Demokratie und soziale Gerechtigkeit – Tschechiens Hilfe in Moldawien

Die sowjetische Vergangenheit ist hier überall zu sehen und zu spüren: Moldawien beziehungsweise die Republik Moldau gilt als das ärmste Land Europas. Im Entwicklungsindex liegt es nur auf Rang 81 von 187 gelisteten Staaten. Auch deswegen kehren viele Moldawier ihrer Heimat den Rücken und arbeiten lieber im Ausland. Moldawien ist eines von sechs Schwerpunktländern der tschechischen Entwicklungszusammenarbeit.

Foto: Tschechische Entwicklungsagentur

Seit vier Jahren läuft in Moldawien ein Projekt zur Betreuung von autistischen Kindern. Verwirklicht werden konnte es auch durch tschechische Hilfe. Dafür mussten aber erst einmal Ministerien und die Parlamentsfraktionen auf dieses Thema aufmerksam gemacht werden, das in dem osteuropäischen Land bis dahin niemanden interessiert hat. Aliona Dumitraş ist Geschäftsführerin der Organisation SOS Autismus. Gegenüber Radio Prag International schildert sie die Entstehung des Projektes „Hilfe für Kinder mit Störungen des autistischen Spektrums und weiteren Erbkrankheiten in der Republik Moldau“:

„Wir wollten das Leben von Kindern mit Autismus und seltenen genetischen Erkrankungen in Moldawien verbessern, brauchten dazu aber Hilfe von außen. Wir haben daher unterschiedliche Agenturen und die Botschaften mehrerer Länder angeschrieben. 2018 erhörte uns die Tschechische Entwicklungsagentur und arbeitete eine Vierjahresstrategie aus. Wir sind froh, dass wir nun schon seit fünf Jahren mit der Agentur zusammenarbeiten – und zwar über unsere Partnerorganisationen Adra Tschechien und Adra Moldawien. Auf diese Weise verbessern wir das Leben unserer Kinder und ihrer Eltern“, so Aliona Dumitraş, die selbst Mutter eines autistischen Kindes ist.

Foto: Tschechische Entwicklungsagentur

In der Republik Moldau haben die Probleme solcher Kinder bis dahin kaum jemanden in der Gesellschaft interessiert. Auch die Legislative hat sich praktisch nicht um sie gekümmert…

„Hauptziel des Projektes war es, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern und überhaupt Hilfsmöglichkeiten anzubieten. Es gibt nicht viele Kinder in Moldawien, die autistische Störungen haben. Deswegen dachte man, dass auch die Probleme gering seien. Aber so ist es natürlich nicht, ganz im Gegenteil. Der Staat greift uns überhaupt nicht unter die Arme“, erzählt die Geschäftsführerin.

Den Erhebungen nach gab es zu Ende 2017 insgesamt 350 autistische Kinder in Moldawien.

Foto: Tschechische Entwicklungsagentur

Für den Anfang mussten erst einmal die Lücken in der Gesetzgebung benannt, Autismus-Spektrum-Tests gekauft und Ärzte geschult werden. Durch das Projekt haben die Eltern der Kinder besseren Zugang zu eigenen Weiterbildungsmöglichkeiten erhalten, und die moldawische Gesellschaft konnte für das Problem sensibilisiert werden. Aliona Dumitraş:

„Spezialisten aus Tschechien haben uns ihre Erfahrungen geschildert und uns beigebracht, Tests zu machen. Unser wichtigster Partner aus Tschechien war das Therapiezentrum Nautis, bei dem sehr gute Psychologen und Psychiater arbeiten. Am wichtigsten war für uns zu verstehen, wie man mit erwachsenen Autisten zusammenarbeitet. Denn in Moldawien haben wir damit keine Erfahrung, in Tschechien beschäftigt man sich damit aber schon seit 30 Jahren.“

Einer der zentralen Punkte war der Aufbau des Gesundheitszentrums „SOS Autismus“, in dem Ärzte mittlerweile Diagnosen erstellen und die Entwicklung der Kinder beurteilen können. Dort arbeitet zum Beispiel zudem ein Logopäde.

