Botschafter Šitler: „Die tschechisch-österreichischen Beziehungen waren nie so gut wie jetzt“
Die Ukraine und die Energiesicherheit seien sicherlich ein ganz großes Thema, aber die bilateralen Themen dürften deswegen nicht warten. Das sagt Jiří Šitler, der vor drei Wochen das Amt des tschechischen Botschafters in Österreich angetreten hat. RPI hat den Diplomaten anlässlich der Botschafter-Konferenz in der vergangenen Woche in Prag vors Mikrophon gebeten.
Herr Šitler, Sie sind Botschafter der Tschechischen Republik in Wien. In der Vergangenheit hatten Sie bereits mehrere Botschafterposten inne – in Thailand, Rumänien und Schweden. Worin ist die Vertretung in Österreich einzigartig?
„Schon seit 30 Jahren befasse ich mich mit den tschechisch-österreichischen Beziehungen, das Thema ist also nicht ganz neu für mich. Aber wenn ich die Botschafterposten vergleiche, dann beruht der Unterschied darin, dass Österreich ein Nachbarland ist. Das beeinflusst selbstverständlich die Intensität der Beziehungen, und es besteht auch eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Das war bei den anderen Ländern selbstverständlich kein Thema.“
Sie haben Ihr Amt in Wien in einer sehr hektischen Zeit angetreten: Vor nun sechs Monaten hat Russland die Ukraine angegriffen. Seitdem sind diese Aggression, der Ukraine-Krieg und die Notwendigkeit, das Verhältnis zu Russland neu zu definieren, das dominierende Thema der Außenpolitik in ganz Europa. In wie weit sind die bilateralen tschechisch-österreichischen Beziehungen davon geprägt?
„Es ist eindeutig eines der großen Themen der tschechisch-österreichischen Beziehungen. Der Angriff Russland im Februar dieses Jahres hat in Österreich zum Umdenken geführt. Österreich ist traditionell ein neutrales Land, aber es hat angefangen, diese Neutralität neu zu definieren. Man spricht über eine militärische Neutralität, aber gleichzeitig sagt man, dass Österreich nicht neutral sein könne, wenn es um die Verletzung des Völkerrechts gehe. Und es ist auch nicht politisch neutral. Die Neutralität wird also ganz neu definiert. Und Russland hat darauf sehr kritisch reagiert und diese Interpretierung der Neutralität abgelehnt.“
Die Botschafter treffen sich derzeit zu ihrer Jahreskonferenz in Prag. Premier Petr Fiala hat Sie in seiner Rede aufgefordert, nach allen möglichen Wegen zu suchen, um die Energiekrise überwinden zu können. Welche Möglichkeiten sehen Sie als Botschafter in Österreich, um diese Aufgabe zu erfüllen?
„Österreich ist für uns ein wichtiger Partner, vor allem wenn es um die Erdöl-Pipeline aus Triest geht. Denn 31 Prozent Aktien der TAL-Pipeline gehören ÖMV. Und wir brauchen eine Erweiterung und Vergrößerung der Kapazitäten von TAL, um eine alternative Erdöl-Quelle zu haben. Ich muss sagen, da sind die die österreichische Regierung und auch die Firma ÖMV kooperativ. Sie arbeiten eng mit uns zusammen.“
„Österreich ist für uns ein wichtiger Partner, vor allem wenn es um die Erdöl-Pipeline aus Triest geht. Die österreichische Regierung und auch die Firma ÖMV sind sehr kooperativ.“
Bundeskanzler Karl Nehammer hat bereits während seines Besuchs im Mai in Prag seine Unterstützung für diesen Weg ausgesprochen…
„Genau, und seither hat sich schon vieles getan. Wir haben nach dem Besuch des Bundeskanzlers Treffen mit der Firma gehabt, und die Gespräche liefen sehr gut.“
Der Krieg, die Energiekrise und die Sanktionen gegen Russland dominieren also auch die bilateralen Gespräche. Stehen die nachbarschaftlichen Beziehungen jetzt vielleicht gewissermaßen im Hintergrund?
