Österreichischer EU-Vorsitz: Vaclav Havel im elektronischen Speakers' Corner

Der österreichische Ratsvorsitz in der Europäischen Union ist erst wenige Tage alt. Das Nachbarland Tschechiens gibt während des gesamten ersten Halbjahrs 2006 nicht nur den Takt der europäischen Agenda an, sondern empfängt in seiner Hauptstadt Wien auch zahlreiche Verhandlungsdelegationen und tausende Journalisten aus dem In- und Ausland. Eine Gelegenheit, sich nicht nur nach außen hin zu profilieren, sondern auch in der eigenen Bevölkerung den einen oder anderen Gedanken über das gemeinsame Europa anzustoßen. Diese Woche ist der tschechische Schriftsteller und Expräsident Vaclav Havel an diesem Unterfangen maßgeblich beteiligt.

Auf dem Wiener Ballhausplatz, zwischen Bundeskanzleramt und Präsidentschaftskanzlei, befindet sich eine Art Ring mit zwölf Metern Durchmesser. Wie ein UFO schwebt es über dem Platz. Innen und außen laufen Buchstaben im Kreis. Die Leuchtschrift auf der einen Seite gibt stets einen zentralen Europa-Gedanken eines lebenden Philosophen bzw. Schriftstellers wieder, auf der anderen Seite ist Platz für Reaktionen aus der Bevölkerung. Insgesamt 25 Denker sind es, deren Thesen hier präsentiert werden - während der sechsmonatigen österreichischen Präsidentschaft einer pro Woche. Den Anfang macht Vaclav Havel. Warum, das erklärt einer der geistigen Väter des Projekts, Eberhard Schrempf vom Veranstalter 25PEACES:

"Sein Text zur Demokratie, um den wir ihn gebeten haben, passt sehr gut zum Beginn des Österreichischen EU-Ratsvorsitzes. Außerdem ist Havel selbst eine hochinteressante Figur - einerseits der früher verfolgte Schriftsteller, andererseits der Staatsmann, der Zentraleuropäer. Deshalb war es uns sehr willkommen, dass er zu diesem Thema so schnell reagiert hat."

Havels These auf der elektronischen Laufschrift:

Vaclav Havel
"Wir hoffen auf keine neue Demokratie in Europa. Entweder es herrscht Demokratie, oder sie herrscht nicht. Ihre größten Feinde sind jedoch unsere Verantwortungslosigkeit, Gleichgültigkeit und Resignation als Bürger."

Auf diesen Text können die Menschen nun reagieren: Unter anderem auf Terminals direkt vor Ort oder im Internet unter diepresse.com/vermutet. Mit dem Erfolg dieser "politischen Installation" ist Eberhard Schrempf zufrieden:

"Erstens ist der Text Havels, bzw. auch die herausgezogene These, sehr gut angekommen. Und zweitens sind auch die Reaktionen erfreulich. Die Rezipienten setzen sich sehr intensiv mit dem Text auseinander, kommentieren und ergänzen ihn. Das Projekt geht so auf, wie wir uns das gewünscht haben."