Jan Masaryk - Politiker, Diplomat und Sohn seines berühmten Vaters
Wohl nahezu jedem, der den Namen Masaryk hört, kommt sofort der Gedanke an den ersten Präsidenten der Tschechoslowakei, Tomas Garrigue Masaryk, in den Sinn. In die neuzeitliche Geschichte des tschechoslowakischen Staates hat sich jedoch nicht minder eindrucksvoll auch ein weiterer Träger dieses Namens eingeschrieben: Jan Masaryk. Vor allem im Ausland werden diese beiden Namen ziemlich oft verwechselt. Wer war der Mann, dessen Tod führende Weltpolitiker bedauerten und zu dessen Grab im März 1948 Hunderttausende von Leuten pilgerten? Dies und mehr erfahren Sie im heutigen Geschichtskapitel mit Dana Martinova und dem Historiker Doz. Jiri Kocian.
"Jan Masaryk war eines von vier Kindern des Präsidenten Tomas Garrigue Masaryk. Er wurde am 14. September 1886 geboren und ist in einem überaus intellektuellen Milieu aufgewachsen. Sein Vater, der Philosoph, Soziologe und Universitätsprofessor war, trat damals gerade in die politische Szene ein, und zwar als Mitglied der Partei der Jungböhmen. Seine Mutter, eine gebürtige Amerikanerin, hat ihn mit viel Hingabe an die Musik herangeführt. Aus dem Klavierspiel ist dabei für Jan Masaryk eine lebenslange Passion erwachsen."
Jan Masaryk studierte am Gymnasium in Prag. Er trat aber nicht in die Fußstapfen seines Vaters, denn er hat nicht gern gelernt. Und das ärgerte seinen Vater, der eine gute Bildung als sehr wichtig für das Leben hielt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist Jan Masaryk dank der Kontakte seiner Mutter in die USA gereist, wo er schnell Arbeit fand, u. a. in der Gießerei. Der dortige Aufenthalt erwies sich später als die Basis für seine zukünftige Karriere als Politiker und Diplomat. Er hat sein Englisch in den Staaten enorm verbessert, und er hat dort ein ganz anderes politisches und gesellschaftliches Umfeld kennen gelernt, als er es von zu Hause in Böhmen kannte. Einem Böhmen, das damals noch zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörte.
"Im Jahre 1913 ist Jan Masaryk nach Prag zurückgekehrt. Selbst als sein Vater zu Beginn des ersten Weltkrieges der Widerstandsbewegung beitrat und in die USA emigrierte, die Familie blieb in Prag. Sie wurde verfolgt, und Jans ältere Schwester Alice war sogar interniert. In den Augen der Mächtigen stammte Jan aus einer Familie, die zu den Feinden und Verrätern der Habsburger Monarchie gehörte. Trotzdem meldete er sich als Freiwilliger an die Front. Im Jahr 1917 wurde er jedoch verletzt und zu Kriegsende außer Dienst gestellt."
Mit der Gründung der Tschechoslowakischen Republik am 28. Oktober 1918 dreht sich sein persönliches Schicksal auf einmal um 180 Grad. Nach der Heimkehr des Vaters, und das schon als Präsident, ist Jan Masaryk im Nu ein Mitglied der prominenten Familie. Er ist sich dieser Situation bewusst und denkt darüber nach, wie er der jungen Republik, der Freiheit und der Demokratie dienen kann.
"Der junge Masaryk wandelt sich. Unter der Obhut des damaligen Außenministers und späteren Präsidenten Edvard Benes erlernt er das diplomatische Handwerk. Von 1925 bis 1938 ist er der Botschafter der Tschechoslowakei in Großbritannien. Auch wenn ihm in seiner Laufbahn als Diplomat die Position seines Vaters geholfen haben dürfte, so ist Jan mit Akribie und Fleiß darauf bedacht, seinen eigenen Weg zu gehen. Und der führte ihn über seine Direktheit, seinen Optimismus und die Art und Weise, selbst schwierigste Probleme anzupacken und zu meistern, steil nach oben. So ein Charisma wie er hatte keiner der damaligen demokratischen Politiker."
Sowohl im traditionellen Geiste seines Vaters als auch im Geiste der Politik, die vom zweiten tschechoslowakischen Präsidenten Edvard Benes entwickelt wurde, hat Jan Masaryk die Beziehungen zu den westlichen Demokratien als die Grundgarantie der Selbstständigkeit der Tschechoslowakei und ihrer internationalen Souveränität wahrgenommen. Als deren Appeseament-Politik gegenüber Hitler aber zur Folge hatte, dass die Tschechoslowakei im Rahmen dieser Politik quasi geopfert wurde, durchlebte er einen tiefen Schock. Zusammen mit Edvard Benes kämpft er die gesamte Okkupationszeit über im ausländischen Widerstand. Und es ist die berühmte Ironie des Schicksals: Es sind gerade die Kriegsjahre, die den beliebten Gesellschafter Jan Masaryk dank seiner Fähigkeiten und menschlichen Qualitäten zu einer großen Persönlichkeit reifen lassen. Einer Persönlichkeit, die sich des Namens Masaryk würdig erweist, und als die er endgültig aus dem Schatten seines berühmten Vaters steigt.
