Verlieren wir den Boden unter den Füßen? Wie Landwirtschaft Klima und Natur verändert
Die Europäische Union besteht fast zur Hälfte aus landwirtschaftlich genutzten Flächen. Der Agrarsektor ist daher nicht nur für die Lebensmittelproduktion, sondern auch für die Landschaft und die Umwelt von entscheidender Bedeutung. Warum ist eine vielfältige Landschaft so wichtig? Welche Funktionen hat ein gesunder Boden? Unterstützen die gegenwärtigen Agrarsubventionen ein nachhaltiges Wirtschaften? Und in welchem Ausmaß trägt die Landwirtschaft zum Klimawandel bei?
Die Gäste der neuen Folge unseres tschechisch-deutschen Klimapodcasts sind Michaela Kožmínová von der Assoziation für Internationale Fragen, Kateřina Černý Pixová von der Tschechischen Agraruniversität und Michael Beckmann vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Zuerst machen wir aber einen kleinen Ausflug zu einem Familienbetrieb in Westböhmen ...
Dieses Mal sind Stefan und ich in das Dorf Stvolny bei Manětín gefahren, zum Bauernhof der Familie Hruška. Mit Herrn Hruška stehen wir zwischen zwei Feldern. Sie pflanzen hier Bäume in zwei unregelmäßigen Reihen an. Was ist das für ein Projekt?
„Wir befinden uns in einer Landschaft, die ein wenig an einen Flughafen erinnert. Das ist das Ergebnis der intensiven Bewirtschaftung, wie sie hier seit den 1960er Jahren betrieben wird – nicht nur bei uns, sondern auch in Westeuropa. Bei der Neuerschließung der Flächen wurden sogenannte Biokorridore angelegt. Das sind Streifen in der Landschaft, die der Natur dienen. Es sind Orte, wo viele Tiere Zuflucht finden und wo Blumen wachsen sollen. Außerdem sollen die Streifen die Erosion abschwächen und das Wasser besser speichern. In einem solchen Biokorridor stehen wir gerade. Es ist ein zwei Meter breiter Gürtel, der diese riesigen Felder teilt. Wir pflanzen hier Bäume, um einen Landschaftsstreifen aus Bäumen und Wildwuchs zu schaffen.“
Sie setzen gerade einen Biokorridor. Aber auf Ihrem Hof sind Sie, soweit ich weiß, noch in vielen anderen Bereichen aktiv ...?
„Ja, wir züchten zum Beispiel Rinder und Schafe, die uns helfen, die alten Obstgärten zu erhalten. Das ist für uns ein großes Thema. Wir retten die alten Obstgärten, die es hier noch gibt, und pflanzen hochstämmige Bäume alter Landsorten nach. Wir wollen mit unserem Land nicht nur Geld verdienen – für unseren Lebensunterhalt und für die Produktion. Sondern wir wollen, dass dieses Land auch schön und vielfältig ist. Dass hier Vögel und andere Tiere leben, die in diese Landschaft gehören. Die Pflege der Obstgärten ist für uns auch deshalb wichtig, weil wir außerdem eine Apfelmosterei betreiben. Dies ist der wirtschaftliche Teil des Hofs, der unseren Lebensunterhalt garantiert. Wir produzieren naturbelassenen Most, und die Leute aus der Umgebung bringen uns ihre Äpfel. Der Abkauf ihrer Äpfel soll eine Motivation für sie sein, auch für die jüngere Generation. Die Menschen sollen sich bewusst machen, dass die Bäume eine wirtschaftliche Bedeutung haben, dass sie sie nicht fällen sollten, sondern am Leben lassen. Das ist gut für die Natur, aber es hilft auch unserem Unternehmen. Denn unsere Grundlage ist die Mostproduktion. Die Verbindung ökologischer und wirtschaftlicher Elemente ist für mich der Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung, wie man heute sagt. Ich nenne dies einfach gesunder Menschenverstand und normale, anständige Lebensweise.“
Wie lassen sich diese Ambitionen zusammenbringen? Also einerseits von der Landwirtschaft zu leben und andererseits schonend mit der Landschaft und der Umwelt umzugehen? Bekommen Sie dafür Unterstützung vom gegenwärtigen System der Agrarfinanzierung? Oder wirft man Ihnen eher Knüppel zwischen die Beine?
