Sturm auf das Nationalmuseum: Tausende demonstrieren in Prag „gegen das Elend“
18 Verdachtsfälle einer Ordnungswidrigkeit, einer auf eine Straftat, zwei verletzte Polizisten – das ist die traurige Bilanz eines gewaltsamen Zwischenfalls am Samstag in Prag. Am Rande einer Demonstration gegen die Regierung hatten Protestierende versucht, das Prager Nationalmuseum zu stürmen. Ziel war dabei, die am Gebäude befestige ukrainische Fahne zu entfernen. Es sind Bilder, die entfernt an den Sturm des Kapitols in Washington im vorletzten Jahr erinnern.
Die Lage eskalierte nach einer Antiregierungs-Demonstration am Samstagnachmittag. „Wir haben diese Typen gewählt. Und wir sind nicht damit einverstanden, wie sie vorgehen“, erklärte ein Mann, der aus dem Kreis Zlín nach Prag zur Demonstration angereist war. Mehrere Tausend Menschen forderten den Rücktritt der Regierung, da diese ihrer Meinung nicht gegen die Inflation und die Energiekrise vorgehen würde. Jegliche Verbindung zu Russland wurde dabei zwar bestritten, dennoch befand sich in der Menge etwa ein Mann, der durch ein aufgesticktes „Z“ auf dem Rucksack und das Tragen des Symbols der russischen paramilitärischen Gruppe Wagner auffiel. Gegen den Mann nahm die Polizei Ermittlungen auf wegen des Straftatbestands des Verleumdens, Anzweifelns und Gutheißens von Völkermord.
Einberufen worden war der Protest von der Partei Pro (Právo Respekt Odbornost, deutsch: Recht, Respekt, Expertentum), die im April vergangenen Jahres gegründet wurde. Die Aktion am Samstag stand unter dem Titel „Česko proti bídě“ (Tschechien gegen das Elend).
Mit dem Ende der Demonstration fingt der Tumult aber erst an. Ein Journalist des Wochenmagazins „Reflex“ veröffentlichte später auf Twitter ein Video davon. Es zeigt einen Mann, der mit einem Megaphon über den Wenzelsplatz marschiert.
Der Mann in dem Video ist der Aktivist Jaroslav Popelka. Man müsse der Regierung einen Schrecken einjagen und die Ukraine-Flagge vom Nationalmuseum entfernen, sagte er – und seine Idee traf auf Anklang. 18 Personen versuchten laut offiziellen Angaben in das historische Gebäude einzudringen, um die Fahne zu entfernen – angefeuert von der Menge. Man solle statt der ukrainischen die tschechische Flagge am Museum anbringen, skandierte die Masse, wie ein weiteres Video auf Twitter zeigt.
Bevor der versuchte Sturm auf das Nationalmuseum begann, hatte die Polizei über Lautsprecherdurchsagen immer wieder dazu aufgerufen, den Platz zu verlassen – allerdings vergeblich.
Unter den Menschen vor dem Museum befand sich auch Miroslav Ševčík, Dekan der Fakultät für Volkswirtschaft an der Prager Wirtschaftsuniversität VŠE. Seine Teilnahme an der Aktion stritt Ševčík in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks ab:
„Ich kam gerade von einem Familientreffen zurück, als mich ein Mann mit einer Kopfverletzung ansprach. Er bat mich, ihm zur Seite zu stehen, weil er von den Polizisten vor dem Nationalmuseum angegriffen worden sei. Dass ich jemanden helfen will, kann doch nun kein Grund für irgendwelche Sanktionen sein, also sorry.“
Dass aber die Sicherheitskräfte unverhältnismäßig vorgegangen sei, wies Innenminister Vít Rakušan (Stan) im öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen zurück:
„Um den Eingang zu schützen, wandten die Polizisten erst unmittelbaren Zwang an, als sich die Menge gewaltbereit zeigte. Aus der hohen Anzahl der festgenommenen Personen lässt sich schließen, dass das Vorgehen der Polizei gerechtfertigt war.“
Stattdessen steht nun Ševčík in der Kritik. Seine Hochschule, die VŠE, teilte via Twitter mit, der Dekan würde zum wiederholten Male Grenzen überschreiten. Die persönlichen Ansichten und Taten Ševčíks könnten nicht von dem Umstand getrennt werden, dass er eine öffentliche Funktion ausübe. Deswegen könnte er nun auch seines Amtes enthoben werden.
Während die berufliche Zukunft von Ševčík also derzeit noch unklar ist, hat das Protestbündnis „Tschechien gegen das Elend“ bereits den nächsten Termin angekündigt: Mitte April sollen dann auch gezielt Regierungsbauten blockiert werden.