Gedächtnisglocke #9801: Erinnerung an Glocken, die während des Kriegs eingeschmolzen wurden
In Prag gibt es eine neue Glocke. Sie erinnert an jene mehrere Tausend Glocken, die von den Deutschen während des Zweiten Weltkriegs in Böhmen und Mähren beschlagnahmt und eingeschmolzen wurden. Am Sonntag wurde die Gedächtnisglocke der Öffentlichkeit feierlich vorgestellt.
Am rechten Moldauufer unterhalb des Café Slavia wimmelt es am Sonntagabend von Menschen. Sie sind alle gekommen, um die sogenannte Gedächtnisglocke zu sehen und zu hören. Diese ersetzt symbolisch den Klang von 9801 Glocken aus böhmischen und mährischen Kirchen, die während des Zweiten Weltkriegs eingeschmolzen wurden. Die letzten davon wurden vor genau 80 Jahren aus Prag nach Hamburg gebracht. Einer der Initiatoren des Gedenkens ist Ondřej Boháč vom Glöckner-Verein Castullus:
„Alle diejenigen, die sich hierzulande für Glocken interessieren, kennen die Fotos von 1942 von der Prager Rohan-Insel. Dort wurden die beschlagnahmten Glocken zusammengetragen. Die Bilder von diesem Glockenfriedhof rühren einen zu Tränen. Ich habe schon lange überlegt, an die 9801 Glocken zu erinnern. Letztlich habe ich zusammen mit meinen Kollegen beschlossen, eine neue Glocke gießen zu lassen, die den Klang der eingeschmolzenen symbolisch ersetzt. Und jetzt ist sie hier, worüber ich mich sehr freue.“
Vor knapp einem Jahr initiierte Boháč mit seinen Kollegen eine Spendensammlung, um seine Idee in die Tat umzusetzen.
„Die Glocke wiegt 9801 Kilogramm, also ein Kilo für jede der eingeschmolzenen Glocken. Zudem erinnert die Ausschmückung an einige von ihnen. Oft waren die Glocken in den Gemeinden aus Spenden finanziert worden. Darum wollten wir, dass die Erinnerung an sie lebendig bleibt.“
Die Gedächtnisglocke ist 1,87 Meter hoch, der untere Durchmesser beträgt 2,58 Meter, der Klöppel wiegt circa 300 Kilogramm. Eine solch große Glocke ist in Böhmen zuletzt vor fast 500 Jahren fertiggestellt worden – damals für den Prager Veitsdom. Die Initiatoren der Gedächtnisglocke vergaben den Auftrag an die Glockengießerei Grassmayr in Innsbruck. Peter Grassmayr war bei der feierlichen Enthüllung am Sonntag in Prag dabei. Gegenüber Radio Prag International sagte der Experte:
„Das Wichtige ist, dass dieser Klang rund um den Erdball schwingen und für Frieden und Freiheit läuten soll. Das ist das Allerwichtigste – vor allem, wenn man sieht, wie tragisch es in der Ukraine ist.“
Ähnlich äußerte sich auch der Priester Tomáš Halík, der zuvor die Glocke gesegnet hatte:
„Die Stimme dieser Glocke ist ein Symbol des Gebets für Frieden und Freiheit. Dies ist gerade heute aktuell.“
Nach der Segnung brachten die Prager Glöckner die auf einem Ponton stehende Glocke in Bewegung…
Die Gedächtnisglocke ist bis Ende September auf dem Ponton am Smetana-Kai in Prag zu sehen. Künftig soll sie auf der Rohan-Insel platziert werden. Mehr über die Entstehung der Glocke bringen wir in den nächsten Tagen in Interviews mit dem Glockengießer Peter Grassmayr und dem Glöckner Kryštof Čižinský, der sich am Entwurf der Glockengestaltung beteiligt hat.