„Das Wichtigste ist: Man muss es wirklich wollen und davon überzeugt sein. Und wenn man die Überzeugung hat, dann muss man sich leider in diesem System bewegen. Also in der Gemeinsamen Agrarpolitik und auf dem Markt. Unsere Apfelmoste verkaufen sich gut. Wir schaffen es, davon zu leben. Was die Subventionspolitik anbelangt, so werden die Baumpflanzungen heute zum Beispiel zu 100 Prozent vom Umweltministerium finanziert. Das hilft uns sehr und gleichzeitig motiviert es uns. Aber es ist ein Instrument des Umweltministeriums. Als Landwirt unterliegt man jedoch hauptsächlich dem Einfluss der Gemeinsamen Agrarpolitik, also der viel diskutierten Agrarsubventionen. Auch da gibt es zweifellos viele Programme, die zum Umweltschutz beitragen – die sogenannten ‚Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen‘ sowie Programme zum ökologischen Landbau. Aber es gibt immer noch einen ziemlich starken Druck, nach Flächengröße zu bewerten und Betriebe zu bezahlen, die intensive Landwirtschaft betreiben. Ich denke, da gibt es viel Nachholbedarf. Manchmal kommt es zu absurden Situationen, wenn man z. B. eine Baumallee pflanzt, ein Feuchtgebiet anlegt oder auf dem Feld einen Rain für Rebhühner und Vögel belässt. Und dann kommt plötzlich ein Beamter daher und sagt er müsse das leider aus dem zugeteilten Block herausnehmen - das sind die auf der Karte eingezeichneten Flächen, für die wir von der EU bezahlt werden. Als Landwirt will man natürlich so viel Geld wie möglich bekommen, man ist ja Unternehmer. Und wenn man nun versucht, etwas für die Natur zu tun, fängt das Landwirtschaftsministerium an, diese Areale zu streichen, weil es sich angeblich nicht um Nutzflächen handelt.“
Zerstörte Strukturen
Während die durchschnittliche Größe eines Landwirtschaftsbetriebs in der Europäischen Union bei ca. 17 Hektar liegt, sind es in Tschechien ungefähr 130 Hektar – das ist im Vergleich die größte Fläche aller Mitgliedsstaaten. Ganz ähnlich ist die Situation allerdings in den neuen Bundesländern, also in der ehemaligen DDR, sagt Michael Beckmann vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung:
“Es gibt sehr viele Parallelen zwischen Ostdeutschland und Tschechien. Wir sind hier in Leipzig, und im Umland haben wir landwirtschaftlich eine sehr ähnliche Geschichte wie es sie in Tschechien wahrscheinlich auch gab. Das heißt, diese große Zusammenführung der Flächen, die es in den 1950er und 1960er Jahren gegeben hat. Bei uns hieß das LPG, also Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft. Und dadurch hat man viele kleinräumige Strukturen aufgelöst und zerstört.”
Noch heute, mehr als 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, ließe sich mit einem Blick auf die landwirtschaftlichen Flächen einwandfrei feststellen, wo die Grenze zwischen Ost und West verlief.
„Da sieht man tatsächlich auf der Landkarte einen krassen Unterschied zwischen kleinräumigen Strukturen auf der westdeutschen beziehungsweise der österreichischen Seite und großflächigen landwirtschaftlichen Strukturen auf der ostdeutschen beziehungsweise der tschechischen Seite. Diese Strukturen sind immer noch da, sie haben sich nach der Wende nicht aufgelöst.“
Das Bewirtschaften großer landwirtschaftlicher Flächen bringt nämlich – zumindest kurzfristig – ökonomisch sehr viel ein. Das gibt auch Michael Beckmann zu:
„An sich ist das für die landwirtschaftliche Produktion gar kein Problem. Es ist natürlich ein erheblicher Vorteil – je größer die Flächen sind, desto mehr Arbeit wird in einer kürzeren Zeit geschaffen. Ich kann mit einem großen Traktor und mit einem großen Ausleger die Flächen einfach schneller bearbeiten, das heißt pflügen, anpflanzen, aussäen, mähen, Pestizide spritzen usw. Zunächst ist dies ein Vorteil – man optimiert dadurch sozusagen den Arbeitsaufwand. Aber aus Sicht der Biodiversität ist dieser Verlust der Strukturen ein riesengroßer Nachteil.“
Toter Boden kann keine Feuchtigkeit speichern
