Uralte Buchen und Profitgier: Wie die Wälder im tschechischen Erzgebirge verheizt werden

Abholzung im Erzgebirge

Im Osterzgebirge wachsen einige der ältesten und ökologisch wertvollsten Buchenwälder Tschechiens. Doch die Artenvielfalt ist bedroht, denn manche Waldbesitzer lassen die Bäume rigoros fällen. Ein Bürgermeister setzt sich nun zur Wehr.

Vladimír Buřt | Foto: Christoph von Eichhorn,  Radio Prague International

Vladimír Buřt lenkt sein Auto einen kurvigen Feldweg hinauf, Schneeflocken wehen gegen die Scheibe. Zum Glück hat der Fiat Allradantrieb, denn knöchelhoher Schnee bedeckt den Weg. So etwas kann im Winter schnell passieren an den Hängen im tschechischen Teil des Erzgebirges. Vladimír Buřt ist der Bürgermeister des nahegelegenen Ortes Horní Jiřetín / Obergeorgenthal. Doch heute müssen die vielen Dokumente in seinem Büro warten. Denn wir wollen zur ältesten Buche Tschechiens wandern.

Bald geht es selbst mit Allradantrieb nicht mehr weiter. Buřt parkt den Wagen am Wegesrand.

Wir stapfen los, an hohen verschneiten Bäumen und klaren Bächen vorbei – eine fantastische Winterlandschaft. Bereits Vladimír Buřts Vater war Jäger in dem Gebiet. Auch der 60-Jährige selbst hat sein ganzes Leben hier verbracht – und liebt es noch immer, durch die Natur zu streifen:

„Vor zwei Tagen habe ich hier einen Adler fliegen sehen, das war sehr schön.“

Wälder bislang nur unzureichend geschützt

Im Erzgebirge | Foto: Christoph von Eichhorn,  Radio Prague International

Doch dieser Lebensraum, diese Heimat, ist bedroht. Denn viele Waldflächen in der Region um Horní Jiřetín gehören heute privaten Besitzern. Und die gehen häufig nicht gerade zimperlich mit den Bäumen um – viele werden abgeholzt, um Profite zu erwirtschaften. Für den Ort mit 2300 Einwohnern eine große Herausforderung, meint Buřt…

„Wir sind eine Kleinstadt, und alle Probleme löst der Bürgermeister.“

Das Problem, das den Bürgermeister besonders umtreibt, ist der mangelhafte Schutz der alten Buchenwälder im Erzgebirge. Deshalb würde er sie am liebsten zum Schutzgebiet erklären lassen. Auf der Wanderung begleitet uns auch Jeňýk Hofmeister von der tschechischen Agraruniversität in Prag. Der Forstökologe erforscht alte Wälder in Mitteleuropa – und ist von der Natur hier begeistert.

„Es handelt sich hier um einen reinen Buchenwald. Aber er ist vorwiegend nach Südosten ausgerichtet. Das ist zum Beispiel sehr gut für Käfer, sie leben in den Bäumen, ziemlich verschattet. Aber die Sonne findet einen Weg bei dieser Ausrichtung. Die Höhe beträgt hier zwischen 300 und 1000 Meter über dem Meeresspiegel. Die Bäume unten im Tal sind groß und dick, aber wenn wir hinaufgehen, werden die Bäume immer kleiner, immer dünner.“

Bürgermeister Vladimír Buřt  (links) und Waldökologe Jeňýk Hofmeister | Foto: Christoph von Eichhorn,  Radio Prague International

Mehr als 470 Jahre: Älteste Buche Tschechiens wächst hier

Obwohl hier keine anderen Bäume als Buchen wachsen, seien die Wälder daher sehr vielfältig, meint Hofmeister. Auch die vielen schroffen Felsklippen, die man an den Flanken der Berge sieht, tragen zur Vielfalt des Gebiets bei. Die Buchen haben es mit ganz unterschiedlichen Lebensräumen zu tun, je höher der Ort liegt, an dem sie wachsen.

Auch unsere Gruppe steigt nun immer höher, immer wieder müssen wir stoppen, um den richtigen Weg finden.

