Neuer Premierminister schaffte Blitzstart
Vor genau zwei Monaten hat der neue tschechische Premierminister, der Sozialdemokrat Jirí Paroubek, das Programm seiner Regierung vorgestellt. Drei Tage später erzielte sein Kabinett bei der Vertrauensabstimmung im Abgeordnetenhaus die erforderliche Mehrheit von genau 101 zu 99 Stimmen. Seither sind zwar noch nicht jene berühmten hundert Tage vergangen, die man neuen Regierungen üblicherweise zugesteht, bevor die ersten Bilanzen gezogen werden. Dennoch aber lässt sich bereits jetzt sagen: Paroubek, früher Vizebürgermeister von Prag und dann Minister für Regionalentwicklung, hat einen Blitzstart hingelegt. Die Umfrageergebnisse für seine Partei haben seit langem wieder eine steigende Tendenz, und Paroubek kämpft in gleich mehreren politischen Schlüsselbereichen unnachgiebig um die Themenführerschaft. Gerald Schubert zeichnet im nun folgenden "Schauplatz" ein Portrait des neuen Regierungschefs.
Noch Mitte April schien die tschechische Regierung in einer geradezu ausweglosen Situation zu sein: Die kleinste Koalitionspartei, die liberale Freiheitsunion (US-DEU), befand sich in den Meinungsumfragen bereits seit vielen Monaten quasi im Wachkoma. Und die anderen beiden Parteien, die Christdemokraten (KDU-CSL) und die Sozialdemokraten (CSSD), hatten sich in einen Streit rund um die Frage, wie der damalige Premierminister Stanislav Gross seine Wohnung finanziert hatte, scheinbar hoffnungslos ineinander verkeilt. Darüber hinaus waren auch die Umfragewerte der Sozialdemokraten in den Keller gesackt und lagen bereits eindeutig hinter denen der Kommunistischen Partei (KSCM) zurück. Um das Bild der Parteien zu komplettieren: Die oppositionelle Demokratische Bürgerpartei (ODS) lag in der Wählergunst stabil an der Spitze.
In vielen Punkten hat sich eigentlich bis heute nichts geändert: Die Freiheitsunion kränkelt immer noch in der Nähe von einem Prozent Zustimmung, und die ODS ist nach wie vor selbstbewusste Nummer Eins in allen Umfragen. Aber Politik ist eben auch Stimmungssache, eine Frage von Tendenzen und neuen Entwicklungen. Die Regierungskrise rund um die Wohnung von Gross wurde beigelegt, Gross trat zurück, und an der Spitze des Kabinetts steht ein neuer Mann: Jirí Paroubek. Der 52-Jährige gibt sich kämpferisch, und in den Juni-Umfragen haben die Sozialdemokraten gegenüber dem Mai um mehr als 5 Prozentpunkte zugelegt. Sie liegen nun bei etwa 22 Prozent. Das sind zwar immer noch 11 Prozent weniger als die ODS derzeit für sich verbuchen kann, aber immerhin: die Sozialdemokraten haben die Kommunisten erstmals seit langem wieder überholt. Das liegt wohl zum Teil auch daran, dass Paroubek mit der rechtsgerichteten Oppositionspartei ODS hart ins Gericht geht. Nicht nur, was die gegenwärtige Linie der ODS betrifft, die etwa in EU-Fragen eine sehr skeptische Haltung an den Tag legt, sondern auch hinsichtlich der Wirtschaftspolitik früherer ODS-Regierungen:
"Der gegenwärtige Zustand unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft trägt immer noch die schmerzhaften Stigmata einer überstürzten Schocktherapie, die von unerfahrenen Wirtschaftstheoretikern angeordnet wurde. Man muss nur darauf hinweisen, auf welch unverantwortliche Weise der Inflationsschock des Jahres 1991 vorbereitet wurde. Damals schnellten von einem Jahr auf das andere die Preise um 56 Prozent in die Höhe, und nach weiteren zwei Jahren waren sie mehr als doppelt so hoch als noch 1990."
Entwicklungen, die auch in den internationalen Vergleichszahlen bis heute spürbar sind, meint Paroubek:
"Hier hat auch das geheimnisvolle Paradox der Gegenwart seine Wurzeln, dass wir bei der Produktivität den westeuropäischen Staaten heute viel näher sind als beim Lohnniveau. Konkret: Im Jahr 2004 betrug das tschechische Einkommensniveau im Vergleich zum Durchschnitt der 15 alten EU-Staaten 42 Prozent, das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf jedoch 64 Prozent."
Die so attackierte ODS lässt das freilich nicht auf sich sitzen. Unisono weisen die Bürgerdemokraten darauf hin, dass Tschechien bereits seit 1998 sozialdemokratisch geführte Regierungen hat. Und sie bemühen sich, Paroubek in eine Reihe mit seinen oft glücklosen Vorgängern Vladimír Spidla und Stanislav Gross zu stellen:
"Angesichts der Tatsache, dass es sich bereits das dritte Mal um die gleiche Regierungserklärung handelt, und wir auch den früheren nicht zugestimmt haben, können wir auch diese Version nicht unterstützen", sagte etwa der stellvertretende ODS-Chef Ivan Langer, kurz nachdem Paroubek sein neues Regierungsprogramm vorgestellt hatte.
