Tschechische Wirtschaft in der Coronakrise
In vielen Wirtschaftsbranchen wird wieder gearbeitet. Doch das volle Ausmaß des Corona-Lockdowns ist noch längst nicht bekannt. Die aktuellen Zahlen über die Industrieproduktion in Tschechien zeigen allerdings schon, dass zahlreiche Firmen große Verluste hinnehmen mussten. Und manche Branchen wie der Fremdenverkehr leiden unter um Umständen mittelfristig noch weiter. Auf der anderen Seite ist die Arbeitslosenrate hierzulande immer noch vergleichsweise niedrig. Wie geht das aber zusammen?
Auch bei der wohl wichtigsten tschechischen Firma laufen die Bänder wieder: Der Pkw-Hersteller Škoda hat am 27. April die Produktion erneut angeschmissen. Doch die Nachfrage nach Autos ist zurückgegangen. Petr Dufek ist Wirtschaftsanalyst bei der Tschechoslowakischen Handelsbank (ČSOB). Der Ökonom glaubt, dass die Vorkrisenzahlen nicht so einfach wieder erreicht werden können:
„Die meisten Fahrzeuge in Europa werden normalerweise von Firmen gekauft. Doch viele Unternehmen sparen derzeit. Deswegen bin ich eher skeptisch bei der Nachfrage nach Autos.“
Die Aussichten in der tschechischen Schlüsselindustrie sind also nicht so toll. Immerhin trägt die Automotiv-Branche mit fast zehn Prozent zum tschechischen Bruttoinlandsprodukt bei. Und 150.000 Menschen sind hierzulande laut CzechInvest in diesem Bereich beschäftigt.
Noch schlägt sich die Lage bei den Beschäftigungszahlen nicht sonderlich nieder. So erhöhte sich im Mai die Arbeitslosenrate in Tschechien nur um 0,2 Prozentpunkte. Das entspricht 12.000 Erwerbsfähigen, die nun zusätzlich nach einem Job suchen.
Arbeitslosenzahlen noch niedrig
Wenn man sich in einer Gegend hierzulande mit Arbeitslosen auskennt, dann im Kreis Mährisch-Schlesien. Die schwerindustriell geprägte Region liegt in den Erwerbslosen-Statistiken immer weit vorne. Vladana Piskořová leitet beim dortigen Arbeitsamt den Bereich „Beschäftigung“ und sagt:
„Aus unseren Erfahrungen wissen wir, dass es meist nicht zu einem sprunghaften Anstieg der Arbeitslosenzahlen kommt, wenn wir uns auf eine Rezession oder eine Krise zubewegen oder ein Strukturwandel nötig ist. Stattdessen steigen die Zahlen langsam an, über mehrere Monate hinweg und in manchen Fällen auch mehrere Jahre lang.“
Droht das nun auch in der Corona-Krise, deren weitere Entwicklung noch niemand richtig einschätzen kann? Bořivoj Minář ist stellvertretender Vorsitzender der tschechischen Handelskammer. Er befürchtet vor allem, dass die Verbraucher noch länger sehr vorsichtig agieren könnten.
„Die größte Gefahr sehe ich in der negativen Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung. Diese rührt von den ständigen Warnungen vor Horrorszenarien her, die eine Art Endzeitstimmung geschaffen haben. Das könnte der größte Stolperstein werden für die Entwicklung der tschechischen Konjunktur“, so Minář.
Dabei heißt es vonseiten der Regierung, man habe enorm viel unternommen, um der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Der Staatssekretär im Arbeits- und Sozialministerium Robin Povšík hebt vor allem die Kurzarbeit hervor. „Antivirus“ heißt das entsprechende Programm des tschechischen Staates…
„Ich denke, dass das Arbeits- und Sozialministerium unter der Leitung von Ressortchefin Jana Maláčová schon viel Arbeit geleistet hat. Das häufig genannte Programm ‚Antivirus‘ hilft den Unternehmen, ihre Mitarbeiter weiter auszubezahlen, auch wenn sie im Moment dort keine Beschäftigung haben. Nicht nur wir, sondern auch zahlreiche Analytiker und renommierte Wirtschaftswissenschaftler sind überzeugt, dass auch dies die Arbeitslosenzahlen bisher niedrig hält. Und dass die Firmen diese Unterstützung auch spüren“, findet der Staatssekretär.
Das Programm „Antivirus“ wurde bereits am 6. April aufgelegt. Dazu kommt das Programm „Covid“ – über dieses können Firmen und Gewerbetreibende Kredite aufnehmen, für die dann der tschechische Staat haftet. Das heißt, es fallen keine Zinsen an.
Kommt die staatliche Hilfe zu spät?
