Neoklassizistischer Bau mit trauriger Geschichte: Das Palais Petschek
Das Gebäude begeistert eher durch sein Innenleben, als dass es mit seinem Äußeren Furore machen würde. Gemeint ist das Palais Petschek in der Nähe des Prager Hauptbahnhofs. Denn der frühere Sitz einer Privatbank entstand erst Ende der 1920er Jahre, sieht aber aus, als sei er aus der Gründerzeit. Und in seinen Katakomben erinnert heute eine kleine Gedenkstätte daran, dass der Bau während der deutschen Besatzung als Gestapo-Hauptquartier missbraucht wurde.
Das Palais Petschek in Prag war einst berühmt-berüchtigt. Denn die Geheime Staatspolizei (Gestapo) der Nazis hatte hier von 1939 bis 1945 ihren Hauptsitz im Protektorat Böhmen und Mähren. In den Kellerräumen wurden die Häftlinge aus dem Gefängnis im Stadtteil Pankrác verhört. Heute ist dort auch eine kleine Gedenkstätte eingerichtet. Wie es zu der Zeit in dem Gebäude zuging, beschrieb nach dem Krieg der Polizist Karel Vaněk im Tschechoslowakischen Rundfunk. Er schilderte die Zustände im Raum vor dem Verhörzimmer:
„Die zum Verhör hergebrachten Häftlinge mussten von morgens bis abends regungslos sitzen oder stehen, und das in vielen Fällen im Kniebeuge-Stand mit den Händen über dem Kopf – bis zur Bewusstlosigkeit. Man musste dabei auf die weiße Wand starren. Dabei wurde weder nach Alter noch nach Gesundheit unterschieden. Und auch der Wunsch nach einem menschlichen Bedürfnis wurde nicht respektiert. Viele, auch gestandene Männer, brachen mit Schmerzen weinend zusammen.“
Ursprünglich diente das Gebäude als Sitz der Privatbank von Julius Petschek. Es wurde 1929 auf halbem Weg zwischen dem Prager Hauptbahnhof und dem Wenzelsplatz errichtet. Warum aber wählte die Gestapo genau dieses Palais als Hauptsitz? Radomíra Sedláková ist Kunsthistorikerin bei der Nationalgalerie in Prag:
„Ich denke, es lag nicht an der Architektur. Falls es wirklich einen Grund gab, dann muss er am ehesten beim Eigner Julius Petschek gesucht werden. Denn die Gestapo hat fast alle Gebäude in Prag in Beschlag genommen, die jemandem aus der Familie Petschek gehörten. Das waren nicht nur die Villen der Familienmitglieder, sondern auch Objekte ihrer Verwandten und Mitarbeiter. Da die Petscheks wegen ihrer jüdischen Herkunft nach England emigrierten und das Palais zuvor verkauft hatten, wurde dieses allerdings nicht direkt von der Familie konfisziert.“
Die Gestapo nahm das Gebäude stattdessen dem tschechischen Staat ab. Aber die ursprünglichen Eigner waren nicht der einzige Grund, warum sich die berüchtigte Geheimpolizei Hitlers dort einnistete…
„Das zweite Argument war die Lage des Palais nahe dem Hauptbahnhof. Vielleicht spielte auch eine Rolle, dass sich in der Nähe der romantische Vrchlický-Park befand. Da gab es nicht so viele Augen, die jeden Tag das Geschehen vor Ort verfolgten“, so Sedláková.
Bei den Mitgliedern des tschechischen Widerstands im Zweiten Weltkrieg hieß der Ort bald schon „Pečkárna“. In dem Gebäude ließ beispielsweise der stellvertretende Reichsprotektor Reinhard Heydrich seine Standgerichte abhalten.
Traditionelles Äußeres, modernstes Interieur
Jenseits seiner traurigen Vergangenheit ist das Palais Petschek heute denkmalgeschützt. Es sei architektonisch deswegen so interessant, weil man ihm sein Baujahr überhaupt nicht ansehe, sagt Kunsthistorikerin Radomíra Sedláková:
„Das Palais täuscht mit seinem Äußeren. Es stammt von Ende der 1920er Jahre, was kaum jemand beim Blick von außen glauben dürfte. Der Stil erinnert etwas an klassizistischen Barock, genauso wie die drei Villen von Petschek. Alle Gebäude hat der Architekt Max Spielmann entworfen. Dieser hatte seine Karriere mit dem Bau nüchterner Industrieobjekte begonnen, um sich später dann zu wandeln. Allerdings ist es nicht die Aufgabe des Architekten, seinem Auftraggeber seine Vorstellungen aufzuzwängen, er ist nur dessen Partner. Spielmann baute damals ein Palais, das zu Prag passte und das niemand als Neubau sah, der aneckte und einen neuen Geist schuf.“
Was außen damals wie ein Werk veralteten Stils daherkam, hatte es allerdings im Inneren ganz schön in sich…
„Es ist eine ausgetüftelte Stahlbeton-Konstruktion, in der sich die modernsten technischen Elemente wiederfanden: zum Beispiel eine Klimaanlage, eine Zentralheizung, eine Röhrenpost oder auch Müllschlucker. Petscheks Idee war eine technisch perfekte Ausstattung auf dem Niveau seiner Zeit und ein schlossartiges Äußeres“, so die Wissenschaftlerin.
