Theresa Clauberg: „Ich mache, was in dem Moment am wichtigsten ist“

Theresa Clauberg

Theresa Clauberg stammt aus einer tschechisch-deutschen Familie und lebt momentan in Wien. Sie führt ein Leben zwischen Musik und Sprachen. Radio Prag International hat sich mit ihr in einer ruhigen, sonnigen Wohnung im Prager Stadtzentrum getroffen: Die Künstlerin hat diese einen Monat lang im Rahmen einer Übersetzerresidenz bewohnt.

Frau Clauberg, wir treffen uns in Prag, kurz vor dem Abschluss Ihres einmonatigen Aufenthalts hier. Was hat Sie in diese Stadt geführt?

„Ich bin dank des Residenzaufenthaltes des Tschechischen Literaturzentrums nach Prag gekommen. Diese Institution gibt jungen Übersetzerinnen und Übersetzern einen Monat Zeit entweder in Prag oder in Brno in einer Residenzwohnung zu arbeiten. Ich habe mich einfach beworben und wurde ausgesucht. Natürlich habe ich mich sehr gefreut über diese Möglichkeit.“

Aufwachen in Shibuya | Foto: Verlag KLAK

Sie haben vor zwei Jahren, also 2019, den Susanna-Roth-Wettbewerb für junge Übersetzer im deutschsprachigen Gebiet gewonnen. Haben Sie aufgrund dieses Erfolgs dieses Residenzstipendium bekommen?

„Ich glaube, das hat sicher eine Rolle gespielt. Es ist ja quasi im Interesse aller, dass die Menschen, die an diesem Anfängerwettbewerb teilnehmen, dann auch die nächsten Schritte gehen können. Ich weiß natürlich nicht, wie die Jury ihre Entscheidungen fällt. Aber ich glaube, dass dies eine Rolle gespielt hat.“

Mit welchem Text haben Sie damals gewonnen?

„Das war das Buch ‚Probudím se na Šibuji‘ (auf Deutsch: Aufwachen in Shibuya, Anm. d. Red.) von Anna Cima, das von einer Jury vorgegeben wurde. Es galt damals, einen Abschnitt daraus zu übersetzen  und nicht das ganze Buch natürlich.“

„Ich habe für diesen Aufenthalt ein Kinderbuch von Ivona Březinová ausgesucht. Dies ist das allererste Buch, das ich tatsächlich von vorne bis hinten übersetze.“

Haben Sie sich für den Aufenthalt in Prag mit einem konkreten Text beworben?

"Ich habe für diesen Aufenthalt ein Kinderbuch von Ivona Březinová ausgesucht. Auf Tschechisch heißt es ‚Řvi potichu, brácho‘ (auf Deutsch: Schrei mal leise, Bruder, Anm. d. Red.). Ich wollte gerne mit einem Kinderbuch anfangen. Dies ist das allererste Buch, das ich tatsächlich von vorne bis hinten übersetze.

Wie weit sind Sie während der Residenz in Prag vorangekommen?

„Mein Plan war, das ganze Buch zu übersetzen, von Kapitel eins bis zum Schluss. Unterwegs sah es so aus, als würde es nicht klappen, weil es zu viel ist. Vorgestern ist es mir aber gelungen, die letzte Seite zu übersetzen. Meinen Plan habe ich also erfüllt. Aber jetzt  folgt natürlich die Arbeit mit dem Lektorieren und  Reflektieren. Das braucht noch ein bisschen Zeit.“

Řvi potichu,  brácho | Foto: Verlag Albatros,  Pasparta

Arbeiten Sie mit einem Verlag zusammen? Wird das Buch erscheinen können?

„Ich hoffe schon. Ich habe noch keinen Verleger, und es wäre mein erstes Buch, das publiziert würde. Darum hoffe ich sehr, dass es klappt, und werde in den nächsten Wochen versuchen, dies zu realisieren.“

Als Übersetzerin müssen Sie sich in der tschechischen Literatur gut auskennen. Lesen Sie tschechische Literatur?  Wer sind Ihre Lieblingsautoren?

„Ja, ich versuche natürlich, den Überblick zu haben, was in der tschechischen Literatur gerade passiert. Im Moment bin ich begeistert von den Büchern von Viktorie Hanišová. Vier ihrer Bücher habe ich gerade wirklich in einem Atemzug gelesen.“

Ist also die Gegenwartsliteratur für Sie am interessantesten?

„Ja, Ich habe als Kind viel gelesen und dachte, ein Kinderbuch sei ein guter Anfang.“

„Im Moment schon. Wir haben früher zu Hause auch viele Klassiker gelesen. A momentan entdecke ich lieber, was aktuell rauskommt.“

Wie hat ihr Aufenthalt in Prag ausgesehen? Haben Sie auch etwas anderes machen können, als nur im Arbeitszimmer zu sitzen und zu übersetzen? Wie haben Sie die Zeit verbracht?

