Archäologen erforschen Massengräber aus den Napoleonischen Kriegen in Prag
Schon seit mehreren Monaten erforschen Archäologen einen ehemaligen Soldatenfriedhof im Prager Stadtteil Karlín. Zuletzt wurden dort Massengräber entdeckt, die offenbar zu Zeiten der Napoleonischen Kriege angelegt wurden.
Dort, wo demnächst ein weiteres Bürohaus hochgezogen werden soll, wurden in der Erde mehrere Gruben freigelegt. Etwa 700 Gräber haben Archäologen in den vergangenen Monaten auf einem ehemaligen Friedhofskomplex in Prag-Karlín entdeckt. Bestattet wurden dort vor allem Armeeangehörige und Kriegsinvaliden, die Stätte ist den Erkenntnissen nach aber auch regulär von der Kirche genutzt worden.
Zuletzt sind die Wissenschaftler auf mehrere Massengräber aus dem Jahr 1801 gestoßen, in denen anscheinend Soldaten aus den Napoleonischen Kriegen liegen. In der Grube arbeitet gerade die Anthropologin Dominika Cáriková. Sie bestimmt die Länge eines Knochens:
„Was noch erhalten ist, das wird gleich im Boden ausgemessen. Denn sobald wir die Stücke herausnehmen, fallen sie auseinander und lassen sich nicht mehr als Ganzes bestimmen. Wir nehmen also zuerst das Maß, um dann die Grabhöhe zu berechnen. Dazu nutzen wir spezielle Lineale.“
Die sterblichen Überreste werden noch im Grab beschriftet, bevor sie dann langsam herausgehoben werden. Das Skelett, das Cáriková gerade untersucht, stammt von einem noch sehr jungen Menschen…
„Er ist noch nicht erwachsen gewesen, mit Sicherheit jünger als 20 Jahre. Denn die Epiphysen sind noch nicht verwachsen", erläutert die Wissenschaftlerin und zeigt auf die Endstücke der Knochen, die ihr als Indikator dienen. Nicht nur Alter und Geschlecht lassen sich schon vor Ort bestimmen. Chef-Anthropologe Roman Bortel erkennt auch krankhafte Veränderungen einiger Skelettteile:
„Hier halte ich einen Oberschenkelknochen in der Hand, der ziemlich pathologisch aussieht. Er weist Schwellungen an der Diaphyse auf, also am Mittelteil. Dies sagt uns, dass die Person krank war. Es sieht nach Syphilis aus.“
Die Forscher schätzen die Zahl der gefundenen Massengräber auf zehn bis 20. Einige waren für 20 Leichen angelegt, andere wiederum für Hunderte. Die meisten der Bestatteten sind den Erkenntnissen nach in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gestorben. Zu dieser Zeit seien Tausende verletzter Soldaten nach Prag gekommen, die in den großen Schlachten der Napoleonischen Kriege gekämpft hatten, so Archäologe Martin Vyšohlíd:
„Die Soldaten kamen nicht nur in die Spitäler, sondern lagen auch einfach auf den Straßen oder wurden in Privatwohnungen versorgt. Es wurde versucht, das Leben von so vielen wie möglich zu retten. Die Krankenhäuser in Prag hatten aber nur sehr geringe Kapazitäten, daher war die Lage schwierig. Es brachen dann Krankheiten wie etwa Typhus oder Cholera aus. Daran starben auch Zivilisten, die sich um die Soldaten kümmerten.“
Von den bestatteten Soldaten ist heute kaum noch etwas erhalten. Fündig wurde das Team eher in den Gräbern von Offizieren und deren Familien, die über den Massengräbern angelegt waren. Darin fanden sich etwa Kreuze, Rosenkränze, Medaillons, Goldringe oder Ohrringe. In seltenen Fällen sei man auch auf Armeeorden gestoßen, so Vyšohlíd:
„Auszeichnungen wurden meist nicht mit ins Grab gegeben, weil die Angehörigen sie als Erinnerung behalten haben. Hier in Karlín haben wir fünf Armeeorden aus der Zeit der k. u. k. Monarchie gefunden. Weitere interessante Funde weisen darauf hin, dass Offiziere immer gut aussehen mussten. Wenn sie also schon einige Zähne verloren hatten, dann haben wir auf dem Friedhof nun Zahnprothesen entdeckt.“
Ein Teil der sterblichen Überreste vom Karlíner Soldatenfriedhof kommt nun in das Depot des Nationalmuseums und wird dort weiter untersucht. Der Rest wird auf dem Olšany-Friedhof beigesetzt. Damit sind die Arbeiten vor Ort für dieses Jahr abgeschlossen. Die Wissenschaftler kehren Anfang nächsten Jahres aber zurück, um einen letzten kleineren Friedhofsteil zu erforschen.