Ein Sieg, aber kein Triumph: Das Wahlergebnis in Tschechien aus deutscher Sicht

Nach den Wahlen am Wochenende sind am Dienstag sowohl die neuen als auch die wiedergewählten Abgeordneten erstmals im Rahmen ihrer Fraktionen zusammengekommen. Parallel dazu laufen die Verhandlungen der Spolu-Koalition mit dem Bündnis aus Piraten und Bürgermeisterpartei Stan zur Regierungsbildung weiter. Kai-Olaf Lang von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik mit Sitz in Berlin beschäftigt sich als Politologe mit dem Geschehen in Tschechien. Im Interview gibt er eine Einschätzung des Wahlergebnisses.

Kai-Olaf Lang | Foto: Stiftung Wissenschaft und Politik

Herr Lang, die Abgeordnetenhauswahlen in Tschechien sind knapp ausgegangen. Die meisten Stimmen konnte die Koalition Spolu für sich verbuchen, ein Wahlbündnis aus den konservativen Parteien der Bürgerdemokraten, Christdemokraten und Top09. Spolu hat auch bereits ein Memorandum für Koalitionsverhandlungen mit dem Bündnis aus Bürgermeisterpartei und Piraten unterschrieben. Wie wird dieses Ergebnis in Deutschland aufgenommen?

„Die generelle Wahrnehmung lautet, dass es sich um eine Richtungswahl handelte und dass die tschechischen Wählerinnen und Wähler Andrej Babiš abgewählt haben. Außerdem dass es ein Votum für eine sachlichere Politik war und dass ein Großteil der tschechischen Gesellschaft erschöpft ist von der Art und Weise, wie Babiš Politik macht. Bei näherem Hinsehen erkennen wir aber, dass die Oppositionskräfte, die vermutlich die Regierung bilden werden, zwar einen Sieg einfahren konnten. Es handelte sich dabei aber nicht um einen Triumph. Denn viele Stimmen gingen an europaskeptische Parteien und Gruppierungen, die sehr stark das Nationale betonen. Einige davon sind zwar nicht ins Parlament gekommen. Aber die nationalistische SPD, die neue Gruppierung ‚Přísaha‘ – die eine Art Law-and-Order-Politik verfolgt – sowie kleinere Gruppierungen wie die ‚Trikolora‘ oder der ‚Volný blok‘ konnten fast ein Fünftel der Wählerstimmen auf sich vereinen. Und dann gibt es natürlich immer noch die treue Anhängerschaft von Andrej Babiš, die für Ano votiert hat. Diese ist, relativ in Mandaten gerechnet, die stärkste Partei geblieben. Es ist also keine Wahl, die eine Aufbruchsstimmung zum Ausdruck bringt. Aber es hat sich manifestiert, dass viele Menschen in Tschechien einen Wechsel wollen.“

Foto: Luděk Peřina,  ČTK

Nun haben Sie die Wahlerfolge für verschiedene Parteien und Gruppierungen rechts von der Mitte benannt. Das andere Ergebnis dieser Wahl ist, dass weder die Sozialdemokraten noch die kommunistische Partei wieder ins Abgeordnetenhaus einziehen. Was bedeutet das?

„Das ist sicherlich eine Zäsur. Die Kommunistische Partei Böhmens und Mährens ist schon seit längerem ein Auslaufmodell. Sie ist überaltert und hat es nicht vermocht, sich zu modernisieren – nicht nur in Bezug auf ihre Positionierungen, sondern vor allem auch auf die Formen. Sie war in den sozialen Medien nicht so präsent wie andere. Noch wichtiger ist aber vielleicht, dass die Sozialdemokraten der ČSSD nicht mehr in der Abgeordnetenkammer präsent sein werden. Tschechien ist somit eines der ganz wenigen Länder in Europa, in dem es keine Linke – auch keine gemäßigte Linke – im Parlament gibt. Die Frage ist, ob die Sozialdemokratie in den nächsten Jahren in der Lage sein wird, sich zu erneuern. Es gibt ein Beispiel, bei dem dies einer Partei gelungen ist: Die Christdemokraten sind auch einmal aus dem Parlament geflogen und haben dann nach vier Jahren die Rückkehr geschafft. Aber es ist fraglich, ob es bei der ČSSD glaubwürdige Führungsfiguren gibt und ob und wie sie sich inhaltlich positioniert. Hier wird es einen Richtungsstreit geben zwischen jenen, die sich in der sozialliberalen urbanen Mitte sehen, und solchen, die die konservativen Sozialdemokraten zurückerobern wollen – also die Leute, die früher einmal in der Partei waren und dann zur Partei Ano von Babiš abgewandert sind.“