"Die guten Beziehungen von Jan Masaryk haben dabei geholfen, dass die erste tschechoslowakische Exilregierung im Juli 1940 endlich von der britischen Regierung anerkannt wurde. Diese Regierung wurde dann später als solche auch auf der internationalen Bühne anerkannt, und zwar als Repräsentant der Befreiungsaktionen der Tschechoslowakischen Republik. Masaryks Rolle ist dabei manchmal etwas in den Hintergrund geraten, man sprach und spricht über diese Zeit vor allem von Benes. Aber ich denke, dass Benes sich dessen sehr bewusst war, was Masaryk in der Zeit des Krieges alles geleistet hat."
Jan Masaryk war von 1940 bis April 1945 der Außenminister der beiden tschechoslowakischen Exilregierungen. Er hat an internationalen Verhandlungen teilgenommen, und er stand im Kontakt mit einer ganzen Reihe von Politikern der verbündeten Staaten oder anderer Exilregierungen. Eine riesige Popularität haben seine regelmäßigen Rundfunkansprachen bei BBC erlangt.
"Selbstverständlich hat man auch die Ansprachen von Präsident Benes und anderen tschechoslowakischen Ministern und Politikern gehört. Masaryk aber besaß die Fähigkeit, auch dem Alltagsbürger begreiflich und zugleich sehr deutlich zu machen, welche Gräueltaten die Nazis in der heimatlichen Tschechoslowakei verübt haben. Er sprach über Lidice, die Vergeltungsaktionen auf das Heydrich-Attentat, und er verstand es außerdem, auch seinen Optimismus und Enthusiasmus auf die Hörer in der Tschechoslowakei zu übertragen."
Mit der einsetzenden Befreiung des Landes im Frühjahr 1945 ist bereits klar geworden, dass in der Tschechoslowakei ab sofort die Kommunisten einen sehr starken Einfluss haben werden. Und diese verheimlichten nicht, dass sie zu Masaryk kein großes Vertrauen haben. Zum einem haben sie ihn für einen sehr prowestlich orientierten Politiker gehalten, zum anderen hatten sie Angst, dass er sie bei ihren Bestrebungen, die absolute Macht zu gewinnen, einbremsen könne.
"Ich denke, dass Jan Masaryk sehr darauf geachtet hat, was ihm der Vater vor seinem Tod gesagt hat - nämlich, er solle Edvard Benes stets behilflich sein. Beide wollten so etwas wie eine Brücke zwischen Ost und West erbauen. Aber das war eine ziemlich unreale Vorstellung, da sich in den letzten Stunden des Krieges im Mai 1945 schon zeigte, dass das Territorium der Tschechoslowakei nun voll und ganz unter dem politischen Einfluss der Sowjetunion stehen wird."
Nach dem Krieg war Jan Masaryk vor allem auf internationalem Gebiet tätig. Er hat zum Beispiel an den Verhandlungen über die Charta der Vereinten Nationen teilgenommen. Trotz seiner redlichen Arbeit in den drei Nachkriegsregierungen von 1945 bis 1948, und trotz der ziemlich guten Kontakte zu den kommunistischen Parteiführern Klement Gottwald und Vaclav Kopecky, hat Jan Masaryk nie ihr Vertrauen gewinnen können. Daher wird unter den Historikern oft darüber diskutiert, warum er auch nach dem kommunistischen Putsch im Februar 1948 in der Regierung geblieben ist.
"Der Tod von Jan Masaryk bleibt ein Geheimnis. Es gibt zwei Varianten: Die erste geht von einem Selbstmord aus. Dieser Variante glaubten vor allem seine Freunde und Kollegen. Die zweite spricht davon, dass er ermordet wurde - entweder von der tschechoslowakischen Staatspolizei oder von einem Kommando des sowjetischen Geheimdienstes. Meiner Meinung nach kann man keine der beiden Varianten ausschließen. Auch heute nicht, obwohl zuletzt immer wieder kolportiert wurde, dass Masaryk wirklich mit Gewalt zum Sprung aus dem Fenster gezwungen wurde bzw. er tatsächlich aus dem Fenster gestoßen wurde."
Für die Kommunisten war Masaryks Beteiligung an ihrer Regierung ein wertvoller Sieg. Ihn selbst jedoch überfielen Depression und eine große Hoffnungslosigkeit über das, was die Zukunft bringen könnte. Sein Tod hat nahezu jeden Tschechen betrübt gemacht, und die Kommunisten wurden davon ziemlich unangenehm überrascht.