Architekt Milunic: Prag ist die Stadt der Türme und nicht der Wolkenkratzer

Прага

Das unverändert erhaltene historische Panorama war einer der Gründe, warum Prag 1992 in die Weltkulturerbeliste der UNESCO eingetragen wurde. Das Stadtbild Prags könnte jedoch bald durch einige Wolkenkratzer für immer verunstaltet werden. Dies befürchten jedenfalls einige tschechische Bürgerinitiativen. Sie bemühen sich seit einigen Jahren lang erfolglos, den geplanten Bau von Hochhäusern im Prager Stadtteil Pankrac zu stoppen oder wenigstens einzuschränken. Nun entschieden sie sich, sich an die UNESCO zu wenden. Mehr erfahren Sie von Martina Schneibergova und Thomas Kirschner im folgenden "Spaziergang durch Prag".

Stadtteil Pankrac
Der Stadtteil Pankrac gehört zum vierten Prager Stadtbezirk. In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde dort eine Plattenbausiedlung erbaut, die den damaligen Vorstellungen vom modernen Wohnen entsprach. Unweit der Plattenbauten sollte damals ein zentraler Platz mit Läden, Raum für Freizeitaktivitäten und sogar mit einem neuen Rathaus entstehen. Da es im planwirtschaftlichen System jedoch ständig an finanziellen Mitteln mangelte, wurden die Pläne nie in die Tat umgesetzt. Auf dem Plateau von Pankrac wurden nur ein aus architektonischer Sicht gelungenes Hochhaus namens "Motokov", sein nicht gelungenes Pendant - das Hotel "Panorama" - und ein bis heute unvollendetes Hochhaus erbaut, das ursprünglich für den Tschechischen Rundfunk entworfen wurde, jedoch nie seinem Zweck gedient hat. Die erwähnten Gebäude, die auf der Anhöhe über Prag emporragten, wurden schon kurz nach der Entstehung von zahlreichen Urbanisten und Architekten als Fehler bezeichnet.

Architekt Vlado Milunic
Architekt Vlado Milunic ist in Tschechien vor allem dank dem "Tanzenden Haus" berühmt geworden. Das Haus, das Milunic gemeinsam mit dem US-amerikanischen Architekten Frank O. Gehry entworfen hat, steht am rechten Moldauufer im Zentrum Prags und stellt ein gelungenes Beispiel eines modernen Gebäudes dar, das zur historischen Architektur der Umgebung passt. Übrigens: Die Prag-Bewohner selbst haben sich bald an das "Ginger und Fred" genannte Haus gewöhnt. Ich fragte den berühmten Architekten nach seiner Meinung über die Hochhäuser von Pankrac:

"Die Situation im Stadtteil Pankrac entstand, hat ihre Wurzel schon in den sechziger Jahren. Professor Jindrich Krise, bei dem ich auch studiert habe, war mit einem der Architekten befreundet, die das moderne Pariser Stadtviertel Defense entworfen haben. Dieses Viertel befindet sich jedoch am Stadtrand von Paris und ist vom Stadtzentrum aus nicht zu sehen. Krise wollte - durch das Pariser Beispiel angeregt - auch ein ähnliches modernes Viertel in Prag bauen. Durch Prag führt aber kein Boulevard mit Bäumen und Cafes wie die Champs Elysees, sondern eine stinkende und laute Magistrale, die die Hauptstadt sinnlos in zwei Teile zerschneidet. Schließlich entstand in Prag etwas ganz Absurdes: Die Hochhäuser wurden nicht unten im Tal, sondern unlogisch oben auf dem Hügel erbaut. Anstelle der klassischen, aus den US-amerikanischen Städten bekannten ´down towns´ entstand ein unlogisches ´up town´."

Vorsitzender der Bürgerinitiative Arnika Martin Skalsky
Das von Vlado Milunic erwähnte "up town" ist praktisch von allen Aussichtspunkten der tschechischen Hauptstadt, insbesondere von der Prager Burg aus, gut zu sehen. Nach der Wende von 1989 wurde die Frage der architektonischen Gestaltung des Plateaus von Pankrac wieder aktuell. Seit 2001 besitzt die Gesellschaft ECM den Großteil der dortigen Grundstücke. Die jüngsten Projekte der Gesellschaft stammen aus den Jahren 2003-2004. Die Entwürfe wurden in der Tageszeitung Mlada fronta Dnes abgedruckt. Nur aus der Zeitung kennt sie auch Martin Skalsky, Vorsitzender der Bürgerinitiative Arnika, die sich seit Jahren erfolglos bemüht, den Bau weiterer Hochhäuser in Pankrac zu stoppen. Die Investoren seien nie bereit gewesen, eine Kompromisslösung zu suchen, sagt Skalsky und beschreibt die aktuellen Entwürfe:

