Die Wahl zum tschechischen Abgeordnetenhaus 2021
Am 8. und 9. Oktober wählen die Tschechen ein neues Abgeordnetenhaus. Im Folgenden erläutern wir das tschechische Wahlsystem und stellen die wichtigsten Parteien vor.
Das Abgeordnetenhaus ist die untere Kammer des tschechischen Parlaments. Sie wird in einer Verhältniswahl neu besetzt. Allerdings ist das Auszählungsverfahren in diesem Jahr zu einem Streitpunkt geworden. Denn das Verfassungsgericht hat das sogenannte d‘Hondtsche Höchstzahlverfahren verboten, weil diese Art der Sitzverteilung die großen Parteien bevorteilt. Auf der einen Seite verbessert diese Methode die Position des Wahlsiegers und erhöht die Chance auf die Bildung einer stabilen Regierungskoalition, auf der anderen Seite verzerrt es das tatsächliche Abstimmungsergebnis. Das tschechische Parlament hat daher das Auszählungsverfahren so angepasst, dass die Mandatsvergabe besser die Stimmanteile der einzelnen Parteien widerspiegelt.
Für einzeln kandidierende Parteien gilt die Fünfprozenthürde, um ins Abgeordnetenhaus einzuziehen. Haben sich zwei Parteien zu einer Wahlkoalition zusammengeschlossen, benötigt diese acht Prozent der Stimmen. Bei einer Koalition von drei Parteien und mehr beträgt die Hürde elf Prozent.
Tschechien ist in 14 Wahlkreise aufgeteilt, die den jeweiligen Regionen als Verwaltungseinheiten entsprechen. Allerdings unterscheiden sich diese 13 Kreise sowie Prag als kreisfreie Stadt stark in der Bevölkerungszahl. In den vier größten Regionen (Prag sowie die Kreise Mittelböhmen, Südmähren und Mährisch-Schlesien) lebt die Hälfte der Menschen im Land. Das heißt in der Praxis, dass in einem der kleinen Kreise (wie zum Beispiel dem Kreis Karlovy Vary / Karlsbad) nicht einmal zehn Prozent der Stimmen reichen müssen, um ein Mandat zu bekommen. Dieses Problem wurde für die anstehenden Wahlen noch nicht gelöst. Der Vorschlag, ganz Tschechien zu einem einzigen Wahlkreis zusammenzufügen, wurde dieses Jahr vom Parlament abgelehnt.
Eine Besonderheit in Tschechien ist, dass die Wahlbüros an zwei Tagen geöffnet sind. Und zwar immer am Freitag ab 14 Uhr und am Samstag dann noch bis 14 Uhr. Der Wahlbeginn am Freitagnachmittag erklärt sich als Entgegenkommen gegenüber den Städtern, die traditionell am Freitagabend zu ihrem Wochenendhaus aufs Land aufbrechen. Ein Vorteil ist zudem, dass die Auszählung am Samstag bereits relativ zeitig beginnen kann, sodass meist am frühen Abend ein erstes belastbares Ergebnis feststeht. Die Abgeordnetenhauswahl in diesem Jahr findet am 8. und 9. Oktober statt.
Wichtigste Parteien, die fürs Abgeordnetenhaus kandidieren
Partei Ano
Sieger der vergangenen Wahl (29,6 Prozent). Ano ist eine noch junge politische Partei, die von einem der reichsten tschechischen Bürger, dem gegenwärtigen Regierungschef Andrej Babiš, geführt wird. Die umfangreichen unternehmerischen Aktivitäten des Parteigründers und Vorsitzenden sind Gegenstand zahlreicher Debatten zu möglichen Interessenkonflikten bei der Zuteilung von EU-Fördergeldern. Die Partei ist eher liberal ausgerichtet und wird oft als populistisch bezeichnet. Unter der gegenwärtigen Regierung, die Ano gemeinsam mit den Sozialdemokraten bildet, wurden die Renten aufgestockt und Ermäßigungen für Senioren und Studierende im öffentlichen Verkehr eingeführt. Die Partei wird jedoch auch für das starke Anwachsen des Haushaltsdefizits kritisiert.