Foto: Tschechische Entwicklungsagentur

Facharzt per Telemedizin

Foto: Tschechische Entwicklungsagentur

Seit 2001 setzt Tschechien Projekte in Moldawien um. Mittlerweile liegen die tschechischen Hilfsgelder jährlich bei einem Umfang von 4,2 Millionen Euro. 2012 unterschrieben beide Länder eine Regierungsvereinbarung über die Entwicklungszusammenarbeit. Seitdem hat Tschechien vier vorrangige Bereiche für seine Projekte definiert. Das sind Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, soziale Infrastruktur, nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen sowie Zivilgesellschaft und demokratische Institutionen. Kateřina Šilhánková ist Beraterin für Entwicklung und Wirtschaft an der tschechischen Botschaft in der moldawischen Hauptstadt Chişinău:

„Im vergangenen Jahr liefen hier in Moldawien rund 40 unserer Projekte mit einem Gesamtwert von 150 Millionen Kronen. Eigentlich liegt das Budget sonst bei 100 Millionen Kronen im Jahr, aber 2022 ist auch noch die humanitäre Hilfe für ukrainische Flüchtlinge in dem Land hinzugekommen.“ 150 Millionen Kronen sind umgerechnet 6,4 Millionen Euro.

Besuch des Home Care Centers in Balti | Foto: Botschaft der Tschechischen Republik in Chisinau

Die neue moldawische Regierung versucht, sich weiter von Russland abzusetzen – und nimmt Kurs auf die Europäische Union. Doch der Prozess ist vergleichsweise langsam, und die Republik Moldau ist immer noch einer der ärmsten Staaten Europas. Viele vor allem junge Menschen suchen sich daher Arbeit im Ausland. Zurück bleiben viele Eltern, die irgendwann pflegebedürftig werden. Daher unterstützt Tschechien auch den Aufbau sozialer Dienste…

„Insgesamt wurden zehn Zentren für mobile Pflegedienste im ganzen Land gegründet. Dabei geht es auch um bezahlbare Preise und eine entsprechende Gesetzgebung. Wir fördern den Sektor also auf komplexe Weise. Vor zwei Jahren haben wir zudem damit begonnen, Angebote an Telemedizin zu unterstützen. Das war gerade zu Corona-Zeiten sehr aktuell. Denn aufgrund der Abwanderung gibt es in vielen Regionen keine spezialisierten Ärzte. Über die Telemedizin können sich die Patienten von Fachleuten aus Chişinău beraten lassen“, erläutert Šilhánková.

Petr Müller | Foto: Olga Vasinkevich,  Radio Prague International

Ein weiterer Bereich der Entwicklungszusammenarbeit betrifft die Demokratisierung und die Zentralverwaltung. So wird etwa die Feuerwehr unterstützt und das Sozialsystem im autonomen Gebiet Găgăuzia. In diesem Jahr startet zudem ein ganz neues Projekt: die Ausbildung von Spürhunden für die Zollverwaltung. Damit wird an ein erfolgreiches Vorhaben der Tschechischen Entwicklungsagentur in Georgien angeknüpft. Die Leitung hat Petr Müller von der tschechischen Zollverwaltung:

„Wir kümmern uns um die fachlichen Dinge – die Auswahl der Hunde und ihre Schulung, den Aufbau eines Ausbildungssystems und den Einsatz der Tiere in der Praxis. Länder wie Georgien und eben auch Moldawien stehen in diesem Bereich noch ganz am Anfang der Entwicklung. Bisher haben sie mit den USA zusammengearbeitet, aber der amerikanische Ansatz ist etwas anders und übersteigt auch die finanziellen Möglichkeiten. Ich denke, dass sich der kynologische Dienst der tschechischen Zollverwaltung auf Weltniveau bewegt. Deswegen können wir in Moldawien mit billigeren Möglichkeiten und unseren europäischen Erfahrungen einen etwas anderen Weg aufzeigen.“