Und es geht nicht nur um Biodiversität. Die intensive Landwirtschaft bedrohe langfristig weitere wichtige Funktionen der Natur – einschließlich der Agrarproduktion selbst, warnt die Landwirtschaftsökologin Kateřina Černý Pixová von der Tschechischen Agraruniversität in Prag:
„Langfristig betrachtet hat sie gravierende Einflüsse auf alle möglichen Bereiche. In erster Linie auf den Boden. Der ist bereits jetzt häufig kein lebendiger Organismus mehr. Es ist ein toter, dehydrierter, beschädigter Boden, der nur dann eine Ernte garantiert, wenn man ihm eine große Menge weiterer Stoffe und künstlicher Düngemittel zufügt. Die Fähigkeit eines solchen Bodens, Wasser zurückzuhalten, ist selbstverständlich minimal. Oft ist die Oberfläche so verkrustet, dass das Wasser sehr schnell abfließt. Das heißt, die Feuchtigkeit dringt nicht einmal richtig in den Boden vor. Dies hat dann einen großen Einfluss auf die Biodiversität, und zwar in einem ganz umfassenden Wortsinn: von der Biodiversität der Bakterien und Krankheiten bis hin zur Biodiversität der großen Säuger.“
Schon jetzt ist klar, dass die Landwirtschaft durch den fortschreitenden Klimawandel immer mehr unter Druck gerät. In diesem Zusammenhang zeige sich auch, dass das gegenwärtige Modell der Landwirtschaft – auf der Basis intensiver Produktion – langfristig nicht tragfähig sei, sagt Michael Beckmann:
„Es ist ein gruseliges Szenario gerade im Hinblick auf den Klimawandel. Denn solche sehr simplen und einfach gestalteten Systeme sind extrem anfällig, wenn es um Störung geht. So etwas kann ganz schnell zusammenfallen: wenn ein Störfaktor einen Punkt überschreitet, sodass das ganze System in sich zusammenfällt und die Produktion im schlimmsten Fall aufgrund eines trockenen oder besonders heißen Jahres vollkommen kollabiert, oder wenn wir nur eine Handvoll von Agrarprodukten anbauen und alle das Gleiche züchten.“
Allerdings gibt es noch mehr Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel und der Landwirtschaft, erklärt die Analystin Michaela Kožmínová von der Prager Assoziation für Internationale Fragen:
„Die Landwirtschaft und der Klimawandel sind eng miteinander verwoben. Nicht nur, weil erstere zu zweiterem beiträgt, sondern auch weil der Klimawandel die Landwirtschaft und seine zukünftige Produktivität bedroht. Weltweit stammen etwa 17 Prozent der Gesamtemissionen von Treibhausgasen aus der Landwirtschaft. In Tschechien sind es neuesten Daten zufolge sechs bis sieben Prozent. Während der letzten 30 Jahre haben die Emissionen aus der Landwirtschaft hierzulande und in Europa stark abgenommen. In Tschechien ist das vor allem auf eine rückläufige Zahl der Nutztiere zurückzuführen. Aber das ist keine Strategie, auf die das Landwirtschaftsministerium in Zukunft setzen will. Im Gegenteil wird erwartet, dass die Emissionen zunehmen, weil der Tierbestand wieder steigen soll.“
In Deutschland beträgt der Anteil der Landwirtschaft an den gesamten Treibhausgasemissionen etwa acht Prozent. Eine große Rolle spielt dabei Methan, das bei der Tierhaltung entsteht und einen vielfach höheren Treibhauseffekt nach sich zieht als der von Kohlendioxid. Laut Kateřina Černý Pixová ist es jedoch nicht zwingend notwendig, dass der Agrarsektor so viele Emissionen produziert.
„Wenn wir uns verantwortungsbewusst verhalten und Landwirtschaft so betreiben, wie sie betrieben werden sollte, dann würde sie den Klimawandel nicht dramatisch verschärfen. In einem diversen System würden Acker- und Wiesenflächen durch Wälder und vorteilhaft platzierte Wasserflächen kompensiert und Nutzvieh in angemessener Zahl gehalten. Dann wären die Auswirkungen der Landwirtschaft auf den Klimawandel im Vergleich zu anderen Sektoren marginal. Aber das entspricht leider nicht der aktuellen Situation.“
Das war die siebte Folge unseres tschechisch-deutschen Klima-Podcasts „Karbon“, der in Kooperation mit Radio Prag International und der Heinrich-Böll-Stiftung Prag entsteht. Die ausführliche Version finden Sie schon jetzt auf der Webseite von Radio Prag International sowie in allen gängigen Podcast-Platt
formen. Beim nächsten Mal wird sich alles um das Thema „Abfall“ drehen.