Von Basel und Tschechien um die Welt: Das Guarneri Trio Prague
Das Guarneri Trio Prague spielt bereits seit 35 Saisonen zusammen. Der Cellist Marek Jerie hat mit seiner Frau Beatrix, die Geigerin und Musikmanagerin ist, vor kurzem das Prager Funkhaus besucht. Wir haben mit ihnen gesprochen!
Frau Jerie, Herr Jerie, das Guarneri-Trio ist 1986 entstanden, damals eigentlich aus zwei Duos…
MJ: „Ja, so ist es. Ich habe damals schon zwölf Jahre Duos gespielt, und Čeněk Pavlík auch. Oft ist es passiert, dass wir ein Konzert am gleichen Datum hatten, und dann haben wir gemerkt, dass es schwierig ist. Man kann den Pianisten nicht teilen. Wir sind uns auch bewusst geworden, dass man mit einem Klavier-Trio eine neue klangliche Dimension gewinnt und auch die Möglichkeit hat, größere Podien zu erreichen.“
Als Sie das Trio gegründet haben, wollten Sie es wahrscheinlich nicht nach einem Komponisten benennen. Es wurde nach zwei wertvollen historischen Musikinstrumenten benannt.
MJ: „Es ist heute schwierig, noch einen klingenden freien Namen zu finden. Stradivari und Guarneri waren die zwei größten Geigenbauer der Geschichte. Und weil wir das Glück hatten, Guarneri-Instrumente zu spielen, haben wir und gedacht, es wäre schön, uns diesen Namen zu geben, weil er auch die klangliche Qualität symbolisiert.“
War es damals, in den 1980er Jahren, nicht schwierig, zusammenzutreffen? Sie lebten seit 1984 in der Schweiz, und die beiden anderen Musiker in der damals noch kommunistischen Tschechoslowakei. Konnten Sie aufeinander treffen?
MJ: „Wir mussten einfach viel vorausdenken. Es ist ein Vorteil, dass man im Klavier-Trio zum Beispiel drei Wochen lang intensiv proben und damit dann auch einige Monate leben kann. Das geht bei einem Streichquartett nicht. Da muss man tagtäglich Intonation üben.“
Jetzt ist es fast 36 Jahre her. Hat sich Ihr Gesamtstil beziehungsweise Ihr Anteil an der Arbeit in dem Trio geändert?
MJ: „Ja, es entwickelt sich immer weiter, das ist klar. Ich glaube, man legt in dieser Zeit immer mehr Wert auf das Stilempfinden, man muss Beethoven wirklich anders spielen als Brahms und man präsentiert diese Stilempfindung auch wirklich deutlich.“
In Ihrem Repertoire sind Kompositionen aus verschiedenen Epochen zu finden. Wie ist Ihre Beziehung zu der Musik des 20. Jahrhunderts? Sie spielen zum Beispiel Werke von Luboš Fišer und Aleš Březina…
MJ: „Wir spielen natürlich die klassische Moderne, das heißt Martinů, Schostakowitsch und diese Komponisten. Und was die Avantgarde betrifft, dann vor allem unsere Freunde, die Komponisten sind. Aber sonst liegt der Schwerpunkt unserer Tätigkeit und unseres Repertoires in der Klassik und Romantik.“
Wie entscheiden Sie sich, was das nächste Mal in das Repertoire miteinbezogen wird?
MJ: „Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal entdeckt jemand von uns eine Komposition, die er besonders schön findet. Manchmal sind es auch die Veranstalter, die sich etwas wünschen, und wenn das gute Trios sind, dann sind wir einverstanden. Es ist vielleicht auch wichtig zu sagen, dass wir nach der Samtenen Revolution von 1989 so stolz waren, dass wir uns in Guarneri Trio Prague umbenannt haben.“
Ich denke, aus diesem Grund hat China Ihre Tournee gestrichen vor einigen Jahren.
MJ: „Genau. Eigentlich müssen wir aber auch gar nicht mehr in China auftreten.“
Können wir in den Erinnerungen ein paar Jahrzehnte zurückgehen? Frau Jerie, Sie haben Ihren Mann 1967 kennengelernt, damals während des Studiums in Basel. Aber der Weg zu Ihrem Aufenthalt hier und danach wieder in der Schweiz war noch lang. Wie war das damals? Sie haben beide in Basel studiert.