Buntes Regierungsbündnis

Die Wahlsieger und auch hiesige Kommentatoren proklamieren, dass mit dem Ergebnis die demokratischen Kräfte der tschechischen Politiklandschaft gewonnen hätten. Tatsächlich zählt der bisherige Premier Andrej Babiš und seine Partei Ano zum populistischen Lager. Wie sehen Sie das: Wird durch eine mögliche Regierung aus Spolu und PirStan die Demokratie in Tschechien gestärkt?

Andrej Babiš | Foto: Regierungsamt der Tschechischen Republik

„Zum einen wird es wahrscheinlich eine Regierungskoalition geben, die nun sehr stark auf das setzt, was man ‚gute Regierungsführung‘ nennt. Man will also eine moderne Verwaltung und mehr Transparenz sowie gleichzeitig Korruption bekämpfen. Zudem will man Interessenkonflikte vermeiden, wie sie etwa Andrej Babiš vorgeworfen wurden, oder auch die Digitalisierung voranbringen. Im weiteren Sinne wird dies also eine Regierung sein, die mehr Dezentralisierung verfolgt und die die Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden sowie auch bürgerschaftliches Engagement aufwerten will. Aber ich bin mir nicht sicher, ob all dies mittel- und längerfristig entscheidend sein wird. Denn es geht auch um wichtige Brot- und Butterthemen, bei denen diese Parteien liefern müssen. Das sind etwa soziale Themen oder die Frage der klimaorientierten Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft. Ganz konkret auch die steigenden Energiepreise oder generell die Inflation – das sind harte Herausforderungen, mit denen sich diese wahrscheinlich kommende Regierungskoalition auseinandersetzen muss. Zum anderen basiert eine funktionierende Demokratie immer auch darauf, dass es eine effektive und konstruktive Opposition gibt. Diesbezüglich tun sich ein paar Fragezeichen auf. Denn wenn Ano in der Opposition ist und Andrej Babiš nicht mehr Ministerpräsident sein wird, dann ist dies eine sehr ungewohnte Rolle für ihn. Wird seine Partei versuchen, als loyale Opposition aufzutreten, oder wird sie der Regierung eher Knüppel zwischen die Beine werfen? Dann gibt es noch die nationalistische SPD als weitere Oppositionspartei, die aber nur eine Anti-System-Gruppierung ist. Die Frage ist also: Wer ist eigentlich die tschechische Opposition?“

Vorsitzende der zukünftigen Regierungsparteien | Foto:  ČT24

Wie effektiv die neue Regierung sein wird, hängt also einerseits von den Themen ab. Andererseits wird sie vermutlich aus fünf Parteien bestehen. Wie stabil und konsensfähig ist so eine Konstellation?

