Suche nach Identität in Erzgebirge
Es ist ein Gebirge, dem das reiche Erzvorkommen seinen Namen gab. Es gilt als das am dichtesten besiedelte Gebirge Europas, aber es ist zweigeteilt. Die Tschechen nennen es "Krusne hory", die Deutschen "Erzgebirge". Die Grenze, eine der ältesten Staatsgrenzen Europas, schlängelt sich mitten durch die Berge, macht sich breit zwischen dem Fichtelberg auf der deutschen und dem Keilberg auf der tschechischen Seite. Hüben wie drüben des Gebirges nennen sich die Anwohner "Erzgebirgler". Ist damit auch das gleiche gemeint? Danilo Höpfner, unser Korrespondent in Sachsen, war auf beiden Seiten auf der Suche nach einer "erzgebirgischen" Identität".
"´Wu de Husen Hosen haasen un de Hoosen Husen haasen, do sei mir drhamm.´ Ich weiß nicht, ob Sie das jetzt verstanden haben, aber das ist schon ein Stück Muttersprache und ein Stückchen Heimat."
"E Herz fir unner schiene Haamit, fir unner schienen Wald, fir unner Berch und Täler, wus Echo wiederhalt.""Ein Herz für uns´re schöne Heimat" singen "De Randfichten" aus dem Erzgebirge. Eine Band, die beim Bundesvision Songcontest für Sachsen antrat und mit dem "Holzmichel-Song" deutschlandweit berühmt wurde. Wie immer man zur Musik der Randfichten stehen mag, eines haben sie geschafft: erzgebirgische Musik und damit die wenig beliebte erzgebirgische Mundart gerade bei jüngeren Erzgebirglern wieder etwas populärer zu machen. Mehr noch: sie haben den Menschen zwischen Johanngeorgenstadt und Altenberg ein Stückchen Identität gegeben. Wolfgang Kraus, erster Bundsvorsitzender des Erzgebirgsvereins und ehemaliger Bürgermeister des westerzgebirgischen Städtchens Johanngeorgenstadt:
"Brauchtum kann man einfach nicht erhalten, indem man es pflegt wie es ist, man muss es fortschreiben, nur dann lebt es. Und die Randfichten sind hier in eine Nische eingestiegen, wo sie erzgebirgische Mundart, erzgebirgische Lieder aufnehmen und mit modernen Rhythmen untersetzten, das kommt beim Publikum und bei jungen Leuten an".
Ortswechsel. Die Spurensuche nach erzgebirgischer Identität führt in den tschechischen Grenzort Bozi Dar, deutsch Gottesgab. Hier befindet sich das Grab von Anton Günther, der erzgebirgischen Galionsfigur schlechthin. Der Volksdichter, Komponist und Heimatsänger wurde 1876 hier geborgen und schrieb jene Lieder, die heute als die großen Identität stiftenden Werke des Erzgebirges gelten. Doch, von erzgebirgischer Kultur und Brauchtum wie in Sachsen ist auf der tschechischen Seite kaum etwas zu finden. Weihnachtspyramiden, Räuchermännchen, Stollen, Heimatlieder, all dies gibt es hier nicht, nicht mehr. Kamil Stumpf, Dozent an der Uni Leipzig, stammt aus dem nordböhmischen Teplice/Teplitz, am Rande des tschechischen Ost-Erzgebirges:
80 bis 100 Prozent der Bevölkerung im böhmischen Erzgebirge waren bis Kriegsende deutschstämmiger Herkunft. Heute sind es weniger als ein Prozent. Vor wenigen Jahren ließ die EU einige europäischen Grenzregionen auf ihre Grenzidentitäten hin untersuchen. Projektleiter für den sächsisch-tschechischen Grenzraum war Prof. Werner Holly von der TU Chemnitz. Er nennt noch einen weiteren Grund, weshalb es auch heute noch zwischen Deutschen und Tschechen keine gemeinsame erzgebirgische Identität gibt:
"Wir haben da überall asymetrische Verhältnisse, ungleich Nachbarn. Sagen wir mal grob, die Reichen und auf der anderen Seite die Armen. Daraus ergibt sich eine Ungleichheit, die das Ganze nicht ungetrübt erscheinen lässt. Wenn es für sie schwierig ist, auf die andere Seite zu fahren, weil dort alles so euer ist, weil sie sich dort eh nichts leisten können, dann fragen sie sich, was soll ich dort. Umgekehrt ist es oft so, dass die Reichen aus einer Position der Überlegenheit auf die Ärmeren herunterschauen".
Arm und Reich, ein Gegensatz der sich die nächsten Jahre langsam angleichen wird. Bisher empfinden sich hauptsächlich die "reichen", also die sächsischen Erzgebirger, ihren Traditionen verbunden. Doch woher kommt dieses starke Identitätsgefühl der Erzgebirgler? Wolfgang Kraus:
"Der Erzgebirgler ist sehr verwurzelt, diese Verwurzelung ist sicher begründet in der Tradition, und diese hängt mit dem Bergbau und mit der Sehnsucht nach dem Licht zusammen. Bergleute die viele Stunden ihres Tagesablaufes unter der Erde waren und damit dem Licht fern, haben ganz bewusst im Brauchtum das Licht in den Vordergrund gesetzt, schauen sie diese Lichterträger, Schwibbögen oder die erzgebirgische Weihnacht, die einzigartig ist für diesen Landstrich, das ist schon eine Verwurzelung."
Erzgebirgisch sein hüben und drüber - das ist heute nicht mehr dasselbe. Doch 60 Jahre nach dem Ende des 2. WK und 16 Jahre nach der Wende in Mitteleuropa bewegt sich etwas, jedoch langsam.
"Arzgebirg, mei Haamitland..."
"Erzgebirge, mein Heimatland" singen die Randfichten voller Bewunderung für ihren Landstrich, bisher nur im sächsischen Erzgebirge. Sächsisch-tschechische Zugverbindungen, Wanderwege, gemeinsame Gewerbeparks und kulturelle Events verbinden heute beide Seiten des Erzgebirges wirtschaftlich, politisch und kulturell wie schon seit fast hundert Jahren nicht mehr. Ob es auch wieder zu einer gemeinsamen erzgebirgischen Identität führen wird, bleibt abzuwarten. Noch einmal Wolfang Kraus:
"Tja, das wird Generationen dauern, das ist keine Sache von heute auf morgen, schon aus dem Grunde, dass natürlich auch zu viel Geschichte aufzuarbeiten ist, und erst wenn man diese Geschichte erfolgreich bewältig hat, auf beiden Seiten, dann wird es einen großen Ruck nach vorn geben."
Ein Bericht von Danilo Höpfner. Dass das Erzgebirge auch wirtschaftlich wie kommunalpolitisch enger zusammenrückt, zeigt noch ein Beispiel aus Johanngeorgenstadt. Das Städtchen auf deutscher Seite wird künftig die Abwässer seiner tschechischen Nachbargemeinde Potucky/Breitenbach klären.