Tschechoslowakei am Scheideweg: Der kommunistische Umsturz 1948 und der Weg in die Diktatur
Über 40 Jahre lang war die Tschechoslowakei sozialistisch beherrscht. Die Wunden in der Gesellschaft, die dies hinterlassen hat, sind bis heute in Tschechien zu spüren. Vor genau 75 Jahren übernahmen die Kommunisten die Macht hierzulande.
Er komme gerade von der Prager Burg, vom Präsidenten der Republik. Dieser habe alle seine Vorschläge akzeptiert – das ist in Kürze wohl die berühmteste historische Aussage zur kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei. Der damalige Vorsitzende der kommunistischen Partei (KPTsch) und Regierungschef, Klement Gottwald, sagte diese Worte am 25. Februar 1948 bei einem öffentlichen Auftritt auf dem Prager Wenzelsplatz.
Im Klartext bedeutete dies, dass die nicht-kommunistischen Minister aus der Regierung ausschieden, Staatspräsident Edvard Beneš aber keine Neuwahlen ausrief. Dies ebnete der KPTsch den Weg zu einer Einparteienregierung. Oder wie der Historiker Oldřich Tůma vom Institut für Zeitgeschichte an der tschechischen Akademie der Wissenschaften gegenüber Radio Prag International sagt: Es sei der Weg in die Diktatur gewesen…
„Ich halte den Begriff Diktatur angebracht für das politische System, das zwar nicht sofort am 25. Februar entstand, aber doch ziemlich schnell, weil die Kommunisten die Kontrolle über alles Mögliche übernahmen. Hier in Tschechien sprechen die Medien und auch ein Teil der Historiker gern vom totalitären Regime oder vom Totalitarismus. Doch da gerät man in eine detaillierte Debatte über unterschiedliche Typen undemokratischer Regime. Das kommunistische System hat jedoch gewisse Entwicklungen durchgemacht, und deswegen ist der Begriff Totalitarismus eher verwirrend und zu vereinfachend. Es war aber von 1948 bis 1989 eine Diktatur der kommunistischen Partei, und das trotz des Einwands, dass sich die KPTsch je nach Phase auf unterschiedliche Weise an der Macht hielt“, so der Geschichtswissenschaftler.
Wie also verlief der Weg in die Diktatur? Wie legal oder illegal sind die Kommunisten vorgegangen? Und hätte dies vielleicht verhindert werden können?
Erbitterter Streit in der Nationalen Front
Die Tschechoslowakei ist nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr die der Ersten Republik. Damals war sie noch einer der demokratischsten Staaten Europas gewesen. Der Unterschied betrifft auch die Parteienlandschaft. Jene politischen Kräfte, die im sogenannten „Protektorat Böhmen und Mähren“ mit den nationalsozialistischen Besatzern zusammengearbeitet hatten, sind nach Kriegsende vom politischen Wettbewerb ausgeschlossen. Stattdessen nimmt der Einfluss der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei zu. Bei den Wahlen 1946, den ersten nach dem Krieg, holen sie und ihre slowakische Tochter KSS zusammen fast 38 Prozent der Stimmen. Damit werden die Kommunisten die stärkste Kraft in der verfassungsgebenden Versammlung und auch dominierende Instanz in der Regierung. Historiker Tůma:
„Das politische System war gegenüber der Ersten Republik bereits stark verändert. Heute würde man von einer defizitären Demokratie sprechen. Nur bestimmte Parteien waren zugelassen. Insgesamt waren es vier tschechische und zwei slowakische Parteien, die in der Nationalen Front als Dachorganisation zusammenarbeiteten. Diese Kooperation verschlechterte sich mit der Zeit aber – und obwohl es im Parlament offiziell keine Opposition gab, lässt sich in mehreren Memoiren lesen, dass man sich dort noch erbitterter stritt als in der Ersten Republik. Das heißt, es gab eine gewisse Pluralität, wenn auch in eingeschränkter Form. Und es bestand auch so etwas wie Meinungsfreiheit – aber kaum jemand hätte es gewagt, zum Beispiel die Sowjetunion zu kritisieren.“
Einige Parteien orientieren sich im Laufe der Monate immer weiter nach rechts – so etwa die Volkssozialisten von Präsident Beneš, die in der Zwischenkriegszeit noch eine linksgerichtete Kraft gewesen waren. Sie werden zum Hauptgegner der Kommunisten. Aber auch die anderen gemäßigten Parteien verstreiten sich spätestens 1947 mit der KPTsch. Oldřich Tůma betont daher, dass die Konflikte innerhalb der Regierung nicht erst 1948 begannen, sondern da schon mehrere Monate lang geschwelt hätten:
„Zum Zündholz für den Zerfall der Regierung wurde letztlich die Ausrichtung der Polizei. Die Kommunisten stellten seit 1945 den Innenminister. Dies war Václav Nosek, und er unternahm alles, um die Polizei – oder zumindest einige ihrer Teile – unter die Kontrolle der KPTsch zu bringen. Die Beamten bespitzelten beispielsweise die anderen Parteien, und eine Reihe von Politiker wurden in teils konstruierten Justizfällen strafrechtlich verfolgt.“
Die nicht-kommunistischen Parteien werfen Nosek damals das Vorgehen der Polizei auch immer wieder vor.