„Wir können diesen Weg hier nehmen, der steiler ist. Oder wir nehmen den langen, der nicht so bergig ist. Ich würde den hier bevorzugen. Der ist besser, oder?“

Auf dem Weg im Erzgebirge | Foto: Christoph von Eichhorn,  Radio Prague International

Also den kurzen, aber steilen Weg. Der Wald ist hier lichter, viele Baumstümpfe ragen aus der Erde. Oder halbe Bäume ohne Äste. Es sind die Spuren von Abholzung, etliche Bäume wurden vor einigen Jahren hier gefällt. 2021 gelang es aber, mit dem Besitzer einen Vertrag zu schließen. Das Teilstück ist nun geschützt, der Wald wird teilweise ganz sich selbst überlassen. Doch einen großen Haken hat die Sache: Der Vertrag gilt nur auf zehn Jahre, danach muss eine neue Lösung zum Schutz des Waldstücks her – möglichst eine dauerhafte, findet Jeňýk Hofmeister.

„Wir hoffen, dass die tschechische Gesellschaft die Wälder überall schützen will, für alle Zeiten. Dass dieser temporäre Vertrag zu etwas Dauerhaftem wird.“

Gelingt das nicht, sind auch Bäume bedroht wie der, den wir jetzt erreichen – nach einer kurzen Kletterpartie.

Dann sehen wir sie: die älteste Buche Tschechiens, seit mehr als 470 Jahren wächst sie hier. Als der Dreißigjährige Krieg ausbrach, muss dieser Baum bereits recht stattlich gewesen sein. Trotzdem sieht man der Buche heute ihr Alter kaum an – sie wirke geradezu jung, findet Jeňýk Hofmeister.

„Gar keine Hohlräume sind in diesem Baum! Noch immer ist er vital, er hat vielleicht 70 Zentimeter im Durchmesser, das ist nicht so viel. Man kann hier sehen, wie viele Äste nicht mehr an ihrem ursprünglichen Platz sind. Die Baumkrone hat sich innerhalb der Lebensspanne mehrmals geändert.“

Ein Kollege Hofmeisters von der Prager Agraruniversität hat den Baum angebohrt und eine Holzprobe genommen – so konnten die Forscher anhand der Jahresringe das Alter des Baums bestimmen.

Die älteste Buche Tschechiens wächst seit mehr als 470 Jahren hier. | Foto: Vojtěch Čada,  Tschechische Landwirtschaftsuniversität

Kahlschlag bei Mariánské Údolí

Vladimír Buřt macht mit seinem Handy viele Fotos. Der Bürgermeister von Horní Jiřetín ist stolz darauf, dass die älteste Buche in der Nähe seiner Stadt wächst.

„Ich sehe auf diese Buche mit großer Ehre, das ist sehr schön.“

Doch nicht überall geht es den Wäldern so gut wie hier, wie wir nach dem Abstieg ins Tal sehen können. Bürgermeister Vladimír Buřt stoppt das Auto nun am Fuße eines steilen Hangs bei Mariánské Údolí / Marienthal. Er ist fast komplett abgeholzt, ein Kahlschlag. Große Maschinen haben im letzten Winter die Bäume abgeerntet. Vom einstmals dichten Wald sind nur noch dünne Streifen übrig – zwischen ihnen ein Meer aus Stümpfen. Wohl bis zu 150 Jahre waren die Bäume hier alt. Innerhalb kürzester Zeit seien sie abgeerntet worden, beklagt Vladimír Buřt.

„Das ging sehr schnell. Einige Tage, zwei Wochen vielleicht. Sehr, sehr schnell.“

Abholzung in Mariánské údolí | Foto: Christoph von Eichhorn,  Radio Prague International

Der Bürgermeister alarmierte zwar sofort die Kreisregierung über den Eingriff – doch die habe sich Zeit gelassen und erst nach rund einer Woche jemanden vorbeigeschickt. Zu spät, um noch etwas gegen die Abholzung zu unternehmen. Buřt hat beobachtet, dass viele der gefällten Baumstämme mit LKW ins Ausland transportiert wurden, etwa nach Deutschland. Der Bürgermeister fürchtet, dass die Folgen vor Ort noch lange zu spüren sein werden.

„Das ist die Südseite des Bergs. Im Sommer sticht die Sonne hier runter, den ganzen Frühling und Sommer lang. Das ist nicht gut, dadurch herrscht Trockenheit an diesen Abhängen.“

Mindestens zwei illegale Abholzungen

Minutenlang fährt man mit dem Auto die kahlen Hänge entlang. Der Kahlschlag rief auch die Umweltorganisation Greenpeace auf den Plan. Sie hat die Abholzung im Osterzgebirge kürzlich in einem Bericht dokumentiert. Lukáš Hrábek, Pressesprecher von Greenpeace in Tschechien, erläutert die Ergebnisse der Untersuchung.