BJ: „Ja, ich habe meinen Mann in Basel kennengelernt. Ich war jung, naiv und spontan – und das bin ich immer noch. Ich habe ihn angesprochen, hatte ihn schon gesehen, vor dem Orchester und im Chor. Als ich mit der Tram nach Hause gefahren bin, habe ich gesehen, dass er mit dem Cello eingestiegen ist. Ich habe ihn gefragt, woher er kommt, wo er wohnt und so weiter. Mein Bruder studiert Klavier, meinte ich, und fragte, ob er nicht bereit wäre, mit uns ein Trio zu spielen. Wir haben damals Mendelssohns Trio d-Moll einstudiert. Dann kamen wir uns mit der Zeit ein wenig näher. 1968 kamen ja die Russen und sind hierzulande einmarschiert. Man hat uns gesagt, wir müssten in der Schweiz bleiben, es sei zu gefährlich. Die Behörden waren sehr großzügig. Marek hat eine Aufenthaltsverlängerung bekommen. Die tschechoslowakische Botschaft hat auch sein Visum verlängert. Und somit ist er zwei Jahre länger geblieben, bis 1969. Und 1969 ging er zurück, seine Cello-Kollegen gingen nach New York oder nach Paris. Marek hatte nicht die finanziellen Möglichkeiten, irgendwo anders im Westen zu studieren, und ging nach Prag an die Hochschule. Wir haben uns dann ein Jahr lang nicht gesehen, aber jede Woche zwei Briefe geschrieben.“
Sie haben sich dann entschieden, auch in Prag zu studieren…
BJ: „Ich habe mein Diplom noch in Basel machen wollen. Das war 1970. Und ein Jahr später war ich fest überzeugt, dass ich in Prag bei Ivan Štraus studieren will, den ich schon kannte. Er ist ein Vetter von Marek.“
Dann haben Sie 14 Jahre lang in Prag gelebt…
MJ: „Deshalb hat Beatrix so gut Tschechisch gelernt. Ich würde vielleicht noch ergänzen: Als sie erfahren hat, dass ich Tscheche bin, habe ich sofort viele Pluspunkte bekommen, weil sie in der achten Klasse die Libussa in Grillparzers gleichnamigen Stück gespielt hat.“
BJ: „Ich habe da die Hauptrolle bekommen und habe mich zum ersten Mal richtig mit der tschechischen Kultur und Geschichte in Verbindung setzen können. Und dann treffe ich ihn…“
Frau Jerie, erinnern Sie sich daran, wie die ersten Jahre in der damals noch kommunistischen Tschechoslowakei für Sie waren?
BJ: „Wenn ich zurückblicke, möchte ich die Zeit, die ich hier während dieses schrecklichen Regimes verbracht habe, nicht missen. Denn es haben sich da wunderbare Freundschaften ergeben, die bis heute andauern, menschliche Beziehungen, die unter diesem furchtbaren Druck gewachsen sind. Ich habe einen ganz anderen Blick bekommen, denn ich bin in einer wohl behüteten Familie aufgewachsen. Da war alles einfach da und alles ,selbstverständlich‘. Und hier bin ich mit einem Mal aufgewacht, denn das war nicht selbstverständlich. Aber die menschlichen Qualitäten, die mir hier von Marek, von seiner Familie, von den Freunden, die wir hatten, entgegengekommen sind, das war unglaublich und ist heute noch für mich ein ganz wesentlicher Teil meines Lebens.“
Der Grund, warum sie anschließend in die Schweiz gegangen sind, waren bestimmt die Kinder, die sonst in einem kommunistischen Schulsystem aufgewachsen wären…
MJ: „Ja. Wir wussten, wenn unsere Kinder nicht Maler oder Musiker werden, dann werden sie das Reisen und die allgemeine Freiheit einfach vermissen. Wir wollten das für die Zukunft tun, weil wir wussten, dass sich die Kinder dort zu Hause fühlen, wo sie in die Schule gegangen sind. Ich würde vielleicht noch ergänzen, als Beatrix und ich zum ersten Mal in die Studentenmensa gegangen sind, da gab es zum Mittagessen Magen mit Sauce und Knödeln. Das hat man in der Schweiz nur den Katzen gegeben. Für Beatrix war das ein Schock. Aber nach einigen Tagen hat mir eine der Köchinnen gesagt: ,Das Fräulein müssen Sie heiraten.‘ Ich habe gefragt: ,Warum meinen Sie das?‘ Und die Köchin erklärte: ,Sie werden sehr viel sparen, denn sie isst sehr wenig.‘“
BJ: „Noch zu den Kindern: Das System machte damals Familien, die frei denkend waren und Mut hatten, andere Ansichten zu haben, Probleme. Für die Kinder war das sehr schwierig. Denn in der Schule hatten sie den obligatorischen Stoff gehört, wie alles sein muss und ist. Und zu Hause hat man etwas ganz anderes mitbekommen. Diese schizophrene Situation wollten wir unseren Kindern ersparen.“
Frau Jerie, Sie haben damals in der Schweiz eine neue Konzertreihe gegründet. Gibt es sie bis heute?
BJ: „Ja. ,Kammermusik um halb acht‘ geht jetzt in die 37. Konzertsaison. Wir haben drei Kinder und ich sage immer, die Konzertreihe ist unser viertes Kind, das nie erwachsen wird. Es ist anspruchsvoll, aber es macht Spaß, da ich phantastischen Musikern ein Podium bieten kann.“
MJ: „Es ist vielleicht wichtig zu sagen, dass ungefähr ein Drittel des Programms tschechische Musiker darstellen. Beatrix liebt die tschechische Musik. Das war auch der Grund, warum sie mit dem Preis Gratias Agit ausgezeichnet wurde.“
Was für Pläne hat das Guarneri Trio?
MJ: „Wir treffen wieder bei der Mendelssohn-Woche in den Schweizer Alpen zusammen. Die Woche organisiert Beatrix. Da bieten wir auch Kurse an für Geiger, Cellisten, Pianisten und Klaviertrios. Da kommt ein wirklich hervorragendes Klaviertrio aus Krakau, mit dem wir seit mehr als fünf Jahren zusammenarbeiten. Wir spielen danach am 11. Oktober im Atrium im Prager Stadtteil Žižkov. Dort wird ein neuer Zyklus aufgebaut. Wir finden es sehr wichtig, dass man in diesem Stadtviertel versucht, das Kulturleben voranzubringen.
BJ: „Ich denke, dass es ganz wichtig ist, dass es nicht nur den wunderbaren Markt auf dem Jiřího náměstí gibt oder das hervorragende Gymnasium dort, sondern dass auch hoch stehende Kammermusikkonzerte angeboten werden.“