„Es ist nur ein Stück Stoff“ – Prager Ehepaar lebt Mode-Freiheit
Vlasta Černý und seine Frau Michaela beschreiben sich als „fast“ normales heterosexuelles Paar. Wenn die beiden ausgehen, ziehen sie oft die Blicke auf sich. Denn Vlasta trägt gerne Frauenmode.
Es ist ein warmer Septembertag. Vlasta und Michaela sitzen auf einer Holzbank in Amsterdam, neben ihnen zwei Gläser Aperol Spritz. Beide lächeln fröhlich auf dem Bild, das sie auf ihrem gemeinsamen Instagram-Account gepostet haben. Beide tragen Sommerkleider, Michaela weiße Sneaker, Vlasta pinke Pumps. Doch er konnte nicht immer schon so unbeschwert in Frauenmode vor die Tür treten.
„Es fühlte sich so an, als hätte ich einen Knödel in Hals. Ich erinnere mich daran, wie ich bestimmt zehn Minuten vor meiner Tür stand und versuchte, den Mut zu finden, sie zu öffnen und hinauszugehen.“
So beschreibt Vlasta, wie es für ihn war, vor etwa 15 Jahren das erste Mal in Frauenmode in die Öffentlichkeit zu treten. Vlasta, das ist die familiäre Form des tschechischen Namens Vlastimil, die die beiden auch in ihrem Blog immer verwenden. Schon früh interessierte er sich für Frauenmode. Doch er fürchtete zunächst die Konsequenzen für sein Privat- und Berufsleben.
Heute wohnen Vlasta und Michaela in Prag und betreiben gemeinsam nicht nur ihren Instagram-Account, sondern auch einen Blog namens Gender Blender. Beide haben zwei Kinder aus früheren Beziehungen. Im Internet setzt sich das Paar dafür ein, dass jeder Mensch tragen kann, was er möchte. „Kleidung hat kein Geschlecht“, schreiben sie. Ursprung ihres Engagements ist Vlastas Vorliebe für Frauenmode. Was ihn besonders daran interessiere, seien die endlosen Möglichkeiten, berichtete Vlasta der englischen Redaktion von Radio Prag International.
„Man kann sich nach seiner Laune kleiden, man kann sich nach dem Wetter kleiden. Es gibt so viele Variationen und Kombinationen, die man nutzen kann. Meine Frau hat mir da sehr geholfen. Man muss Farben und Längen und Materialien kombinieren. Man kleidet sich anders, wenn man zur Arbeit geht, wenn man zu einem Treffen mit Freunden geht oder ins Theater. Ich mag es sehr, die ganzen Möglichkeiten zu entdecken. Man versteht, was ich meine, wenn man in jedes beliebige Einkaufszentrum geht. Da gibt es normalerweise eine Ebene für Männer und zwei, drei oder vier Ebenen für Damenmode. Das ist der Unterschied, und das liebe ich daran!“
Der Chef nimmt´s mit Humor
Als er das erste Mal mit rot lackierten Nägeln zur Arbeit kam, habe sein Chef das gelassen genommen, erzählte Vlasta vor einiger Zeit in einem Interview mit der tschechischen Wochenzeitung Respekt. Die beiden hätten gescherzt, dass die Farbe seiner Nägel die Qualität seiner Arbeit schließlich nicht beeinflusse. Vlasta erzählte, dass es noch ein paar Tage ein Thema im Kreis der Teammitglieder gewesen sei. Doch sie hätten sich schnell daran gewöhnt, und das Interesse sei verschwunden. Ein Foto auf dem Blog des Paares zeigt Vlasta 2020, wie er als IT-Leiter im schwarz-rot geblümten Kleid einen Vortrag auf einer Konferenz hält. In der Öffentlichkeit dagegen zieht Vlastas Stil immer wieder Aufmerksamkeit auf sich.
„Wenn wir ausgehen, starren die Leute uns manchmal an. Manchmal sagen sie etwas Positives, manchmal etwas Negatives. Aber das ist sehr viel seltener, als man vermutlich erwarten würde“, sagt Vlasta.
Vlasta und Michaela sind auch gerne auf Reisen. Ihre Instagram-Posts zeigen beide nicht nur in Amsterdam, sondern auch in Abendkleidern vor der Wiener Staatsoper oder etwa auf einer Brücke in Regensburg. Dabei haben sie auch die Reaktionen der Menschen in anderen Ländern beobachtet.
„Es gibt ein paar Unterschiede, weil jedes Land ja etwas anders ist. In Italien drücken sich die Menschen zum Beispiel lebhafter aus als hier, doch wenn man nach Deutschland kommt, wird man genauso angestarrt wie bei uns. Aber im Grund genommen haben wir noch keine größeren Unterschiede irgendwo in der Welt wahrgenommen“, berichtet Vlasta.