„Wir befinden uns jetzt im Lockdown. Wahrscheinlich wäre es anders gewesen, wenn die Zeit nicht so wäre, wie sie ist. Ich habe aber trotzdem versucht, meine Zeit nicht nur mit Arbeit zu verbringen. Ich konnte viele Spaziergänge unternehmen und war sehr überrascht, wie leer die Innenstadt ist. Es war auf eine Weise schön, Prag auch einmal für sich zu haben. Ansonsten habe ich meine Geige dabei und übe, wenn ich nicht arbeite.“

Sie sprechen beide Sprachen perfekt. Das liegt an Ihren Familienwuzeln…

„Genau, ich bin zweisprachig in München aufgewachsen. Meine Mutter kommt aus Pilsen und mein Vater eben aus München. Zu Hause war Tschechisch die Muttersprache, später in der Schule dann natürlich Deutsch. Ich habe auch sechs Jahre in Pilsen gelebt, also meinen Schulabschluss letztlich in Tschechien gemacht.“

War es für Sie schwierig, das Land zu wechseln?

„Ich war sehr überrascht, wie leer die Innenstadt ist. Es war auf eine Weise schön, Prag auch einmal für sich zu haben.“

„Ja und nein. Ich kannte Tschechien natürlich gut, wir waren oft bei der Familie in Pilsen. Es war etwas schwierig, in eine neue Schule zu kommen. Ich war damals zwölf Jahre alt. Auch innerhalb Deutschlands wäre es nicht einfach gewesen, in ein neues Kollektiv zu kommen. Ich war ein Exot, weil mein Tschechisch damals nicht auf dem Niveau der Muttersprachler in der Schule war.“

Ist dann die ganze Familie zurück nach Deutschland gezogen? Oder war das schon Ihre eigene Entscheidung, das Studium in Deutschland weiterzuführen?

„Wir sind alle zurück nach Deutschland gezogen, später bin ich nach Österreich gegangen. Ich lebe jetzt in Wien, wo ich auch studiert habe.“

Sie haben Geige studiert…

„Genau. Ich habe angefangen, das Konzertfach Violine zu studieren. Im Verlauf des Studiums hatte ich einen schweren Unfall und habe mir beide Arme gebrochen. In dieser Zeit dachte ich, es wäre gar nicht so verkehrt, noch etwas Zusätzliches zu haben. Etwas, das ich machen könnte, wenn es mit der Musik nicht funktioniert. Da lagen natürlich Sprachen nahe. Ich war schon in Wien und habe gesehen, dass an der dortigen  Universität Translatologie angeboten für Tschechisch wird. Da war ich sofort in meinem Element und habe mich eingeschrieben. Gottseidank sind beide Arme gut verheilt und ich kann wieder Geige spielen. Aber das Sprachstudium hat mich gefangen und ich wollte es auch bis zum Master zu Ende bringen.“

Sie haben also parallel Sprachen und Musik studiert. Ist das zu schaffen?

„Ja, ich würde es aber nicht empfehlen. Es war,  sicherlich mehr, als andere Menschen in dem Alter machen. Aber ich bereue es nicht. Mir hat es immer Energie gegeben, beides machen zu können und eigentlich zwei Leben führe zu können. Das macht mir Spaß.“

Mit welcher Vorstellung über Ihre Zukunft haben Sie Musik studiert? Wollten Sie Solistin werden, in einem Orchester spielen, oder wovon haben Sie geträumt?

„Ich habe Musik nicht mit dem Hintergedanken studiert, damit unbedingt Geld zu verdienen, sondern weil ich einfach die Geige und die Musik so sehr liebe.“

„Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe Musik nicht mit dem Hintergedanken studiert, damit unbedingt Geld zu verdienen, sondern weil ich einfach die Geige und die Musik so sehr liebe. Im Verlauf des Studiums wird man natürlich irgendwann mit der Realität konfrontiert und muss ins Orchester gehen. Dies und auch der Unfall haben mir gezeigt, dass ich lieber selbständig bleiben möchte. Ich spiele viel Kammermusik, auch im Orchester natürlich, aber eben als Freischaffende.“

Haben Sie in diesem Jahr überhaupt Möglichkeiten gehabt, Konzerte zu spielen? Was bedeutet es, jetzt Musikerin zu sein?

„Es ist erwartungsgemäß etwas traurig. Vor Publikum konnte ich dieses Jahr nicht spielen. Wir haben viele Film- oder Video-Aufnahmen von Konzerten gemacht, und ich nehme auch mit einem Filmmusikorchester in Wien auf. Da gibt es zum Beispiel Produktionen für Netflix, die aber ohne Publikum sind.“

Sie haben gesagt, Sie spielen Kammermusik. Mit wem spielen Sie, also in welcher Zusammensetzung?

„Das ist ganz unterschiedlich. Ich spiele in dem Geigen-Duo, ‚Duo Alard‘. Das ist natürlich günstig, weil es sehr klein ist. Das heißt, wir kommen überall hin und wir passen überall hinein. Aber ich spiele auch gern Quartett. Letzten Sommer konnte ich an einem Oktett-Konzert in Wien teilnehmen. Es war unter freiem Himmel, also  gab es mit Corona  gottseidank kein Problem. Ich würde sagen, dass Quartett meine liebste Besetzung ist.“

Sie leben zwischen diesen beiden Welten, zwischen Musik und Sprachen. Ist die Musik erstrangig für Sie? Wie teilen Sie Ihre Zeit zwischen diesen beiden Bereichen auf?

„Ich würde nicht sagen, dass mir die Musik wichtiger ist. Ich versuche immer das zu machen, was in dem Moment am wichtigsten ist. Und das ändert sich ab und zu. Mal ist es die Musik, mal das Schreiben und Übersetzen. In Prag zum Beispiel bin ich jetzt ganz im Text vertieft und schreibe und übersetze. Im April 2021  hatte also definitiv  das Übersetzen Priorität.“