Spürhunde für den Zoll

Foto: Tschechische Entwicklungsagentur

Vergangenes Jahr kamen moldawische Zöllner bereits nach Tschechien, um sich die Ausbildung und den Einsatz von Spürhunden unter anderem auf Flughäfen anzuschauen. Ihre tschechischen Kollegen statteten ihnen daraufhin einen Gegenbesuch ab, um sich vor Ort ein Bild zu machen von der Arbeit der Zollverwaltung in der Republik Moldau. Das Projekt läuft noch bis 2025. Dabei sollen zwölf Kynologen und ihre Spürhunde ausgebildet sowie eine Methodik erarbeitet werden…

„Wichtig ist, dass sie diese Methodik auch wirklich nutzen und weitere Hunde schulen – für das Aufspüren von Drogen, Waffen und Tabakerzeugnissen. Zudem müssen die Gesetze in Moldawien angepasst werden, damit die Hunde auch auf Flughäfen, an Grenzübergängen und bei Straßenkontrollen eingesetzt werden können – also an jenen Orten, an denen Zöllner und Grenzpolizisten ihren Dienst versehen“, so Müller.

Foto: Tschechische Entwicklungsagentur

Der Kampf gegen den Schmuggel von Drogen und Waffen – das ist der gängige Aufgabenbereich von Zollverwaltungen auch in anderen Ländern Europas. Speziell ist aber die dritte Komponente:

„Eine Spezialität unserer Zöllner ist das Aufspüren von Tabak und Tabakerzeugnissen. Der Schmuggel lohnt sich wegen der unterschiedlichen Besteuerung – und je weiter man noch Osten kommt, desto billiger sind Zigaretten und ähnliche Produkte. Die Mafia versucht, diese Waren illegal in westlichere Länder zu schleusen, um ihren Gewinn zu steigern. Dieses Problem gibt es in Tschechien und in Deutschland, aber mittlerweile betrifft es auch Moldawien. Daher ist es angebracht, dass die Spürhunde auch darauf trainiert werden.“

Foto: Eva Malá,  Tschechischer Rundfunk

Der gesamte Finanzrahmen für das Projekt zur Unterstützung kynologischer Dienste liegt bei 400.000 Euro.

Im Bereich ländliche Entwicklung und Landwirtschaft geht es wiederum um den Wasserschutz, das heißt die Qualität von Trinkwasser und die Reinigung von Abwasser. Oder es werden Bauern dabei unterstützt, die richtigen Methoden und das richtige Gerät für eine effiziente Produktion zu erhalten. Denn die Landwirtschaft ist ein wichtiger Faktor in Moldawien, sie trug 2021 mit über zehn Prozent zur Bruttowertschöpfung bei.

Foto: Botschaft der Tschechischen Republik in Chisinau

Allerdings hat auch die tschechische Entwicklungszusammenarbeit in Moldawien mit einer ganzen Reihe an Problemen zu kämpfen. Das gesteht Kateřina Šilhánková durchaus ein und sagt:

„Natürlich ist die Kooperation fast nirgendwo problemlos. Für manche Projekte haben wir fähige Partner. Das können moldawische NGOs sein, staatliche Institutionen vor Ort, die Kommunen, und manchmal sind auch tschechische Nichtregierungsorganisationen und Firmen eingebunden. Einige Projekte funktionieren also sehr gut, bei anderen müssen wir ständig irgendwelche Probleme lösen. Meist geht es dann darum, überhaupt die staatlichen Institutionen im Land zur Beteiligung zu bringen. Denn die Ministerien der Republik Moldau sind unterdimensioniert. Ihnen fehlt das Personal, zudem besteht eine hohe Fluktuation an Beschäftigten. Dabei geht dann häufig auch Fachwissen verloren. An diese Grenzen stößt aber fast jeder Helfer, der Fördergelder vergibt. Deswegen lohnen sich langfristige Projekte, in die die Ministerien gleich von Anfang an eingebunden werden. Wir erreichen eigentlich meist unser Ziel, aber nicht immer gemäß unserem Plan und im Rahmen unserer Zeitvorstellungen.“

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Autoren: Till Janzer , Olga Vasinkievič
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