„Das kann man nicht so sagen. Das Thema Ukraine und Energiesicherheit ist sicherlich sehr groß, aber weil wir Nachbarn sind, geschieht in den Grenzregionen einfach vieles. Das darf man nicht vergessen. Wir haben Pendler, es besteht eine Zusammenarbeit im Gesundheitswesen und so weiter. All das kann nicht warten, man muss sich auch diesen Themen widmen.“
Tschechien ist mit Österreich und der Slowakei im Rahmen des sogenannten Austerlitz-Formats verbunden. Dieses ist 2015 als eine Alternative zur Visegrád-Gruppe entstanden. Wie würden Sie dieses Bündnis charakterisieren?
„Im Austerlitz-Format werden Themen besprochen, die die drei Länder betreffen. Zudem hat eignet es sich auch dazu, mit weiteren Partnern Gespräche zu führen – im 3+1-Format.“
„Ich würde es nicht als Alternative zu Visegrad bezeichnen, ich nenne es eher komplementär. Denn die Visegrád-Gruppe ist wie bekannt ohne Österreich, aber Österreich gehört zu Mitteleuropa. Es ist nicht schlecht für Tschechien, auch in einem Format mit Österreich zu sein. Teilweise werden da Themen besprochen, die die drei Länder betreffen, in dem Länderdreieck gibt es viele gemeinsame Themen wie etwa Pendler oder den Verkehr. In letzter Zeit hat sich zudem gezeigt, dass sich dieses Format auch dazu eignet, mit weiteren Partnern Gespräche zu führen – im 3+1-Format. Wie etwa mit der Ukraine oder Moldawien, also Ländern, die sich vor allem jetzt nach dem russischen Angriff der Europäischen Union annähern wollen, sowie selbstverständlich auch mit Partnern auf dem Westbalkan.“
Die Visegrád-Gruppe bröckelt derzeit, nicht nur in Folge des Ukraine-Krieges. Ungarn laviert zwischen Moskau und Europa herum. Polen vertritt hingegen ein noch härteres Vorgehen gegen Russland. Wie sehen Sie die Perspektiven des Austerlitz-Formats in diesem Kontext?
„Paradoxerweise kann man sagen, dass man sich jetzt, was Russland betrifft, vielleicht besser mit dem neutralen Österreich als mit dem Nato-Mitglied Ungarn versteht. Zugleich glaube ich nicht, dass dies jetzt einen großen Einfluss auf die Zukunft von Visegrád als regionalem Bündnis haben wird. Visegrád ist nicht vor allem ein außenpolitisches Instrument. In den 1990er Jahren, als das Bündnis gegründet wurde, unter anderem von Politikern wie Václav Havel und Lech Walesa, war einer der Hauptgedanken, dass wir uns auf menschlicher Ebene nicht verlieren sollten. Man muss sich erinnern: Damals wollten alle in London studieren und nicht in Budapest, man wollte Französisch und Englisch lernen und nicht mehr Polnisch oder Ungarisch. Deswegen wurde damals der Visegrád-Fonds gegründet, um die Zusammenarbeit von Universitäten und Zivilgesellschaften zu unterstützen. Wir brauchen immer Leute, die sich für Ungarn oder für Polen interessieren. Vielleicht gilt das umso mehr, wenn sich die Regierungen wie jetzt in Sicherheitsfragen nicht verstehen. Deshalb kann ich nicht sagen, dass Visegrád jetzt durch einige Missverständnisse im Thema Sicherheit aufhört zu existieren.“
„Visegrád ist nicht vor allem ein außenpolitisches Instrument. Die Gruppierung hört jetzt durch einige Missverständnisse im Thema Sicherheit nicht auf zu existieren.“
Noch einmal zurück zu den bilateralen Themen zwischen Tschechien und Österreich. Sie haben einige Bereiche erwähnt wie die Pendler und das Gesundheitswesen. Was halten Sie für die größten Aufgaben in diesem Bereich?
„Als neuer Botschafter kann ich sagen: Meine größte Aufgabe ist vielleicht, den Trend so zu behalten, wie er ist. Die Beziehungen waren wirklich nie so gut wie jetzt. Es gibt keine wirklich großen Themen, aber sehr viel Kleinarbeit, die extrem wichtig ist. Und das in allen Bereichen. Es ist klar, dass im Bereich Verkehr, Züge und Autobahn noch etwas gemacht werden muss. Man muss aufpassen, dass die soziale Lage der Pendler den EU-Vorschriften entspricht. Es gibt also viele kleine Dinge, die man verfolgen muss, damit diese guten Beziehungen auch so bleiben.“