Tschechien nach der Wahl: Oppositionsbündnisse glauben an Regierungsauftrag, Ano hält sich bereit

SPOLU und PirSTAN

Noch am Samstag haben sich die beiden oppositionellen Bündnisse Spolu und Pirstan auf gemeinsame Gespräche über eine Regierungsbildung verständigt. Aber auch die Partei Ano von Premier Andrej Babiš als stärkste Kraft im neuen Abgeordnetenhaus möchte versuchen, eine Mehrheit zusammenzubekommen.

Miloš Zeman | Foto: Twitter von Jiří Ovčáček

Die Lage nach den Wahlen zum tschechischen Abgeordnetenhaus ist weiter unübersichtlich. Und das, obwohl Spolu und Pirstan, die beide angetreten waren, um Babiš die Macht zu entreißen, insgesamt 108 von 200 Sitzen in der unteren Parlamentskammer gewonnen haben und damit die Mehrheit stellen. Am späten Samstagabend vereinbarten sie, ausschließlich miteinander über eine Regierungsbildung zu verhandeln. Sie wollen Staatspräsident Miloš Zeman darum bitten, Spolu-Spitzenkandidat und Bürgerdemokratenchef Petr Fiala mit der Bildung einer Regierungskoalition zu beauftragen. Fiala sagte allerdings, dass die Entscheidung darüber allein in der verfassungsrechtlichen Kompetenz des Staatsoberhauptes liege.

Spolu und Pirstan vereinbaren Gespräche

Zeman hatte im Vorfeld der Wahlen angekündigt, er werde den Kandidaten der stärksten Partei und nicht des stärksten Wahlbündnisses mit der Regierungsbildung beauftragen. Das wäre Andrej Babiš, da seine Partei Ano insgesamt 72 Sitze im Abgeordnetenhaus errungen hat. Zugleich sagte der stellevertretende Vorsitzende der Bürgerdemokraten, Martin Kupka, auch Zeman könne nicht die Augen davor verschließen, dass es im Abgeordnetenhaus eine Mehrheit gebe.

Karel Havlíček | Foto: Prokop Havel,  Tschechischer Rundfunk

Vonseiten der Ano kamen am Sonntagvormittag unterschiedliche Signale. Der stellvertretende Parteivorsitzende Karel Havlíček räumte in einer Diskussionsrunde des Tschechischen Rundfunks ein, es sei wahrscheinlich, dass Petr Fiala der nächste Premier werde. „Wir müssen objektiv bekennen, dass wir nicht gewonnen haben“, so Havlíček. Man sei aber stärkste Partei geworden, fügte der Industrie- und Verkehrsminister noch an. Und Abgeordnetenhauschef Radek Vondráček von Ano kündigte in einer Politikerdebatte der privaten TV-Sender Prima und CNN Prima News an, dass sich seine Partei ebenfalls um eine Mehrheit in der Parlamentskammer bemühen wolle. Vondráček stritt dabei mit Christdemokratenchef Marian Jurečka vom Bündnis Spolu darum, wer eigentlich die Wahlen gewonnen habe.

Streit um den Wahlsieg

Premier Babiš hatte bis zum frühen Sonntagnachmittag noch nicht darauf reagiert, dass Spolu und Pirstan eine gemeinsame Übereinkunft getroffen haben. Am Vormittag besuchte er Staatspräsident Zeman auf Schloss Lány / Lana. Wie mehrere Ano-Politiker zuvor betonten, sollte es bei dem Treffen allerdings nicht vorrangig um die Wahlen gehen. Die Zusammenkunft sei vielmehr schon länger geplant gewesen, hieß es. Noch am Wahlabend hatte Babiš gesagt, er werde sich um eine Regierungsbildung bemühen, sollte Zeman ihn damit beauftragen.

Andrej Babiš | Foto: Michal Kamaryt,  ČTK

Mit besonderer Spannung wird daher auf eine Aussage von Zeman selbst gewartet. Dieser ließ am Sonntagvormittag über einen Sprecher ausrichten, dass er allen Siegern der Wahl gratuliere. Damit blieb offen, wer in Zemans Augen die nächste Regierung anführen soll. Und dies dürfte sich auch so schnell nicht klären. Denn der Staatspräsident wurde am Sonntagmittag wegen gesundheitlicher Probleme auf die Intensivstation einer Klinik in Prag gebracht. Laut einem Bericht des Nachrichtenportals indes.cz soll Zeman bei der Ankunft im Zentralen Militärkrankenhaus dem Anschein nach bewusstlos gewesen sein.

Staatspräsident im Krankenhaus

Zahlreiche politische Kommentatoren denken, dass in Tschechien schwierige Verhandlungen über die künftige politische Führung des Landes anstehen. „Man darf sich keiner Illusionen hingeben, dass Präsident Zeman dies leicht machen werde“, sagte etwa Petr Šabata, Kommentator des Tschechischen Rundfunks. Dennoch behauptete Christdemokratenchef Jurečka am Samstag bereits, es sei realistisch, bis Weihnachten eine neue Regierung zu formieren.

Autor: Till Janzer
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