Wald, Felsen und Menschenmassen – Diskussionen über künftigen Nationalpark Křivoklát

Teufelfels im künftigen Nationalpark Křivoklát

In Tschechien könnte ein neuer Nationalpark entstehen. Und zwar auf dem Gebiet des heutigen Landschaftsschutzgebietes Křivoklát. Dieses liegt rund 40 Kilometer westlich von Prag im Böhmischen Karst. Doch in den Gemeinden der Gegend gibt es große Bedenken angesichts der geplanten Ausrufung des Nationalparks.

Vladimír Dolejský | Foto: ČT24

In den nächsten Tagen geht es los. Dann will das tschechische Umweltministerium damit beginnen, den Nationalpark Křivoklát auszurufen. Er soll 16 Prozent des seit Jahrzehnten bestehenden Landschaftsschutzgebietes ausmachen. Vladimír Dolejský ist Staatssekretär für Natur- und Landschaftsschutz im Umweltministerium. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks erläuterte er, warum gerade dort ein Nationalpark geplant wird:

„Auf dem Gebiet finden sich 1800 Arten von Gefäßpflanzen, 84 ursprünglich dort beheimatete Hölzer und 155 Vogelarten. Das ist Biodiversität auf höchster Stufe. Da dies einzigartig ist – zumindest für die mittleren Höhenlagen in Tschechien, wenn nicht sogar landesweit –, hat es Sinn, den Schutzstatus auf die höchste Stufe zu heben. Und das ist die eines Nationalparks.“

Schon ausreichend geschützt?

Städtchen Křivoklát | Foto: Harold,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0

1977 wurde Křivoklát bereits Unesco-Biosphärenreservat. Nur ein Jahr später erklärte das damalige kommunistische Regime die Gegend zum Landschaftsschutzgebiet. Das finden viele Anrainergemeinden heute völlig ausreichend. Und diese Meinung wird auch im Rathaus des Städtchens Křivoklát vertreten.

„Der Grund für den Nationalpark leuchtet nicht ein. Das Landschaftsschutzgebiet schützt ja bereits die hiesige Natur. Mehr geht doch gar nicht. Warum soll eine weitere Institution hinzukommen, die zusätzlich Geld aus dem Staatshaushalt frisst? Etwas zu schützen, was bereits geschützt wird, entbehrt meiner Meinung nach jeglicher Logik“, so Libuše Vokounová (parteilos), Bürgermeisterin von Křivoklát.

Nationalpark Křivoklát | Quelle:  Tschechisches Umweltministerium,  ČÚZK,  AOPK ČR

Mit einer Fläche von etwas mehr als 100 Quadratkilometern wird Křivoklát eher ein kleiner Nationalpark sein. Allerdings ist das immer noch mehr als im Fall der Nationalparks Thayatal und Böhmische Schweiz.

Laut Vladimír Dolejský geht es vor allem darum, dass in den Wäldern dort keine klassische Forstwirtschaft mehr betrieben werden soll:

Foto: David Šmejkal,  Tschechischer Rundfunk

„Der Nationalpark wird großflächige Projekte einschränken, die schon jetzt unumkehrbare Schäden angerichtet haben. Das sieht man am Beispiel der Wälder. Derzeit und auch noch bis zur Ausrufung des Nationalparks wirtschaften die staatlichen Forstbetriebe in ihren Wäldern in einer Weise, bei der der Gewinn im Vordergrund steht. Das widerspricht aber dem Auftrag einer Nationalparkverwaltung. Nach der Ausrufung würde diese die Pflege der Waldökosysteme übernehmen. Zunächst beträfe dies eine schonende Wirtschaftsform auf Großteilen des Schutzgebietes. Damit sollen die Wälder in einen naturnahen Zustand überführt werden – bezogen auf die Artenvielfalt und das Alter der Bäume. So entsteht ein ästhetisch ansprechenderer, ökologischerer und stabilerer Wald. Und auf einer bestimmten Fläche in der höchsten Schutzzone würde die Natur dann komplett sich selbst überlassen.“

Das würde bedeuten, dass in diesem Teil des neuen Nationalparks langsam Urwälder entstehen.