Vojtech Filip, Langers Amtskollege aus den Reihen der ebenfalls oppositionellen Kommunisten, sieht das jedoch ein bisschen anders:
"Wir sind davon überzeugt, dass Jirí Paroubek gewisse Qualitäten hat, die weder Vladimír Spidla noch Stanislav Gross hatten."
Apropos Spidla und Gross: Irgendwie sieht es so aus es, als würde Paroubek in gewissen Punkten eine recht funktionstüchtige Synthese seiner beiden Vorgänger darstellen. Von Vladimír Spidla, dem EU-begeisterten Historiker, der nach der verlorenen Wahl zum Europaparlament zurückgetreten war, hat er zwar nicht die stille Zurückhaltung übernommen, sehr wohl aber die konsequente Befürwortung der europäischen Integration. An Stanislav Gross hingegen erinnert seine offenkundige Begabung als Instinktpolitiker, der es auch versteht, an den Fäden der Macht zu ziehen. Dazu kommt noch Paroubeks hemdsärmelige Art, die wiederum als Erbe seines Vorvorgängers Milos Zeman erscheint, gewissermaßen des Urvaters der wieder erstarkten tschechischen Sozialdemokratie in der Nachwendezeit.
Die Zeit seit 1998, also die Zeit der Regierungen Zeman, Spidla und Gross, seien sechs fette Jahre gewesen, sagt Paroubek. Die Wirtschaftsleistung steigt kontinuierlich. Die Arbeitslosigkeit ist in einigen Gebieten Tschechiens zwar immer noch viel zu hoch, hat sich insgesamt aber mit etwa 8,5 Prozent in der Nähe des EU-Durchschnitts eingependelt. Und das Angebot an Waren und Dienstleistungen hat durchaus europäisches Niveau. Lobreden allein aber würden schlecht zum Pragmatiker Paroubek passen:
"Ich bin weit davon entfernt, in Jubel auszubrechen. Man muss ganz nüchtern sehen, dass diese fetten Jahre auch ihre Schattenseiten haben. Betrachten wir die reale Verbesserung des Lebensniveaus der Bevölkerung: Wenn es uns auch schmeichelt, dass wir nach den letzten internationalen Studien die niedrigste, ich wiederhole: die niedrigste Armutsquote in ganz Europa haben, so kann man doch nicht sagen, dass wir wirklich reich wären."
Vor allem Rentner, sagt Paroubek, würden im internationalen Vergleich relativ schlecht dastehen. Und es gäbe noch weitere Missverhältnisse:
"Konkret geht es darum, dass gerade bei hoch qualifizierten Arbeitskräften das Einkommengefälle entgegen jeder Logik noch viel größer ist als im Durchschnitt. Die Löhne von Mittel- und Hochschullehrern, Ärzten, Angestellten in der staatlichen Verwaltung, oder von Wissenschaftlern und Forschern sind nicht dreimal, sondern eher fünfmal oder sogar siebenmal niedriger als in den entwickelten Ländern Westeuropas."
Das pragmatische Wesen, das Paroubek attestiert wird, findet in mehreren ganz konkreten Politikfeldern seinen Ausdruck. Die Ratifizierung der EU-Verfassung etwa betrachtet er, so sagte er gleich am Beginn seiner Amtszeit, als "Super-Priorität" für seine Regierung. Und andere heikle Bereiche, wie etwa das kränkelnde Gesundheitswesen, erklärte er sozusagen zur Chefsache. Seine Devise scheint zu sein: Anpacken ja, aber mit sozialem Augenmaß. ODS-Vorschläge wie etwa ein einheitlicher Steuersatz für alle kritisiert Paroubek heftig - und vor allem mit dem Hinweis, dass man sich über die soziale Realität der tschechischen Gesellschaft bei allen Fortschritten keine Illusionen machen darf:
"Unvorsichtige Eingriffe in das gegenwärtige Renten-, Gesundheits- oder Schulsystem oder eine sofortige Deregulierung der Mieten ohne soziale Kompensationen könnten verhältnismäßig breite Schichten der Bevölkerung an oder unter die Armutsgrenze bringen. Ich verstehe die kritischen Anmerkungen von Unternehmern, die beklagen, dass die Arbeitgeberbeiträge zur Gesundheits- und Rentenversicherung 40 Prozent der Lohnkosten betragen. Aber großen Spielraum für die Umwälzung dieser Last auf die Arbeitnehmer gibt es nicht."
Mit Worten wie diesen konnte Paroubek die Sozialdemokratie immerhin wieder an die Spitze der linken Hälfte des politischen Spektrums bringen. Dennoch: Wenn die ODS - und derzeit sieht es ganz danach aus - die nächsten Wahlen gewinnt, dann könnte gerade Paroubek als der Premierminister in die Geschichte eingehen, der das Amt für seine Partei verloren hat. Für eine Fortsetzung der Trendwende bleibt ihm noch ein Jahr Zeit.
Foto: www.paroubek.cz