Georg Zart - das Vermächtnis eines vergessenen böhmischen Meisters
Noch gibt es keine festgeschriebene Science-Fiction-Literatur, der Franz-Josefs-Bahnhof erscheint demnach noch nicht einmal als Utopie auf dem Plan, und wer die Stadt so oder so verlassen muss und sich kein Pferd leisten kann, begnügt sich eben mit Eigenantrieb. Sieben Uhr abends in Wien des Jahres 1729. Eine Geschichte, weiter erzählt von Jaroslav Konsal:
Die beiden Burschen, die es auf diese Weise und noch dazu abseits der großen Landstraßen tun, sind gut beraten: Die beiden einundzwanzigjährigen Landsleute aus Böhmen sind vor einiger Zeit aus der Leibeigenschaft ausgerissen in der Annahme, in der Kaiserstadt unterzutauchen und sich dazu einige Fertigkeiten anzueignen. Sie sind Musiker: Franz Benda, Spross der Dynastie, die in Preußen jahrelang mit den Musikton angeben soll und bis auf den heutigen Tag fortbesteht, und ein gewisser Georg Zart.
Die jungen Herren erreichen in der Tat - sie müssen tüchtige Geher gewesen sein - in einigen Tagen Breslau. Dort erfahren sie richtig vom Haftbefehl, der gegen sie inzwischen eingelangt ist, aber schon sieht man sie wieder unterwegs nach Warschau, wo sie beim Bürgermeister ihren ersten Job finden, der sie gleich weiter zur königlich polnischen Kapelle empfiehlt. Polen in Personalunion mit Sachsen: König August der Zweite verlegt Hof mitsamt Klangkörper nach Dresden. Dort hält es unsere Freunde nicht lange. Wer mit der Flöte an den Lippen beim Großmeister des Instruments Quantz und dessen erlauchtem Dienstherrn, ebenfalls einem tüchtigen Flötenspieler, wohlwollend aufgenommen wird, kann in die Kronprinzenkapelle des späteren Preußenkönigs, des großen Fritz, einsteigen, so geschehen 1734. Und dort trennen sich die Wege der beiden Jugendfreunde, die an der staubigen Landstraße am Stadtrand von Wien begonnen haben. Franz Benda hält den damaligen schicksalsschweren Augenblick in seinen Aufzeichnungen wie folgt fest:
"Ich habe eine andere Kleidung angelegt, um noch weniger erkannt zu werden. Abwechselnd mit Herrn Zart trugen wir eine Eisentruhe, in der wir allerhand Musikalien, zwei Geigen, einige Hemden nebst einigen flauti traversi verstaut hatten."In Wirklichkeit hieß er Tschart und wurde im Böhmisch-Mährischen Bergland in der Gemeinde Hochtann bei Deutschbrod, heute Vysoka bei Havlickuv Brod, geboren. Er galt in erster Linie als tüchtiger Violinspieler mit einem Können, das ihn zur absoluten Spitze der Zeit, der Mannheimer Kapelle, legitimierte. Dort trat er denn auch die Nachfolge des übrigens aus derselben Gegend stammenden Kapellmeisters Johann Wenzel Stamitz an. Sein tschechischer Name bedeutet nichts mehr und nichts weniger als den Leibhaftigen, aber nach allen abenteuerlichen Peripetien wurde der Teufelskerl in Mannheim seßhaft. Freilich zu einem fürstlichen Jahressalär von 800 Gulden.
Urkundliche Erwähnungen der Zeit bescheinigen Zart die Urheberschaft von Symphonien, Violin- und Flötenkonzerten sowie Sonaten, aber der erhaltene Nachlaß ist ganz zum Unterschied von dem seines Kumpans Franz Benda karg: ein paar Flötensonaten, zwei Violinsonaten sowie zwei Trios. Seine Musik wäre etwa an der Gemarkung zwischen Barock und Klassizismus anzusiedeln und lässt neben italienischen und norddeutschen Einflüssen auch weitere erkennen, die böhmischen Exilanten eigen waren. Sie verrät Temperament, Originalität und Weitblick. Bis auf den heutigen Tag beeindruckt sie mit technischer Bravour gleichermaßen wie mit melodischem Empfinden und rhythmischem Einfallsreichtum. Viel mehr erfahren wir vom Autor nicht; mit diesem Wissen kann man seine Musik trotzdem genießen. Die Flöte mit ihren technischen und Ausdrucksmöglichkeiten war damals ein echtes Modeinstrument.Georg Zart, 1708 - 1778, Allegro non molto aus der Flötensonate in E-dur, die jüngste Neuerscheinung aus der verdienstvollen Produktion eines Prager Einmann-Musikverlags, der fast vergessene Werke bekannter Meister und mitunter auch vollends vergessene Musik kaum bekannter zu neuem Leben erweckt.