Naturschutzgebiet Jouglovka im künftigen Nationalpark Křivoklát | Foto: Radio Prague International

Doch mehr Attraktivität, unter anderem durch eine wildere Natur, halten die Anrainergemeinden eher für kontraproduktiv. Denn schon jetzt ist die Gegend beliebt, nicht zuletzt bei Ausflüglern aus dem nahen Prag. Die Bürgermeister befürchten durch die Ausrufung des Nationalparks noch mehr Besucher.

„Die Folgen haben sich schon 2020 und 2021gezeigt, als die Tschechen wegen der geschlossenen Grenzen vor allem im eigenen Land Urlaub gemacht haben. Immer schon haben wir viele Besucher gehabt, aber in den vergangenen beiden Jahren kamen so viele, dass es bereits jenseits des Erträglichen war. Die Parkmöglichkeiten lassen sich nicht erweitern, alle Stellmöglichkeiten sind voll. Und auch beim Müll gerät Křivoklát an seine Grenzen, falls diese nicht schon überschritten wurden“, sagt Libuše Vokounová.

Doch das Argument mit den vielen Besuchern hält man im Umweltministerium nicht für schlüssig. Laut Dolejský leiden eher nicht-geschützte Gegenden unter den Folgen des Massentourismus:

Nationalschutzgebiet Vůznice im künftigen Nationalpark Křivoklát | Foto: ŠJů,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0

„In solchen Gegenden fehlen uns die Mittel, um die Besucher zu einem schonenderen Umgang zu motivieren beziehungsweise den Zugang zu regulieren. Die negativen Folgen des Massentourismus betreffen also längst nicht nur die Nationalparks. Zusammen mit dem Ministerium für Regionalentwicklung und auch den Reisebüros arbeiten wir aber an entsprechenden Regulierungen. Unser Ziel ist ja gerade, dass die Folgen von solcherart Tourismus die Natur nicht zerstören und auch nicht für die örtlichen Anwohner zur Last werden.“

Umweltministerin Anna Hubáčková (Christdemokraten) will in der zweiten Februarhälfte persönlich die Gemeinden in der Gegend Křivoklát besuchen und die Menschen dort überzeugen. Zudem sind Diskussionen mit allen Betroffenen auf der Ebene des Kreises Mittelböhmen geplant. Im Frühjahr dann will das Umweltressort den Prozess starten, an dessen Ende der Nationalpark ausgerufen wird. Damit treten auch unterschiedliche Fristen in Kraft, innerhalb derer die Gemeinden, der Kreis und die Grundbesitzer ihre Anmerkungen und Änderungsvorschläge einreichen können. Und weiter der Staatssekretär:

Anna Hubáčková | Foto:  ČT24

„Ziemlich sicher wird der Nationalpark Křivoklát noch nicht 2022 ausgerufen. Erst wenn die größten Konflikte ausgeräumt sind, die ja von einem Unverständnis herrühren oder dem Unwillen, die korrekten Informationen zu akzeptieren, kann der gesetzgeberische Prozess vollendet werden. Das wird Mitte kommenden Jahres sein.“

Weichtiere, Schmetterlinge und Schwarzstorch

Schön ist Křivoklát wegen seines Mix aus Felsen und Wald. Allerdings ist es heute eine Kulturlandschaft mit mehr oder weniger intensiver Forstwirtschaft. Warum gilt sie dennoch als schützenswert? Jaroslav Obermajer von der tschechischen Agentur für Natur- und Landschaftsschutz:

Jaroslav Obermajer | Foto: Martin Čuřík,  Tschechischer Rundfunk

„Es bestehen geologisch sehr unterschiedliche Gebiete, die einen biologischen Reichtum befördert haben. Zudem wurde Křivoklát im Vergleich zu weiteren Gegenden in Tschechien, aber auch anderswo in Europa, relativ wenig vom Menschen beeinflusst – und das sowohl in der Ur- und Frühzeit, als auch im Mittelalter. Deswegen hat sich eine solch wertvolle Natur erhalten. Natürlich hat ebenso die spätere Waldwirtschaft die heutigen Ökosysteme entstehen lassen, das bezweifelt niemand. Aber es ist falsch zu behaupten, dass es keines Nationalparks bedürfe, um die Besonderheiten weiterhin zu erhalten.“

Die Fauna besticht allerdings nicht mit spektakulären Arten. Es geht vor allem um Weichtiere, Käfer oder auch Schmetterlinge, die sich in dieser Häufung anderswo im Land kaum finden lassen. Zudem nennt Obermajer einige Vogelarten…

