Lothar Martin: „Prag ist meine Wahlheimat geworden.“
Lothar Martin war 24 Jahre lang Redakteur in der deutschsprachigen Redaktion von Radio Prag International. Im folgenden Interview blickt er auf die Zeit beim Tschechischen Rundfunk zurück.
Heute führen wir ein ganz besonderes Interview. Mit mir im Studio ist nämlich Lothar Martin, den unsere Hörerinnen und Hörer als langjährigen Redakteur von Radio Prag International kennen. Der Anlass für das heutige Gespräch ist, dass Lothar am 1. März in die wohlverdiente Pension gegangen ist. Lothar, welche Gefühle sind damit verbunden?
„Da hat man leider gespürt, es ist Zeit zu gehen, man muss das Feld Jüngeren überlassen.“
„Das ist eine schwierige Frage. Man merkt, das Alter lässt sich nicht verheimlichen. Es war in den letzten Jahren so, dass man nicht so flott bei der Sache ist, dass man Dinge vergisst, dass die Arbeit ein bisschen länger dauert. Da hat man leider gespürt, es ist Zeit zu gehen, man muss das Feld Jüngeren überlassen. Die Sache wurde in den letzten zwei Jahren natürlich durch die Corona-Pandemie kompliziert, wo wir in ganz anderen Bedingungen arbeiten mussten – Home office, digitale Konferenzen. Also es war auch noch mal spannend, aber auch ein bisschen anspruchsvoller. Deswegen hoffe ich, dass diese ganze Pandemie nun endlich der Geschichte angehört. Und ich hoffe, dass mein Nachfolger gut in die Fußstapfen einsteigen kann und dass es weitergeht. Denn ich glaube, die Hörer von Radio Prag International haben es verdient, weiterhin gut von uns über Tschechien informiert zu werden.“
Wie lange hast Du eigentlich bei Radio Prag International gearbeitet?
„Ich habe am 1. März 1998 angefangen, das heißt, ich bin genau 24 Jahre lang hier im Tschechischen Rundfunk tätig gewesen. Und 24 Jahre, das sind sechs olympische Zyklen. Ich habe nach den olympischen Winterspielen 1998 in Nagano, wo das tschechische Eishockey diesen großen Triumph gefeiert hat, angefangen. Und jetzt – es ist vielleicht ein bisschen symbolisch – habe ich mit den olympischen Spielen in Peking aufgehört, die gerade für das tschechische Eishockey nicht besonders gut ausgegangen sind. Aber man hofft, dass es dann wieder besser wird.“
Wie wir hören, richtet sich Deine Zeitrechnung an den olympischen Spielen aus. Sport ist immer ein Schwerpunkt Deiner Arbeit gewesen. Wenn Du auf die 24 Jahre in unserem Sender zurückblickst, welche Momente und Ereignisse, beziehungsweise welche Treffen, Interviews und Reportagen sind für dich ganz besonders wichtig?
„Bei den Verhandlungen zum Melker Abkommen habe ich zum ersten Mal gespürt, wie Medien funktionieren. Beide Seiten haben immer nur aus der Sichtweise ihres Landes berichtet.“
„24 Jahre sind tatsächlich eine lange Zeit. Der Sport war für mich immer das Hauptthema, darin bin ich voll aufgegangen. Eine andere Geschichte war aber auch sehr spektakulär und zwar das Melker Abkommen zwischen Österreich und Tschechien. Die Österreicher hatten Angst, dass das Atomkraftwerk Temelín ihrem Land schaden könnte. Die Pressekonferenzen dazu gingen bis spät in die Nacht. Ich habe damals zum ersten Mal gespürt, wie Medien funktionieren. Leider haben beide Seiten immer nur aus der Sichtweise ihres Landes berichtet. In Židlochovice fand das erste Treffen des damaligen österreichischen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel mit dem damaligen tschechischen Premier Miloš Zeman statt. Auf der Pressekonferenz habe ich gefragt: Warum können nicht im tschechischen Fernsehen österreichische Vertreter auftreten, und umgedreht im österreichischen Fernsehen tschechische Vertreter, die zu den österreichischen Sicherheitsbedenken Rede und Antwort stehen? Mich hat gestört, dass es in Melk Demonstranten gab, die Temelín und Tschernobyl gleichgesetzt haben. Alles was östlich des Eisernen Vorhangs war, wurde damals von vorherein in Frage gestellt. Das hat sich mittlerweile zum Glück gelegt.“
Und dann war da natürlich Deine Sportberichterstattung…
„Ich bin heute noch sehr stolz darauf, dass ich mit einigen Legenden des tschechischen Sports längere Gespräche geführt habe. Etwa mit Josef Masopust, dem Fußballer und Vize-Weltmeister von 1992, oder mit Jaroslav Holík, dem berühmten Eishockeyspieler. Holík hat damals der russischen Mannschaft sehr getrotzt, und die Tschechoslowakei hat auch im Eishockey gegen die russische Invasion protestiert. Mittlerweile ist das Thema ja leider wieder sehr aktuell. Masopust und Holík sind leider verstorben, aber mit beiden habe ich längere Interviews geführt. Mit Masopust habe ich auch im Krankenhaus gesprochen. Auch für solche berühmten Menschen sind Besuche das Schönste. Wenn sie Erfolg haben, möchte jeder mit ihnen sprechen. Man muss aber auch zu solchen Leuten, wenn es ihnen nicht gut geht.“
„Ich bin heute noch sehr stolz darauf, dass ich mit einigen Legenden des tschechischen Sports längere Gespräche geführt habe.“
Du hast bereits erwähnt, dass es in den österreichischen und den tschechischen Medien mitunter unterschiedliche Sichtweisen gibt. Die Aufgabe von Radio Prag International ist über das Geschehen in Tschechien zu berichten – für das Ausland, aber auch für Ausländer, die in Tschechien leben. Du hast selbst über Jahrzehnte als Deutscher in Prag gelebt. Hat das Deine Sicht auf die Dinge verändert? Hattest Du dadurch vielleicht auch ein besseres Gespür dafür, was deutsche Hörer interessieren könnte?