„Mindestens zwei Abholzungen sind illegal erfolgt. Ich habe keine Scheu, dieses Wort zu verwenden, weil die tschechische Umweltinspektion jetzt bestätigt hat, dass wir mit dieser Vermutung richtig lagen.“

Abholzung im Erzgebirge | Foto: Ibra Ibrahimovič,  Greenpeace

Zu den mutmaßlich illegalen Abholzungen zählt auch jene oberhalb von Horní Jiřetín in Mariánské Údolí. Das Waldstück bewirtschaftet die Firma Royal Pine, die einem deutschen Geschäftsmann gehört. Greenpeace meldete den Vorfall bei der tschechischen Umweltinspektion, die der Beschwerde im Dezember stattgab. Demnach hätte Royal Pine vor dem Fällen der Bäume eine Genehmigung einholen müssen. Laut der Presseagentur ČTK hat der Besitzer aber Widerspruch gegen die Beschwerde angekündigt. Der Eingriff vor Ort sei im Einklang mit den Gesetzen erfolgt, behauptet der Eigentümer. Bis die juristische Aufarbeitung abgeschlossen ist, könnte es noch dauern. Für das Waldstück ist es in jedem Fall zu spät.

Heizen mit Holz kann den Wäldern schaden

Greenpeace hat auch verfolgt, was mit dem Holz am Ende passiert. Ein großer Teil davon lande am Ende im Ofen, sagt Lukáš Hrábek.

„Wir wissen, dass die Firma das Holz an eine lokale Firma verkauft hat, die Feuerholz verkauft. Wir haben GPS-Tracker in einigen Baumstämmen oberhalb von Horní Jiřetín platziert und sie bis nach Chomutov in 20 Kilometern Entfernung verfolgt.“

Hrábek appelliert daher an Verbraucher, gut zu überlegen, bevor sie mit Holz heizen.

„Praktisch alle getrackten Bäume endeten entweder in Papierfabriken oder als Feuerholz. Wir sind daher der Ansicht, dass es dem Schutz der alten, wertvollen und artenreichen Wälder nicht dienlich ist, Holz zu verbrennen. Das kann sehr problematisch sein.“

Abholzung im Erzgebirge | Foto: Ibra Ibrahimovič,  Greenpeace

Greenpeace fordert Landschaftsschutzgebiet

Doch wie könnte ein solcher Ausverkauf wie in Mariánské Údolí künftig verhindert werden? Zum Beispiel könnte das Gebiet zu einem Landschaftsschutzgebiet erklärt werden. Nach den Nationalparks sei dies die zweitstrengste Naturschutzkategorie in Tschechien, so Lukáš Hrábek von Greenpeace.

Erzgebirge | Foto: Miloš Turek,  Radio Prague International

„Es ist ein bisschen zum Schämen, dass das Erzgebirge noch immer kein Landschaftsschutzgebiet ist. Es handelt sich um den einzigen großen Gebirgszug in Tschechien ohne einen solchen Status. Alle anderen Bergketten sind Nationalparks oder zumindest Landschaftsschutzgebiete.“

Das Umweltministerium arbeitet laut Greenpeace mittlerweile an der Einrichtung eines solchen Schutzgebiets. Dabei mahnt die Organisation zur Eile – denn je länger es dauert, desto größer die Waldfläche, die in der Zwischenzeit verlorengeht.

Plötzlich erklingt Beethoven über dem Tagebau

Der Zeitpunkt ist noch aus einem weiteren Grund günstig – denn in zwei Jahren endet auch die jahrzehntelange Förderung von Braunkohle nahe Horní Jiřetín. Bürgermeister Vladimír Buřt führt zum Abschluss der Wanderung zu einem Aussichtspunkt über dem Tal. Von hier aus blickt man nicht nur auf die Wälder, sondern auch auf die Mondlandschaft des Braunkohletagebaus. Ein Teil davon soll bald renaturiert werden. Aus dem Tagebau könnte ein neuer Wald werden.

Horní Jiřetín | Foto: Denisa Tomanová,  Radio Prague International

Der Blick vom Aussichtspunkt fällt auch auf das Barockschloss Jezeří / Eisenberg, einst ein regionales Zentrum für Theater und Musik. Hier wurde Anfang des 19. Jahrhunderts Beethovens 3. Symphonie aufgeführt, die „Eroica“.

Aus dem Boden des Aussichtspunktes ragt ein rohrförmiger Lautsprecher, „Poesieomat“ genannt. Bürgermeister Vladimír Buřt dreht schwungvoll eine Kurbel an der Seite des Lautsprechers. Und plötzlich erschallt Beethovens „Eroica“ erneut über den Wäldern.

Schloss Jezeří | Foto: Filip Jandourek,  Tschechischer Rundfunk
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Autor: Christoph von Eichhorn
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