MitOst verbindet - von Pilsen bis Nowosibirsk
Sprach- und Kulturaustausch, gemeinsames Kennenlernen über die Grenzen hinweg und Engagement für eine selbstbewusste Bürgergesellschaft - das sind die Kennzeichen von MitOst, einem Verein, der junge Menschen aus Deutschland und Mittel- und Osteuropa verbindet. Mehr als 400 Mitglieder trafen sich am letzten Oktoberwochenende zum jährlichen Festival - diesmal im polnischen Breslau. Auch viele Teilnehmer aus Tschechien waren dabei. Thomas Kirschner stellt den Verein und seine Aktivitäten vor.
Sie kommen aus Russland, aus der Ukraine, aus Polen, Rumänien, Litauen und Bulgarien und natürlich aus Deutschland - auf der mittel- und osteuropäischen Landkarte lässt die Liste der Teilnehmer am MitOst-Festival in Breslau kaum einen weißen Fleck. Geschäftsführer Sascha Götz erklärt die Idee von MitOst:
"MitOst ist ein Verein, der Menschen über Grenzen hinweg verbindet - das ist das Grundsätzlichste und das Wichtigste. Wir sind derzeit 1440 Mitglieder in 36 Ländern und machen gemeinsame Projekte. Wir verbinden uns zu einem großen Kontaktnetzwerk, was wiederum auch neue Aktionsformen ermöglicht. Außerdem sprechen wir in 36 Ländern Deutsch - nicht weil die deutsche Sprache besser wäre als alle anderen, sondern weil es sehr schön und praktisch ist, wenn ein Deutscher, ein Tscheche und ein Georgier sich in einer gemeinsamen Sprache unterhalten können."
Gegründet wurde MitOst, der Verein für Sprach- und Kulturausstausch in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, wie er mit vollem Namen heißt, 1996, vor inzwischen beinahe zehn Jahren. Am Anfang standen ehemalige Stipendiaten der Robert Bosch Stiftung. Als Lektoren hatten sie an mittel- und osteuropäischen Universitäten deutsche Sprache und Landeskunde unterrichtet und wollten die angefangenen Unternehmungen und die entstandenen Kontakte nicht aufgeben. MitOst ist jedoch kein Ehemaligenverein, sondern offen für alle Interessierten, betont Götz. Von Anfang an gab es auch enge Kontakte nach Tschechien.
"Wir haben zum Beispiel 1998 eine Mitgliederversammlung in Prag gehabt - das war eine großartige Sache. Damals hatte der Verein erst 350 Mitglieder und von denen sind 180 in Prag zusammengekommen, damals schon aus 12 oder 13 Ländern."
Aus der reinen Mitgliederversammlung ist inzwischen ein mehrtägiges vielfältiges Programm geworden - das MitOst-Festival eben. Neben Kulturangeboten, Diskussionsrunden und der Präsentation der Vereinsarbeit aus dem vergangenen Jahr gehören dazu ebenso Workshops und Weiterbildungen, erläutert MitOst-Geschäftsführer Sascha Götz:
"Wir haben im Verein viele Projekte und viel Erfahrung mit der Organisation von Programmen, und deshalb wollten wir auch ein Fortbildungsangebot machen: Wie macht man eigentlich ein Projekt? Wie finde ich das Geld dazu, wie rechne ich das ab, wie kann ich Werbung dafür machen, wie finde ich Teilnehmer, wie erstelle eine Dokumentation und Evaluierung - also alles, was zum Thema Projektmanagement dazugehört. Und natürlich gibt es ein Kulturprogramm, jeweils mit Schwerpunkt auf dem Gastland. Diesmal ist das Polen, aber vielleicht ist es ja im nächsten Jahr schon Tschechien - wir müssen gerade darüber entscheiden, wo die nächste Mitgliederversammlung hingeht."
Einander wechselseitig die Kultur und Lebensumstände näherbringen, über Grenzen hinweg gemeinsam etwas gestalten und zusammen eine Lobby für den immer noch oft übersehenen östlichen Teil Europas zu schaffen, das sind die Ziele von MitOst. Ergebnis war im vergangenen Jahr etwa die Ausstellung "Türen auf" - eine vergleichende Text- und Fotodokumentation über typische Wohnsituationen in Ost und West. Sie erlaubt ganz persönliche Einblicke in das Leben von Familien etwa in Lettland, Rumänien, Weißrussland und der Schweiz.
Ost und West bringt auch Frank Weisse in seinen Projekten zusammen. Er lebt im tschechischen Rychnov und organisiert dort seit vielen Jahren die Jugend-Sommerakademie MEZIUM, Abkürzung für "Mezinarodni umelecke dilny", Internationale Künstlerwerkstätten. Schüler und junge Menschen aus ganz Europa begegnen sich dabei im böhmischen Adlergebirge in gemeinsamer kreativer Arbeit.
"Wir hatten im vorigen Jahr 200 Teilnehmer aus 20 Ländern für 37 Workshops bei einer Dauer von drei Wochen. Es gab unter anderem Emailleverarbeitung, Keramik, aber auch Fotografie, Malerei, Seidenmalerei und vieles mehr."