In dieser Stimmung beruft der Innenminister im Februar 1948 acht leitende Prager Polizeifunktionäre ab. Er will sie durch Kommunisten ersetzen. Und damit beginnt das endgültige Zerwürfnis. Selbst die Sozialdemokraten stellen sich nun auf die Seite der Kritiker. Die Regierung entscheidet daraufhin am 13. Februar, dass der nicht anwesende Nosek seine Entscheidung zurücknehmen müsse. Als der Innenminister aber nicht zur nächsten Kabinettssitzung erscheint und sich Premier Gottwald ausweichend äußert, schreiben die Minister der Tschechoslowakischen Sozialisten, der Christdemokraten und der Slowakischen Demokratischen Partei dem Regierungschef einen Brief…
„Sie forderten von ihm die Zusage, dass die Entscheidung des Kabinetts vom 13. Februar zur Abberufung der Polizeifunktionäre umgesetzt werde. Die Minister nannten dies als Bedingung, sich weiter an der Regierung zu beteiligen. Als Gottwald ihnen erneut ausweichend antwortete, dass Nosek nach wie vor krank sei, reichten sie ihren Rücktritt ein. Und damit ging der schwelende Konflikt in eine Regierungskrise über, die relativ schnell mit dem Sieg der Kommunisten endete“, sagt Tůma.
Naive Fehleinschätzung
Am 20. Februar verlassen die Minister die Regierung. Sie vertrauen auf die Mechanismen der parlamentarischen Demokratie – das heißt, dass beim Rücktritt von drei Parteien einer Fünferkoalition auch der Premier sein Amt niederlegt, eine Übergangsregierung gebildet und Neuwahlen ausgeschrieben werden. Das sei in dieser Situation aber naiv gewesen, urteilt der Historiker:
„Die Kommunisten wollten davon gar nichts wissen. Und die Vertreter der drei Parteien waren auf die direkte Konfrontation nicht vorbereitet. Sie sprachen sich nicht einmal mit den Sozialdemokraten ab, sodass deren drei Minister wiederum im Amt blieben. Anscheinend vertrauten die drei scheidenden Parteien einfach darauf, weil die Sozialdemokraten zusammen mit ihnen bei der Kabinettssitzung eine Woche zuvor gegen Noseks Vorgehen gestimmt hatten. Ebenso trafen sie keine Absprache mit dem parteilosen Außenminister Masaryk. Und obwohl die Historiker darüber kontrovers diskutieren, erfolgte auch keine ordentliche Koordinierung mit Staatspräsident Beneš. Allerdings gehen da die Erinnerungen der Beteiligten auseinander. Laut den einen soll Beneš gesagt haben, dass er das Vorgehen gutheiße und die Minister unnachgiebig sein sollten. Andere wiederum behaupten, der Präsident habe sich an die Stirn getippt und dies eine Dummheit genannt, die schlecht vorbereitet sei.“
Das naive Vorgehen nutzen die Kommunisten sofort aus. Am 21. Februar berufen sie eine große Kundgebung auf dem Prager Wenzelsplatz ein. Dabei wiegelt auch Premier Gottwald die Massen gegen die drei abtrünnigen Parteien auf. Er nennt sie einen „reaktionären Block“. Und er bezeichnet den Regierungsentscheid vom 13. Februar als verfassungswidrig, aber die Abberufung der Polizeifunktionäre durch Nosek als legal und legitim. Und weiter:
„Die Reaktionäre wollen unser Heimatland in die Konfrontation mit unseren slawischen Verbündeten führen – und sie vor allem gegen den mächtigsten von ihnen stellen, die Sowjetunion“, so Gottwald in seiner Rede.
Die tschechoslowakische Orientierung in Richtung Moskau ist zu diesem Zeitpunkt durchaus gesellschaftlich anerkannt.
