"Abtragen der Schuld": Tschechien dokumentiert sudetendeutschen Widerstand

Ein gutes Jahr der laufenden Legislaturperiode blieb Premierminister Jiri Paroubek, als er im April 2005 das Regierungsamt übernahm. Wenig Zeit, aber nicht zu wenig für einen bedeutenden Schritt in der Aufarbeitung der tschechisch-deutschen Vergangenheit: Mit der Versöhnungsgeste vom vergangenen August sprach die Regierung ihre Anerkennung für den antifaschistischen Widerstand der tschechoslowakischen Deutschen aus. Kurz vor den Wahlen konnte Paroubek nun in Prag auch den Startschuss für das zugehörige Dokumentationsprojekt geben.

Vertreibung der Sudetendeutschen
Es ist ein Faktum, das in den holzschnittartigen Diskussionen häufig übersehen wird: Nicht alle Sudetendeutschen haben sich dem Nationalsozialismus in die Arme geworfen. Nicht wenige der Widerstandskämpfer aus Kreisen der tschechoslowakischen Deutschen sind aber nach dem Krieg in den Strudel der Maßnahmen gegen die so genannte "feindliche Bevölkerung" geraten. In ihrer Versöhnungsgeste hat die tschechische Regierung diese Schicksale nun erstmals offiziell anerkannt und bedauert. Mit der Geste verbunden ist auch ein Forschungsprojekt, das Premierminister Paroubek am Dienstag in Prag eröffnete:

"Aufgabe des Projektes ist die Dokumentation eines bislang nur wenig beleuchteten Kapitels unserer modernen Geschichte. Wir wollen, dass damit zugleich die moralische Rehabilitierung Tausender bereits verstorbener und Hunderter oder doch wenigstens Dutzender noch lebender Angehöriger der nationalen Minderheiten der damaligen Tschechoslowakei einhergeht, die in den Zeiten der Nazi-Okkupation der Republik die Treue gehalten haben und mit ihrer Beteiligung am Widerstand zur Erneuerung der Republik beigetragen haben."

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag
Die Aufzeichnung der Schicksale der Betroffenen möchte Paroubek zugleich als symbolisches Abtragen der Schuld verstanden wissen. 30 Millionen Kronen, etwa eine Million Euro, hat die Regierung für das auf drei Jahre angelegte Projekt zur Verfügung gestellt. Angeregt wurde es von dem Publizisten und ehemaligen Auschwitz-Häftling Tomas Kosta, heute Berater des Premierministers. Er unterscheidet für das Vorhaben drei Ebenen:

"Eine ist die wissenschaftliche Ebene, auf der die Dokumente erarbeitet und zusammengestellt werden müssen. Auf der zweiten Ebene geht es darum, die Betroffenen zu finden, so weit sie heute noch leben, und die dritte Ebene ist es, daraus dann eine Ausstellung und ein Dokumentationszentrum in Usti ad Labem zu machen, wo sich die Leute treffen können, wo sie die Geschichte auch ihrer Familie wieder finden können und wo auch Diskussionen veranstaltet werden können. Das sind die drei Ebenen."

Bei der Eröffnung des Projektes waren nicht nur Politiker und Historiker zugegen, sondern Zeitzeugen. Einer von ihnen ist der aus dem Egerland stammende Publizist Lorenz Knorr. Er begrüßt die Initiative, die gerade noch rechtzeitig komme:

"Bitte, ich bin fast 85 Jahre jung! Ich bin unter unseren Antifaschisten der jüngste. Also, es ist allerhöchste Zeit, dass dieses Projekt gegründet wurde, denn noch haben wir einige Zeitzeugen, die zur Verfügung stehen können und die berichten können über das, was in den deutsch besiedelten Gebieten vor 1938 passiert ist und wie es nach 1938 weiter ging."