„Dies ist ein doch recht buntes Bündnis. Das beginnt bei der bürgerdemokratischen ODS auf der einen Seite, die eine konservative Partei ist und zumindest früher immer auch eine deutliche europaskeptische Komponente hatte. Diese hat sich zwar abgeschliffen, ist aber immer noch präsent. Auf der anderen Seite reicht das Bündnis bis hin zu den Piraten, die man als progressiv oder linksliberal bezeichnen könnte. Ich glaube aber dennoch, dass diese heterogene Allianz erst einmal durchhalten kann. Und das nicht nur, weil die Piraten geschwächt sind und man sie mit ihren vier Abgeordneten im Extremfall nicht einmal zur Mehrheitsfindung bräuchte. Deswegen werden sie auch nicht besonders kantig auftreten. Aber die Regierung kann vor allem deswegen halten, weil diese Parteien ja angetreten sind als Anti-Babiš-Bündnis. Die Furcht vor einer Rückkehr von Babiš oder vor Obstruktionen durch ihn im Verein mit dem – jetzt schwer kranken, aber immer noch präsenten – Staatspräsidenten Zeman wird diese Koalition dann doch zusammenschweißen. Sie wird darum relativ stabil agieren können.“

Positivere Atmosphäre für tschechisch-deutsche Beziehungen

Und welche Auswirkungen wird diese Regierung auf die tschechisch-deutschen Beziehungen haben?

Foto: Tschechisches Fernsehen

„Die tschechisch-deutschen Beziehungen sind stabil. Es gibt eine robuste Kommunikationsinfrastruktur sowie einen strategischen Dialog zwischen den Regierungen. Zudem bestehen zivilgesellschaftliche Kontakte, und die Wirtschaft ist natürlich sehr eng miteinander verflochten. In den letzten Jahren, also auch während der Regierungsbeteiligung von Ano und mit Andrej Babiš als Ministerpräsidenten, haben sich die Beziehungen gut entwickelt. Babiš war jemand, der immer recht pragmatisch gegenüber Deutschland gehandelt hat. Ich glaube, daran wird sich in der Sache nicht viel ändern. Aber die Atmosphäre wird besser werden. Denn Babiš hatte bei ein paar Themen doch auch immer wieder den Stachel gelöckt – vor allem in Richtung Brüssel, bei Fragen der Migration etwa. Ich gehe davon aus, dass sich die neue tschechische Regierung da anders positionieren wird. Die ODS, die mit Petr Fiala wahrscheinlich den Ministerpräsidenten stellen wird, ist zwar keine integrationsfreundliche Partei. Aber insgesamt wird sich die neue Koalition konstruktiv aufstellen. Sie wird eine aktive Rolle in der Europäischen Union wie auch in den transatlantischen Beziehungen spielen wollen. Und sie wird natürlich auch versuchen, die Beziehungen nach Deutschland in den Vordergrund zu stellen und zu unterstreichen, dass das Nachbarland der zentrale Partner für sie ist. Ich glaube, dies wird in Berlin – auch hier mit einer neuen Regierung – auf viel Zustimmung stoßen. Wir sollten uns aber trotzdem nicht täuschen lassen: Es gibt ein paar Themenfelder – die etwa auch die europäische Politik betreffen –, bei denen Deutschland und Tschechien unterschiedliche Ansätze haben. Das wäre etwa die Frage der obligatorischen Verteilquoten für Flüchtlinge. Dies lehnt Tschechien bislang konsequent ab, und ich denke, dass wird auch in Zukunft so bleiben. Des Weiteren ist die Einführung des Euro zwar kein deutsch-tschechisches Streitthema. Aber die Frage bleibt, wann dieses wichtige Nachbarland, mit dem Deutschland ja auch wirtschaftlich eng verbunden ist, die Gemeinschaftswährung übernimmt. Auch das wird, glaube ich, nicht so schnell kommen. Es gibt zwar ein paar Parteien, die das prinzipiell befürworten, aber da wird die ODS vor sein. Und auch in der Klima- und Energiepolitik gibt es einige Unterschiede. Tschechien wird beim Übergang zu einer CO2-neutralen Klimawirtschaft weiterhin auf Atomkraft setzen und eine eher realistische Klimapolitik verfolgen, die auch wirtschaftliche und industrielle Interessen betont. Dies sind nur ein paar Beispiele dafür, dass es nun nicht gerade ein großes Feuerwerk an Kooperation geben dürfte. Aber insgesamt werden die deutsch-tschechischen Beziehungen jetzt in einem positiveren atmosphärischen Rahmen stattfinden.“

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