„Auf jeden Fall hat mich das geformt. Ich lebe seit 39 Jahren in der Tschechischen Republik und der vorherigen Tschechoslowakei. Ich sehe mich selbst gar nicht mehr als Ausländer. Prag ist meine Wahlheimat geworden. Ich bin stolz, in dieser wunderschönen Stadt zu leben. Natürlich hatte ich als Deutscher in Tschechien manchmal einen anderen Blickwinkel auf bestimmte Dinge und nicht immer war alles einfach. Zum Beispiel, ist die tschechische Lebensweise ein wenig lockerer – was positive aber auch negative Seiten hat. So werden manchmal Termine nicht eingehalten und auch die Pünktlichkeit hat mir oft gefehlt.“
Er habe sich erst daran gewöhnen und ein Verständnis dafür entwickeln müssen…
„Ich bin trotzdem stolz, hier gelebt zu haben und zum Beispiel dabei gewesen zu sein, als hier 1989 der politische Umbruch stattfand. Ich war fast auf jeder Demonstration – und auch, als sich 750.000 Menschen auf dem Letná versammelt haben und die tschechoslowakische Nationalhymne gesungen haben. Das war Gänsehaut pur! Die Tschechische Republik ist auf dem besten Wege, eine gefestigte Demokratie zu werden. Das hat lange gedauert, denn die Folgen des Kommunismus haben das Land noch lange beeinflusst. Jetzt denke ich, dass mit der neuen Regierung und dem neuen politischen Stil die Demokratie hier Früchte zu tragen beginnt. Im Hinblick auf die Corona-Pandemie und auch auf die Ukraine-Krise hat sich die tschechische Politik meiner Meinung nach besser bewährt als die deutsche.“
„Im Hinblick auf die Corona-Pandemie und auch auf die Ukraine-Krise hat sich die tschechische Politik meiner Meinung nach besser bewährt als die deutsche.“
Verfolgst Du denn auch das Geschehen in Deutschland? Was liegt dir näher, die Ereignisse hierzulande oder das Geschehen in Deutschland?
„Natürlich interessiert mich, was in Deutschland passiert, denn dort bin ich groß geworden und dort lebt meine Familie. Gerade in schwierigen Zeiten wie der Flüchtlingskrise, der Corona-Pandemie oder jetzt dem Krieg in der Ukraine, habe ich nach Deutschland geschaut, um zu verfolgen, wie das Thema dort diskutiert wird. Mit der deutschen Politik der letzten Jahre bin ich nicht immer einverstanden. Tschechien oder andere EU-Länder, die dazu gekommen sind, mussten hingegen daran arbeiten, ihren eigenen Weg zu finden und sich in die Europäische Union zu integrieren. In den 30 Jahren seit der politischen Wende hat Tschechien vor allem wirtschaftlich gewaltige Sprünge gemacht. In vielerlei Hinsicht ist Tschechien an anderen EU-Ländern vorbeigezogen. Politisch gesehen hoffe ich, dass der Krieg in der Ukraine schnell beendet sein wird und dass die Europäer lernen, dass wir wirklich zusammenhalten und unsere Werte nach außen kehren müssen. Wenn die Europäische Union durch den Krieg jetzt mehr als Kollektiv zusammenwächst, dann wäre das das Beste, was aus dieser Situation noch entstehen könnte.“
Du bist also voller Hoffnung. Lothar, Dein Ruhestand beginnt nun. Ich wünsche dir, dass er dir wirklich Ruhe und Entspannung bringt und Du viel Zeit für Deine Hobbys findest. Jetzt hast Du die Gelegenheit dich von den Hörern von Radio Prag International zu verabschieden.
„Ich hoffe, dass der Krieg in der Ukraine schnell beendet sein wird und dass die Europäer lernen, dass wir wirklich zusammenhalten und unsere Werte nach außen kehren müssen.“
„Liebe Hörerinnen und Hörer, die Zeit lässt sich nicht aufhalten und für mich ist es Zeit zu gehen. Es war immer schön, Feedback von Ihnen zu bekommen. Ich hoffe und wünsche, dass es dem Sender weiter gut geht und dass er seine Arbeit weitermachen kann. Das ist heutzutage nicht mehr selbstverständlich, es dreht sich vieles um Geld und Finanzen. Es ist wichtig, dass Menschen gut, allseitig und ausgewogen informiert werden. Genau das tut Radio Prag International und mich hat es sehr gefreut, ein Teil davon zu sein. Ich hoffe, Sie bleiben uns gewogen.“
Danke für das Gespräch und danke auch persönlich für die schöne Zeit, die wir zusammen verbringen konnten. Alles Gute!