Typisch für MitOst ist dabei das bunte Sprachengemisch, das die MEZIUM-Teilnehmer in Übersetzerworkshops selbst in fruchtbare Bahnen lenken müssen. Lingua franca und Brücke zwischen allen Nationen ist das Deutsche - ein Beitrag dazu, die lange unterbrochenen Beziehungen zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn wieder zu stärken. Für MEZIUM-Vater Frank Weisse bieten MitOst und das MitOst-Festival ideale Möglichkeiten, seine Arbeit weiterzuentwickeln:
"Für mich ist es phantastisch, wie viele Leute hier herkommen, wie viele Kontakte geknüpft werden - einfach indem man sich austauscht und plötzlich etwas erfährt und dann feststellt: Genau der Partner hat mir in dem Land noch gefehlt. Das ist schon genial!"
Kontakte knüpfen, Netzwerke herstellen, Partner finden - das hat auch Jennifer Schevardo zu MitOst gezogen. Sie hat gerade im nordböhmischen Usti nad Labem / Aussig ein Stipendium der Robert Bosch Stiftung angetreten. Als Kulturmanagerin soll sie in Usti das Collegium Bohemicum aufbauen, Forschungsstelle und Kulturzentrum für die gemeinsame tschechisch-deutsche Geschichte.
"Was für mich bei MitOst interessant ist: Ich bin als Einzelperson in Tschechien tätig. In meinem Kulturmanagerprogramm bin ich hier alleine. Aber ich weiß, dass MitOst sehr viel Erfahrung hat und bin deshalb absolut sicher, dass ich hier Leute finde, die mich unterstützen werden."
Tschechische Aspekte waren auch im Begleitprogramm des MitOst-Festivals in Breslau vertreten. So präsentierte die Bürgerinitiative Antikomplex ihre Ausstellung "Zmizele Sudety / Verschwundenes Sudetenland", die sich mit den landschaftlichen und topographischen Veränderungen des Sudetenlandes nach der Vertreibung der Deutschen auseinandersetzt. Die Narben der Geschichte sind dort noch heute überall zu finden, erklärt Ondrej Matejka, einer der Ausstellungsmacher:
"Es gibt Ruinen, es gibt Obstbäume mitten im Wald, es gibt verödete Wälder, Felder die brach liegen - all das sind Spuren einer Besiedlung, die es dort heute nicht mehr gibt. Wir haben das Thema in einer einfachen Weise bearbeitet: Wir haben alte Fotos genommen und die gleichen Orte von der gleichen Position heute fotografiert. So konnten wir die Erfahrung, die jeder im Sudetenland selbst machen kann, veranschaulichen und ebenso die Frage nach dem, was es dort früher gab."
Das besondere an der Ausstellung ist ihr Zugang zum Thema: Es geht nicht um Schuldfragen, sondern um einen neutralen Blick auf die Veränderungen einer Landschaft, die für Tschechen und Deutsche gleichermaßen Heimat ist. Ein Ansatz, der, wie sich gezeigt hat, dort neue Verständigung ermöglicht, wo politische Diskussion in festgefahren Fronten erstarren. Auch deshalb wurden die jungen Tschechen von Antikomplex jüngst mit dem Georg-Dehio-Preis des Kulturbeauftragten der deutschen Bundesregierung ausgezeichnet. Das MitOst-Festival ist ein idealer Ort, um solche Ideen weiterzutragen, meint Matej Spurny von Antikomplex:
"Ich finde, das MitOst Festival ist eine gute Gelegenheit, um zivilgesellschaftliche Projekte zu zeigen und weitere Leute dazu zu motivieren, so etwas zu machen. Deshalb ist es auch gut, dass unsere Ausstellung im Rahmen des MitOst-Festivals gezeigt wird - also nicht nur hier in Breslau für die polnischen Bürger, sondern für Menschen aus allen mittel- und osteuropäischen Ländern, die dann eventuell auch etwas in dieser Richtung machen können."
Um sich so motivieren und inspirieren zu lassen, dazu ist eine andere tschechische Festivalteilnehmerin nach Breslau gekommen: die junge Prager Musikwissenschaftlerin Eva Velicka. Sie sieht das MitOst-Festival und die Möglichkeiten zur freien Begegnung vor dem Hintergrund der totalitären Regime der Vergangenheit.
"Für mich ist es vor allem ein Symbol und eine Inspiration. Es zeigt mir etwas, das für meine Mutter noch absolut unmöglich war: Dass man reisen kann, dass man problemlos die Menschen aus andern Ländern kennen lernen kann und dass man sich auch selbst dafür engagieren kann."
Als neu gewählte Ländervertreterin ist Eva Velicka im kommenden Jahr MitOst-Ansprechpartnerin in Tschechien. Das Prinzip, das MitOst im Ganzen zu einer starken und lebendigen Gemeinschaft gemacht hat, möchte sie auch für Tschechien bewahren:
"Ich denke zu Anfang sollten wir uns vor allem treffen, damit weiteres entstehen kann - die persönlichen Kontakte, das ist das Wichtigste!"
www.mitost.de, www.tuerenauf.ch, www.mezium.e-rychnovsko.cz, www.collegiumbohemicum.cz, www.zmizelesudety.cz