Schwarzstorch | Illustrationsfoto: Dr. Tarak N Khan,  Flickr,  CC BY 2.0

„Zum Beispiel sind es hohlraumnistende Vögel, Baumsteiger, Spechte und Buntspechte. Des Weiteren zieht die Gegend besonders Waldvögel an. Wir beobachten unter anderem Fliegenschnäpper, aber auch den Schwarzstorch. Er ist schon seit langem in Křivoklát nachgewiesen und nistete hier selbst zu Zeiten, als die Schwarzstorch-Populationen auf tschechischem Boden nur sehr klein waren. Für den normalen Besucher dürfte es allerdings eher Zufall sein, einen solchen Storch zu Gesicht zu bekommen. Denn selbst für erfahrene Vogelbeobachter ist dies nicht gerade leicht“, so der Naturschützer.

Doch zurück zur Diskussion über den Tourismus. Michael Hošek leitet Europarc, die Dachorganisation europäischer Großschutzgebiete. Aufgrund seiner Natur sei Křivoklát es mit Sicherheit wert, zum Nationalpark ernannt zu werden, findet er. Zugleich teilt er die Befürchtungen künftiger Besuchermassen.

Michael Hošek | Foto:  Agentur für Natur- und Landschaftsschutz der Tschechischen Republik

„Seit einigen Jahren gibt es einen starken Anstieg der Besucherzahlen in den tschechischen Nationalparks. Das Label zieht einfach. Zum Teil liegt das aber auch daran, dass die einheitliche Strategie für den Fremdenverkehr bis 2030 nicht ebenso die Großschutzgebiete miteinbezieht. Daher sind Befürchtungen in dieser Hinsicht am Platz. Leider ziehen die Nationalparks hierzulande nicht nur Naturfreunde an, sondern auch jede Menge Sportler, die aus unerfindlichen Gründen lieber dort mit dem Mountainbike fahren als an anderen Orten. Dabei ist der Hauptzweck eines Nationalparks der Naturschutz. Natürlich gehört dazu auch der Tourismus, denn die Menschen sollen die wertvolle Landschaft erleben können. Das muss aber in angemessenem Umfang geschehen. Meine Befürchtung ist bisher, dass die große Zustimmung des Kreises Mittelböhmen für den Nationalpark Křivoklát weniger vom Interesse am Naturschutz getragen ist, als von der Hoffnung auf eine gute Vermarktung des neuen Labels. Und darin liegt die Gefahr.“

Tourismus-Strategie entwickeln

Laut Hošek kann die Gegend bereits ohne das Label „Nationalpark“ mit vielen Attraktionen aufwarten. So etwa mit der Burg Křivoklát und natürlich der wunderbaren Natur. Zudem betont er, dass die Lage des künftigen Nationalparks zu denken geben sollte.

Burg Křivoklát | Foto: Radio Prague International

„Křivoklát wird schon heute von vielen Menschen besucht, weil es so nah an Prag liegt. Sollte dort der Nationalpark ausgerufen werden, müsste eine klare Strategie zur Entwicklung des Tourismus erstellt werden. Darin sollten auch Obergrenzen für die Besucherzahlen festgeschrieben sein. Denn Ruhezonen und Wanderpfade können auch auf solche Weise angelegt werden, dass die Besucher immer noch das Wichtigste im Nationalpark besichtigen können“, so der Verbandschef.

Hošek empfiehlt deswegen, dass sich die Vertreter der Gemeinden, des Kreises und der beiden Ministerien an einen Tisch setzen:

Foto: Magdalena Kašubová,  Radio Prague International

„Falls sie darin übereinkommen, dass der Hauptzweck des Nationalparks der Naturschutz sein wird und der Tourismus auf gewisse Weise reguliert werden muss, dann ist eine Lösung möglich. Derzeit geht es aber nur darum, dass der Nationalpark ausgerufen werden soll. Vom Umweltministerium fehlt mir ein Diskussionsangebot an die Partner über die möglichen Folgen des Tourismus und über Regulierungen, damit in diesem Bereich kein Konflikt entsteht mit dem Naturschutz.“

Autoren: Till Janzer , Ondřej Novák
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