Piraten + Stan
Wahlkoalition der Piratenpartei und der Bürgermeisterpartei (Stan). Die Piraten gelten als eine Partei junger, liberaler und aus Städten stammender Wähler, während Stan sich eher auf Wähler in kleineren Gemeinden stützt. Das Bündnis lässt sich in der politischen Mitte verorten und hat eine liberale Ausrichtung. Die tschechischen Piraten werden nach den diesjährigen Wahlen mit großer Wahrscheinlichkeit die erfolgreichste Piratenpartei in Europa sein. Sie pflegen eine proeuropäische Haltung und geben als Ziel aus, das Land zu modernisieren und zu digitalisieren.
Gemeinsam (Spolu)
Wahlkoalition der Bürgerdemokraten (ODS), der Christdemokraten (KDU-ČSL) und der Partei Top 09, die sich selbst als konservativ einordnen. Die größte der drei Parteien, die ODS, war seit der Entstehung der Tschechischen Republik im Jahr 1993 eine der Stützen des Parteisystems, ähnlich wie die links orientierten Sozialdemokraten. 2013 erlitt die ODS bei den Wahlen eine Niederlage und sackte von über 20 auf unter acht Prozent ab. Aktuell zielt sie auf die Rückkehr an die politische Spitze. Die Dreierkoalition will das schnelle Anwachsen der Staatsschulden bändigen. Gleichzeitig lehnen sie Steuererhöhungen ab.
Sozialdemokratische Partei (ČSSD)
Die Partei, die 1998, 2002, 2010 und 2013 noch die Wahlen gewonnen hat, droht nun an der Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug ins Abgeordnetenhaus zu scheitern. In der zu Ende gehenden Legislaturperiode beteiligten sich die Sozialdemokraten als Juniorpartner an der Regierung. Aktuelle Meinungsumfragen deuten darauf hin, dass Anhänger der Koalition die größere Regierungspartei Ano bei den Wahlen unterstützen. Gegner der Regierung werden logischerweise für Oppositionsparteien stimmen. Die Wählerschaft der traditionellen Linkspartei hat sich erheblich reduziert.
Freiheit und direkte Demokratie (SPD)
Die Partei unter der Führung von Tomio Okamura, einem Tschechen mit japanischen Wurzeln, will den größtmöglichen Einsatz von Methoden der direkten Demokratie, wie etwa Volksabstimmungen. Gleichzeitig steht sie der Europäischen Union sehr kritisch gegenüber und verfolgt eine gegen Zuwanderung gerichtete Politik. Sie strebt aktiv ein Bündnis mit rechtspopulistischen europäischen Politikern wie Matteo Salvini oder Marine Le Pen an.
Kommunistische Partei Böhmens und Mährens (KSČM)
Hervorgegangen aus der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei, die das Land von 1948 bis 1989 regierte. Lange hatte die KSČM eine solide Wählerbasis, der ihr eine stabile Unterstützung von 11 bis 18 Prozent der Stimmen sicherte. Nie aber war sie seit 1989 offiziell an der Regierung beteiligt. Bei den letzten Wahlen von 2017 erzielten die Kommunisten ihr bisher schlechtestes Ergebnis (7,76 Prozent). Im Abgeordnetenhaus unterstützten sie mit ihren Stimmen jedoch das Minderheitskabinett aus Partei Ano und ČSSD und wurden de facto zum stillen Partner der Regierung.
Der Eid (Přísaha)
Ein neues Subjekt in der politischen Szene Tschechiens. Die Bewegung wird geführt von Robert Šlachta, einem ehemaligen hochrangigen Polizeibeamten für die Bekämpfung von organisierter Kriminalität. Die Eindämmung von Korruption hat absolute Priorität im Programm der Gruppierung. Auf der politischen Rechts-Links-Skala lässt sich „Der Eid“ schwer einordnen. Auch ist nicht klar, mit welchen Parteien die Bewegung eine mögliche Koalition bilden könnte.
Ergebnisse der Parlamentswahlen 2017
Verbunden
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