Holocaust-Gedenktag: „Vernichtet wurde die Quelle der gesamten jüdischen Kultur“
Der 27. Januar ist in Tschechien ähnlich wie in anderen Ländern der Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Wegen der Corona-Pandemie finden die Gedenkveranstaltungen diesmal online statt. Am Mittwochvormittag wurde zum 16. Mal auch bei einem Treffen im tschechischen Senat an die Opfer erinnert. Das Treffen wurde vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen live übertragen.
Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinden, Petr Papoušek, eröffnete die Gedenkveranstaltung:
„Obwohl wegen den Corona-Maßnahmen praktisch keine Holocaust-Überlebenden mit uns im Saal sind, finde ich es wichtig, daran zu erinnern, dass vor 76 Jahren das KZ Auschwitz-Birkenau befreit wurde. Wir sind hier zusammengekommen, um zu sagen: ,Nie wieder! Man darf nicht vergessen.‘ In der Tschechischen Republik leben rund 550 Holocaust-Überlebende. Ich wünsche ihnen vor allem eine feste Gesundheit und hoffe, dass wir im kommenden Jahr hier im vollen Saal wieder zusammentreffen.“
Anschließend wandte sich ebenfalls der Senatsvorsitzende Miloš Vystrčil an die Holocaust-Überlebenden. Er wolle allen jenen danken, die den Schmerz überwunden und besonders jungen Menschen von ihrem Schicksal erzählt hätten, sagte der Bürgerdemokrat:
„Dies ist von großer Bedeutung, und ich danke ihnen dafür. Sie leisten eine verdienstvolle Arbeit. Ich möchte zudem meine Hochachtung gegenüber all jenen zum Ausdruck bringen, die nach ihrer Rückkehr aus dem KZ feststellen mussten, dass dort, wo sie früher lebten, nichts mehr war: weder Menschen und Beziehungen, noch Häuser. Sie haben sich entschieden, eine neue Heimat aufzubauen. Sie gründeten den Staat Israel. Dafür bin ich ihnen dankbar.“
Weiter betonte der Senatsvorsitzende, dass man zu bestimmten Dingen klare Stellung beziehen müsse. Vystrčil kritisierte in diesem Zusammenhang, dass einige Menschen an Orten des Gedenkens Schlittenfahren waren – so vor kurzem in Lidice oder in Buchenwald. Und der Politiker ergänzte:
„Ich halte es für eine bodenlose Unverschämtheit, wenn Impfgegner bei ihren Protesten einen Davidstern tragen. Dies ist eine unglaubliche Respektlosigkeit. In diesem Zusammenhang zitiere ich einen Satz von Edmund Burke: ‚Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun.‘ Ich bitte alle diejenigen, die bisher noch nichts dafür unternommen haben, damit die Geschichte nicht vergessen wird, dass sie wenigstens etwas Kleines tun.“
Der Vorsitzende des Abgeordnetenhauses, Radek Vondráček (Partei Ano), erinnerte daran, dass auch heute die Juden in der Welt dem Antisemitismus entgegenwirken müssen.
„Zu der wohl bekannten Triade des Bösen, die von den Ultralinken, den Rechtsradikalen und dem radikalen Islamismus gebildet wird, sind in letzter Zeit Konspirationstheorien im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie hinzugekommen. In den Social Media wird wieder Hass verbreitet, und Mitglieder antisemitischer Gruppierungen verüben Terrortaten. Dies geschieht nicht irgendwo auf einem anderen Kontinent, sondern manchmal nicht weit von unserer Grenze entfernt.“
Michaela Vidláková war während der deutschen Besatzung in Theresienstadt interniert. Sie war gerade einmal sechs Jahre alt, als sie zusammen mit ihren Eltern in das KZ kam. Vidláková erkrankte zwar an Typhus, Scharlach und Masern, und das ohne Medikamente, aber sie überlebte. Im Senat machte sie machte auf die Folgen des Holocausts in der Gesellschaft aufmerksam.
„Mehr als 90 Prozent der jüdischen Bevölkerung der europäischen Länder, die von den Nationalsozialisten besetzt worden sind, wurden ermordet. Und vor allem auch Kinder waren darunter. Damit wurden die Wurzeln vernichtet, aus denen Generationen von Rabbinern, Denkern und Philosophen hervorgegangen sind genauso wie Begründer der europäischen Industrie, des Handels, des Bankwesens aber auch Künstler, Forscher und Ärzte. Vernichtet wurde die Quelle der gesamten jüdischen Kultur, das Herz des jüdischen Volkes mit seinen alten Liedern und klugen Witzen. Das ist der vollständige Sinn des Wortes Holocaust. Vielleicht wäre aus diesen Wurzeln auch jemand hervorgegangen, der ein Medikament gegen die jetzige Pandemie erfunden hätte. Genauso wie es dem Arzt Paul Ehrlich gelang, die Chemotherapie einzuführen, oder den Ärzten Sabin und Salk, die Kinderlähmung fast auszurotten.“
Es sei notwendig, ständig entschieden gegen das Böse anzukämpfen, ergänzte Michaela Vidláková:
„Jeder kann an seinem Ort mit einer kleinen Tat dazu beitragen. Schon vor 2000 Jahren mahnte ein Denker, der aus dem jüdischen Volk stammte und der hebräisch Jehoschua, also Jesus, hieß: ‚Seid gut und lasst euch vom Bösen nicht überwinden!‘ Und zuvor sagte der weise Rabbi Hillel in den Sprüchen der Väter: ‚Wenn nicht ich, wer dann? Und wenn nicht jetzt, wann denn?‘“