Doch wer war eigentlich dieser Julius Petschek? Er entstammte einer jüdisch-deutschen Familie aus dem mittelböhmischen Kolín. Während der Gründerzeit zu Ende des 19. Jahrhunderts bauten er und sein Bruder Isidor ein Firmenimperium auf. Dieses war vor allem in der Braunkohleförderung aktiv. 1920 riefen Julius Petschek und sein Sohn Walter sowie die vier Söhne seines Bruders Isidor des Weiteren das Bankhaus Petschek & Co in Prag ins Leben. Ab 1925 zog sich Julius Petschek aber aus dem Geschäftsleben zurück. Das Firmenimperium wuchs indes weiter, sodass die Prager Linie der Familie und die aus Ústí nad Labem / Aussig in den 1930er Jahren bis zu 30 Prozent der deutschen Braunkohlewerke kontrollierten. 1932 starb Julius Petschek im Alter von 75 Jahren in Prag.
Da die Erben Petscheks die Gefahr der Enteignung sahen, begannen sie mit dem Verkauf. Zunächst schufen sie eine amerikanische Holding in New York, dann verkauften sie ihre Unternehmensanteile zunächst in Deutschland und anschließend auch in der Tschechoslowakei. Zu dem Zeitpunkt hatte sich die Erbengemeinschaft geschäftlich bereits in England angesiedelt.
Stb knüpft an Gestapo an
Doch zurück zum Palais Petschek, dem Gebäude der früheren Bank. Manch jemanden mag erstaunen, dass es im Stil so traditionalistisch gehalten ist. Kunsthistorikerin Sedláková betont jedoch:
„Hierzulande heißt es, die 1920er Jahre seien der Höhepunkt des Funktionalismus und der modernen Architektur gewesen. Wenn man aber durch Prag streift, stellt man schnell fest, dass dies vielleicht auf zehn Prozent der Gebäude aus dieser Zeit zutrifft. In größerem Maß wurde traditionell gebaut. Das kann man zum Beispiel am Stadtteil Dejvice sehen oder am Wasserwerk im Stadtteil Podolí, das eher einem italienischen Palast gleicht. Der Traditionalismus und der Wunsch nach der Bewahrung des Ursprünglichen hielten bei den meisten Menschen lange an. Es ging nicht darum, nur noch glatte Fassaden, Fenster ohne Verzierungen und Inneneinrichtungen ohne Ausschmückungen zu haben.“
Nach einigen Berichten siedelte sich nach dem Krieg die tschechoslowakische Staatssicherheit StB im Palais Petschek an. Diese wurde bereits 1945 gegründet, was heutzutage nur wenigen bekannt ist. Noch bis nach der kommunistischen Machtübernahme sollen die Agenten am selben Ort wie die Gestapo ihre Gefangenen brutal verhört, gefoltert und getötet haben. Erst Ende 1948 schlug die StB ihr Hauptquartier in der Bartolomejská-Straße auf. Danach zog das Außenhandelsministerium in das Palais Petschek. 1990 wurde das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt.
Heute sind hier Teile des Industrie- und Handelsministeriums angesiedelt. Doch diese sollen umziehen. Daher überlegt das „Institut für das Studium totalitärer Regime“ (Ústav pro studium totalitních režimů), in das Palais Petschek zu ziehen. Diese Institution ist das Pendant zur deutschen Stasi-Unterlagenbehörde, einschließlich einer großen Forschungsabteilung für Historiker. Das Institut ist derzeit auf zwei Orte in Prag mit beengten Räumen verteilt. In dem Palais könnte auch dessen Idee eines Museums zu den Gräueln der Nationalsozialisten und des kommunistischen Regimes verwirklicht werden.
Warum aber lohnt es sich schon jetzt, auf dem Weg durch Prag auch im Palais Petschek vorbeizuschauen?
„Zum einen sollte jeder es besuchen, um sich die Grauen des Zweiten Weltkriegs vor Augen zu führen. Das betrifft aber nur die Katakomben des Gebäudes und hat nichts mit der Architektur zu tun. Deswegen übersehen viele Besucher diesen Aspekt. Wenn sie vorbeigehen, ist ihnen nicht bewusst, dass es sich um ein Gebäude aus den 1920er Jahren handelt, aber das ist eher ein Lob für das Palais. Hätte Prag nur Sternstunden der Architektur zu bieten, würden wir wohl verrückt werden. Damit die außergewöhnlichen Gebäude hervorstechen, müssen viele andere Bauten um sie herumstehen, die bei uns keine Beachtung finden. Ich denke aber, wenn jemand mit dem Zug in Prag ankommt und durch die Reste des früheren Vrchlický-Parks hindurchgeht, dann dürfte es sich lohnen, dass er sich das Palais einmal anschaut. Denn klassizistischer Barock lässt sich hierzulande nur selten finden“, meint Radomíra Sedláková.
Im Übrigen ist das Palais auch in Filmen zu sehen. So wurden für „Die Bourne Identität“ die Szenen in einer fiktiven Schweizer Bank hier gedreht. Und bei „Jojo Rabbit“ wurde sowohl vor als auch in dem Gebäude gefilmt.
Das Palais Petschek befindet sich in der Straße Politických vězňů 931/20 in der Prager Neustadt. In einem Teil des Kellers ist eine Ausstellung mit rekonstruierter Verhörzelle als kleines Museum eingerichtet. Der Besuch ist nur nach Voranmeldung möglich.
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