Auch seine Frau Michaela war zunächst überrascht. In einem Blogpost beschreibt sie ihr erstes Treffen mit Vlasta. Die beiden hatten sich auf einer Dating-Plattform kennengelernt und trafen sich in einem Café. Vlasta trug zwar kein Kleid, aber neonfarbenen Nagellack. Vlasta sagt:
„Sie hat mir später erzählt, dass sie zunächst dachte, da sei eine Art versteckte Kamera. Sie meinte, dass sie sich umdrehen und gehen wollte. Aber wir haben uns in der Werich-Villa getroffen, und sie wollte dort unbedingt hin. Also hat sie gedacht: Ich bleibe und schaue einfach mal. Also blieb sie, und wir hatten ein fast zweistündiges Date. Und dann gingen wir einfach. Sie dachte, dass wir uns nie wieder treffen würden.“
Hochzeit in Partnerlook
Ein Jahr später hat das Paar geheiratet. Zu ihrer Hochzeit trugen sie beide lange, weiße Kleider mit Spitze. Ein Bild auf ihrem Blog zeigt die beiden, wie sie sich verliebt ansehen. Vlasta erzählt:
„Wir waren zuvor mit den Kindern im Urlaub. Nach dem Segeln saßen wir im Restaurant und haben besprochen, dass wir irgendwann in der Zukunft heiraten, und Michaela meinte: ‚Wenn wir heiraten, dann musst du ein Kleid tragen, weil es eine einmalige Erfahrung ist.‘ Also haben wir einige Hochzeitsstudios besucht, um zu sehen, ob sie Kleider haben. Wie man sich vorstellen kann, war es ein wenig schwierig für mich, ein Kleid in meiner Größe zu finden, das es auch noch in Michaelas Größe gibt.“
Auch sonst trägt das Paar oft Partnerlook – zwar nicht genau die gleichen Outfits, aber stilvoll aufeinander abgepasst. Endlich das tragen zu können, was er möchte, hat Vlasta auch in anderen Bereichen seines Lebens geholfen.
„Ich würde sagen, dass es meiner Gesundheit gut getan hat. Ich habe davor nie bemerkt, dass da etwas in mir schlummerte, das nicht geklärt war. Es hat mir geholfen, ruhiger zu werden. Und es hat auch mein Selbstbewusstsein gestärkt. Das ist etwas, das man definitiv braucht, wenn man gegen den Strom schwimmen will.“
Denn nicht alle Menschen sind so offen wie Michaela. Vlasta erzählt etwa, dass Männer ihn oft als schwach wahrnehmen würden, wenn er Frauenmode trägt.
Ich würde sagen, dass es meiner Gesundheit gut getan hat. Ich habe davor nie bemerkt, dass da etwas in mir schlummerte, das nicht geklärt war.
„Wenn ich Frauenkleidung anziehe, dann reagieren Männer in der Regel nach den Mustern, die sie in ihrem Leben gelernt haben. Sie öffnen die Tür für dich und lassen dich zuerst eintreten. Aber sie rufen dir nach und pfeifen, weil das etwas ist, das sie gewöhnt sind zu tun. Zuerst dachte ich: Wie können sie das tun? Aber meine Frau sagte mir: ‚Du bist daran einfach nicht gewöhnt, aber für Frauen ist es sehr verbreitet.‘ Das ist also etwas, das ich nicht erwartet habe. Aber es ist eine interessante Erfahrung, um zu sehen, wie die Gesellschaft auf Frauen reagiert.“
Vlasta und Michaela sind schon einige Zeit gemeinsam in Prag unterwegs. Vlasta merkt an, dass die tschechische Gesellschaft aber auch toleranter gegenüber Dingen geworden sei, die als anders wahrgenommen werden.
„Wir laufen schon seit etwa fünf Jahren durch die Innenstadt von Prag, weil wir hier leben, und wir sehen, dass die Stimmung sich verändert und dass die Leute nicht so überrascht sind, uns zu sehen. Ich würde sagen, dass die Trennlinie zwischen den jüngeren und den älteren Menschen verläuft. Die jungen schauen Netflix, und sie sind an Vielfalt gewöhnt. Ihre Freunde sind offen schwul, bisexuell oder lesbisch, also ist ihnen das egal. Es ist ein Generationswechsel, und wir sehen das. Und gleichzeitig hat meine Frau Michaela gesagt, dass sie einen älteren Mann in Prag gesehen habe, der einen Rock trug. Ich glaube, dass die Menschen mehr und mehr Mut haben. Immer mehr Männer haben akzeptiert, dass ein Rock Teil ihrer Garderobe sein kann und dass daran nichts falsch ist. Es ist nur ein Stück Stoff.“
Für Vlasta ist es inzwischen so natürlich geworden, sich zu kleiden wie er möchte, dass er manchmal überrascht ist, wenn Menschen ihn anstarren, berichtet er der englischsprachigen Redaktion von Radio Prag International. Das Paar postet weiter Fotos von sich auf Instagram, zuletzt auf einem Prager Designfestival – beide in coolen, schwarzen Herbstoutfits mit Stiefeln.