Die ersten beiden Covid-Programme richteten sich allerdings nur an kleinere und mittelständische Unternehmen. Außerdem waren die Gelder viel zu knapp bemessen. Das hat man auch beim Gewerkschaftsdachverband ČMKOS registriert. Deswegen sagt der Verbandsvorsitzende Josef Středula:
„Ich denke, die tschechische Hilfe muss man für eine Beurteilung mit den deutschen Maßnahmen vergleichen. Dann sieht man, dass dies wie Tag und Nacht ist. Die Regierung in Berlin hat sich von Anfang an bemüht, die Kaufkraft der deutschen Bürger zu erhalten und die Firmen vor der Pleite zu bewahren. In Prag wurden hingegen zunächst große Fehler gemacht, auf die wir Gewerkschaften auch hingewiesen haben. Und zwar wurde auf eine Finanzierung aus europäischen Geldern gesetzt, anstatt direkt Hilfsgelder auszuzahlen. Das sind die beiden Programme ‚Covid I‘ und ‚Covid II‘, die Schiffbruch erlitten haben. Sie haben den Firmen nicht wirklich geholfen. Nach langer Vorbereitung wurde jetzt ‚Covid III‘ aufgelegt. Aber das hätte schon viel früher geschehen müssen. Deswegen kommt die Hilfe leider zu spät für viele Wirtschaftssubjekte.“
Die ersten beiden Covid-Programme waren innerhalb weniger Tage ausgeschöpft. Sie hatten einen Umfang von zusammen 35 Milliarden Kronen (1,3 Milliarden Euro). Außerdem konnten nur Firmen mit bis zu 250 Angestellten die Kredite beantragen. „Covid III“ umfasst nun 150 Milliarden Kronen (5,5 Milliarden Euro). Es steht zudem Unternehmen mit bis zu 500 Angestellten zur Verfügung.
Das Kurzarbeit-Programm „Antivirus“ bezeichnet Gewerkschaftsboss Středula hingegen als „beste Maßnahme der Regierung“. Zugleich muss er aber auch dort Kritik ansetzen. Denn die Firmen zahlen den Lohnersatz zunächst aus der eigenen Tasche, erst in der Folge können sie sich diesen von den Arbeitsämtern erstatten lassen.
„Noch besser wären staatliche Vorschüsse, damit die Firmen den Lohnersatz überhaupt auszahlen können. Die Gelder würden dann erst anschließend in Rechnung gestellt“, sagt Středula.
Dass die Hilfsprogramme für die tschechische Wirtschaft nicht so funktionieren, wie es nötig wäre, zeigt auch eine Umfrage der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer (DTIHK) von vergangener Woche. Dabei wurden 107 Unternehmen befragt, die Mitglieder der Kammer sind. In einer Presseaussendung dazu heißt es:
„In der jüngsten Umfrage der DTIHK beklagt ein Viertel der Unternehmen, die Unterstützung beantragt haben, dass diese Hilfe nur teilweise angekommen ist. 36 Prozent sind bisher sogar leer ausgegangen.“
Wie die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer weiter anführt, beklage jedes vierte Unternehmen „hohe Einbußen“ und knapp jedes zehnte sehe sich in seiner Existenz bedroht.
Der Faktor „Auslandsnachfrage“
Gewerkschaftsboss Josef Středula befürchtet, dass das dicke Ende für die Konjunktur in Tschechien erst noch kommen könnte.
„Natürlich hängt dies davon ab, wie die Firmen ihre wirtschaftliche Lage einschätzen und zu welchen Lösungen sie greifen. Falls sie ihre Beschäftigtenzahlen reduzieren wollen, dann wird das einige Monate dauern. Denn es bestehen Kündigungsfristen und weitere Absprachen wie etwa zu Abfindungen.“
Aber auch die Selbständigen könnten erst mit Verzögerung die Arbeitslosenzahlen nach oben treiben. Über eine halbe Million von ihnen haben Unterstützungsleistungen aus dem staatlichen Programm erhalten. Doch der Gewährungszeitraum ist am Montag zu Ende gegangen. Die unbeantwortete Frage lautet: Wie viele der Gewerbetreibenden können auch nach der Krise weitermachen?
Und Wirtschaftsanalytiker Petr Dufek fügt noch einen weiteren Aspekt hinzu:
„Gerade in den Grenzregionen steigen schon jetzt die Arbeitslosenzahlen. Dort besteht unter anderem das Problem mit den Berufspendlern, die nicht mehr zu ihren Arbeitsstellen fahren konnten. Sie haben sich daher als jobsuchend gemeldet. Das halte ich für ein erstes Anzeichen der kommenden Entwicklung.“
Wie hoch also die Arbeitslosenzahlen in Tschechien steigen werden, mag noch niemand fundiert beantworten. Ebenso wenig bekannt ist die weitere konjunkturelle Entwicklung. Jakub Seidler ist Hauptökonom der ING Bank. Er verweist darauf, dass die tschechische Wirtschaft stark exportorientiert ist:
„Aus meiner Sicht wird vor allem wichtig sein, wie sich in der zweiten Hälfte dieses Jahres die Nachfrage aus dem Ausland entwickelt. Das heißt, die Lage unserer Exporteure wird dann auch beeinflussen, wie schnell sich die tschechische Wirtschaft erholt. Im zweiten Quartal wird es einen deutlichen Einbruch bei den Zahlen geben, das ist bereits jetzt klar. Wichtig ist daher die Frage, wie schnell es danach wieder nach oben geht.“