Im Weiteren betont Gottwald, dass nur zwölf von insgesamt 26 Ministern zurückgetreten seien. Er wolle daher Staatspräsident Beneš vorschlagen, die Regierung weiterzuführen zu können und die vakanten Posten nach eigenen Plänen neu zu besetzen. Zugleich schüchtern die Kommunisten die anderen politischen Kräfte ein. Oldřich Tůma:
„Gottwald rief zur Bildung von sogenannten Aktionsausschüssen der Nationalen Front auf. Das waren selbsternannte Organe, die vor allem die kommunistische Partei vertraten, zum Teil aber auch die Sozialdemokraten sowie die Gewerkschaften. Die Ausschüsse übernahmen noch vor dem 25. Februar die Macht in allen Teilen der Staatsverwaltung, aber auch in den Betrieben, Schulen und Universitäten. Zudem bewaffneten die Kommunisten die Volksmilizen – eine paramilitärische Organisation, die ihre Ursprünge bereits 1945 in den Betriebswachen hatte. Zwar stellten die Volksmilizen keine wirklich große militärische Kraft dar. Aber sie zogen durch die Straßen und halfen der Polizei bei ihren Einsätzen gegen die Ausschüsse der anderen Parteien auf allen Ebenen des Landes und bei der Besetzung von Zeitungs- und Zeitschriftenredaktionen. Das heißt, der Einsatz der Volksmilizen spielte beim Umsturz sicher eine Rolle.“
Politiker und Abgeordnete der nicht-kommunistischen Parteien werden in den folgenden Tagen festgenommen. Nicht klar ist indes, inwieweit die Sowjetunion und Kreml-Chef Stalin die Finger im Spiel haben…
„Das ist selbst für die Historiker bis heute ein Rätsel. Natürlich war alles gelenkt in dem Sinne, dass sich Moskau einen solchen Umsturz wünschte. Auf der Gründungskonferenz des Kominform (Abkürzung für Informationsbüro der Kommunistischen und Arbeiterparteien) im September 1947 wurden die tschechoslowakischen wie die französischen und italienischen Kommunisten dafür kritisiert, sich zu sehr auf die Übernahme der parlamentarischen Macht zu konzentrieren“, so Oldřich Tůma.
Hat Moskau die Finger im Spiel?
Wie sehr aber Moskau die einzelnen Schritte der Machtübernahme in der Tschechoslowakei damals mitkoordiniert, sei unklar, erläutert der Geschichtswissenschaftler weiter:
„Es gab einen speziellen Sender, über den Anweisungen aus der Sowjetunion eingingen. Einen Tag vor Ausbruch der Regierungskrise flog der stellvertretende sowjetische Außenminister Walerian Sorin nach Prag. Die Wissenschaftler streiten aber darüber, ob die KPTsch den Kreml um die Entsendung von Truppen bat. Gemäß gewissen Informationen soll Gottwald die Nerven verloren und Sorin im schlimmsten Fall um das Eingreifen der sowjetischen Armee gebeten haben. Darüber sollen Stalin und Sorin in Rage geraten sein, weil sie den Umsturz lieber als rein tschechoslowakische Angelegenheit haben wollten. Laut anderen Informationen soll wiederum Sorin den Einsatz der Truppen vorgeschlagen haben. Gottwald habe dies aber in einem der wenigen Fälle, in dem er sich Stalin widersetzte, abgelehnt. Demnach soll der KPTsch-Chef argumentiert haben, die Lage sei unter Kontrolle und dies sei nicht nötig. Tradiert wird in dem Zusammenhang, dass Gottwald zur Anreise von Sorin am 19. Februar gemeint habe: ‚Na, der hat uns noch gefehlt.‘ Anscheinend haben sich die tschechoslowakischen Kommunisten ihrer Sache berechtigterweise sicher gefühlt und keine taktischen Ratschläge der Sowjetunion benötigt.“
Gottwald und seine Genossen betonen im Februar 1948 zudem immer wieder, dass alles parlamentarisch und verfassungsgemäß vonstattengehe. Dies müsse insgesamt aber infrage gestellt werden, findet Tůma:
„Recht hatten sie in dem Sinne, dass Präsident Beneš dem Rücktritt der Minister letztlich zustimmte. Er unterschrieb Gottwalds Dekret über die Bildung einer Regierung mit neuen Ministern. Und am 10. März sprach das mehr oder weniger aus freien Wahlen hervorgegangene Parlament mit recht großer Mehrheit der neuen Regierung sein Vertrauen aus. Auf der anderen Seite finden sich aber auch verfassungswidrige Elemente bei der Lösung der Regierungskrise. Dazu gehören besonders die Installation der Aktionsausschüsse in der Staatsverwaltung und der Einsatz der Volksmilizen. Bis 1989 verabschiedeten die Kommunisten kein Gesetz, dass die Existenz dieser Milizen legitimierte. Es gab also keine Regeln für ihr Handeln. Auch deswegen würde ich die kommunistische Machtübernahme als Umsturz bezeichnen.“