"Es handelt sich um ein 104 Meter hohes Gebäude in der Form des Buchstaben ´V´ und um ein weiteres Haus, das man in Pankrac bereits jetzt die ´zerschossene Büchse´ nennt. In diesem Zylinder mit unregelmäßig platzierten Löchern soll ein Hotel untergebracht werden. Dies ist das einzige, was wir als Bürger darüber wissen. Die Dokumentation wird streng geheim gehalten. Das ist zwar gegen das Gesetz, aber es ist so. Das einzige Bild der geplanten Wolkenkratzer haben wir in der Zeitung gesehen."

Marie Janouskova und Martin Skalsky
Nachdem die Leute von Arnika sowie andere gleich gesinnte Bürgerinitiativen alle Möglichkeiten ausgeschöpft hatten, die ihnen im tschechischen Recht zur Verfügung stehen, wandten sie sich nun mit einem Brief an die UNESCO. Sie forderten die UNESCO auf, sich mit der Lage in Prag zu befassen und brachten die Befürchtung zum Ausdruck, dass die am Rande der UNESCO-Denkmalzone erbauten Hochhäuser leicht zu einem Präzedenzfall für andere Investoren werden könnten.

Die Bewohner von Pankrac vertritt vor allem die nach dem Stadtteil benannte Bürgerinitiative. Ihre Vorsitzende Marie Janouskova wirft den Befürwortern des neuen "City"-Projektes Folgendes vor:

"Uns gefällt der Gedanke, der ständig von den Investoren wiederholt wird, gar nicht: Und zwar, dass die Hochhäuser von Pankrac ein notwendiges Pendant zur Prager Burg am anderen Moldauufer darstellen werden. Diese Idee halten wir für völlig barbarisch."

Vorsitzende des tschechischen ICOMOS Josef Stulc
Und wie soll die bislang unbebaute Fläche auf dem Hügel von Pankrac nach Meinung der Bewohner aussehen? Marie Janouskova macht auf Studien aufmerksam, die 1993 in der Zusammenarbeit mit dem damaligen Architektenbüro der Hauptstadt Prag ausgearbeitet wurden:

"Danach wurden die sechs besten Entwürfe ausgestellt, um von der Öffentlichkeit bewertet zu werden. Im Anschluss daran führten wir eine Umfrage durch, an der ca. 18.000 Bewohner teilnahmen. Nur 1,5 Prozent der Befragten war für den Bau der Wolkenkratzer in Pankrac. Aus der Umfrage ging hervor, das die Bürger vor allem die üblichen zum Leben notwendigen Einrichtungen brauchen: Dienstleistungen, Kultur- und Sporteinrichtungen, Jugendklubs und anderes mehr. So etwas kann in Pankrac nicht errichtet werden, weil dort nur ein exklusives Bürozentrum erbaut wird. Dies wird noch mehr Verkehr mit sich bringen und damit auch zu einer stärkeren Umweltbelastung führen. Aus der Sicht der Bewohner wird es nichts Positives bringen."

Der Bau von weiteren Wolkenkratzern in Pankrac könnte nach Meinung der Bürgerinitiativen sogar zur Folge haben, dass Prag aus der Weltkulturerbeliste der UNESCO gestrichen wird. Josef Stulc, der Vorsitzende des tschechischen Komitees des Internationalen Rates für Denkmalpflege (ICOMOS) ist, erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass UNESCO-Vertreter vor kurzem zwei ähnliche Fälle zu lösen hatten: In Wien und in Köln, wobei Köln in die Liste des gefährdeten Weltkulturerbes eingetragen wurde.

"Der tschechische Staat hat mit Zustimmung des Prager Magistrats damals das historische Prag zur Eintragung in die Weltkulturerbeliste vorgeschlagen. Damit ging er die Verpflichtung ein, Projekte, die sich auf die damals betonten Werte auswirken, rechtzeitig mit der UNESCO zu konsultieren. Und dazu ist es nicht gekommen. Auch wenn das tschechische ICOMOS-Komitee die Prager Stadtvertreter darauf aufmerksam gemacht hat."

Nun bleibt abzuwarten, wie die UNESCO beziehungsweise der Prager Magistrat reagieren wird. Über die weitere Entwicklung werden wir Sie auf den Wellen von Radio Prag informieren.

Fotos: Autorin