Die Prager Familie Haase und ihr Buchdruck- und Papierimperium
In der Buchdruckerei Haase wurden unter anderem Bücher, Zeitungen, Banknoten und Karten gedruckt. Der Betrieb in der Prager Altstadt gehörte zu den größten und wichtigsten Druckereien in der Habsburger Monarchie, und ebenso bedeutend war die Papierfabrik der Haases in Vrané nad Vltavou.
Eines Tages habe er eine überraschende E-Mail aus Prag bekommen, in der stand, ein Heimatverein beschäftige sich mit seinen Vorfahren. Das erzählt Lorenz Mikoletzky, der emeritierte Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs in Wien. In der vergangenen Woche nahm er an der Vernissage der Ausstellung „Vom Lappen zum Papier: Die Familie Haase – Unternehmer, Visionäre, Mäzene“ im Nationalarchiv in Prag teil:
„Meine Mutter war eine Haase. Sie ist mit ihren zwei Schwestern die letzte weibliche Linie. Die männliche war schon längst gestorben, das war mein Großvater Max, der 1940 starb. Aus den Erzählungen meiner Mutter weiß ich von einem Vorfahren, der aus Halberstadt hierher eingewandert ist. Ich weiß von einem Ururgroßvater, der Vizebürgermeister von Prag war. Ich weiß von einer ganz entfernten Dame, die verwandt war mit den Haases und in zweiter Ehe Bedřich Smetana geheiratet hat.“
Gottlieb Haase und seine vier Söhne
Soweit Lorenz Mikoletzky über seine Vorfahren in Böhmen. Die Anfänge des Buchdruckimperiums gehen auf Gottlieb Haase zurück, der Ende des 18. Jahrhunderts nach Prag gekommen war.
„Soviel ich weiß, war er ein Buchdrucker-Lehrling. Es war damals üblich, dass die Leute nicht in einer Stadt, in der sie gelernt hatten, arbeiteten, sondern weiterzogen. So kam er aus Halberstadt nach Prag, ließ sich hier nieder und baute diese Firma auf, die immerhin eine der größten in der Monarchie war. Ich darf nicht vergessen zu erwähnen, dass die Firma A. Haase in vielen Schulbüchern aufscheint, die Zeitung Bohemia druckte, oder auch Geldscheine für den neuen tschechoslowakischen Staat nach 1918.“
1798 eröffnete Gottlieb in Prag ein eigenes Buchdrucker-Geschäft in der Nähe des Altstädter Rings. Durch viel Fleiß und Arbeit wurde er schnell zum führenden Buchdrucker und Verleger in Böhmen. Seine Druckerei hatte achtzehn Pressen, und er erlangte den Titel eines Buchdruckers der Stände Böhmens. Sowohl Belletristik als auch Fachliteratur wurden bei ihm gedruckt, aber auch etwa Theaterzettel für das Ständetheater oder beliebte farbige Neujahrskarten. 1806 eröffnete Haase in Prag zudem eine Buchhandlung, 1811 eine Leihbücherei und 1815 eine Schriftgießerei. Im Jahre 1820 gründete er die erste Steindruckerei in Böhmen. Anfang 1824 wurde Gottlieb Haase zum Hofdrucker ernannt, im selben Jahr verstarb er.
Nach dem Tod ihres Vaters führten seine vier Söhne Ludwig, Andreas, Gottlieb junior und Rudolf das Unternehmen weiter. Die Firma nannte sich Gottlieb Haase Söhne. 1835 kaufte sie eine Druckerei im Annenhof in der Prager Altstadt. Lorenz Mikoletzky:
„So eine große Firma, die im Annenhof situiert war – in einem aufgelassenen Kloster, in dem sich heute die Ballettschule der Oper befindet – hatte es hier in Prag vorher nicht gegeben. Es war auch ein Verlag. Sie machten dort ganz früh Lithographien und auch andere Sachen für den normalen Gewerbebetrieb.“
Druckerei im Annenhof
Die Druckerei im Annenhof entwickelte sich zu einer der größten Druckereien des österreichischen Kaiserstaates. Seit 1881 hieß sie k. k. Hofbuchdruckerei.
Den gesellschaftlichen Aufschwung der Familie belegt vor allem der 1804 geborene Andreas, der sich öffentlich viel engagierte. Er setzte sich unter anderem für den Bau des heutigen Masaryk-Bahnhofs und einer modernen Wasserleitung in Prag ein. Er war sechs Jahre lang stellvertretender Bürgermeister Prags und von 1861 bis zu seinem Tod 1864 Abgeordneter des Böhmischen Landtags. 1854 wurde er als k. k. Hofbuchdrucker durch Kaiser Franz Joseph in den Adelsstand erhoben. Seine Familie konnte seitdem das Prädikat Haase Edler von Wranau nutzen. Lorenz Mikoletzky:
„Es war die Zeit nach der Revolution 1848, er war vorher Mitglied der Nationalgarde gewesen. Das war eine sehr honorige Stellung. Er war dann auch Vorsitzender vom Bankverein, ebenso war er in der Industrie- und Handelskammer tätig. Die Bedeutung der Familie in dieser Zeit ist also nicht zu unterschätzen.“
In den Gebäuden des Klosters befand sich unter anderem das zentrale Büro mit der Handelsabteilung, die Setzerei, die Maschinensäle, die Buchbinderei, die Stereotypie und die Galvanoplastik. Das Lager befand sich im Kirchenschiff, das durch Holzdecken in fünf Stockwerke unterteilt war. Das Unternehmen nahm lithografische Aufträge für Tafeln, farbige Gemälde oder Karten an. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden über 200 Maschinen durch eine eigene Dampfmaschine angetrieben. Nach der Gründung der Tschechoslowakei war die Druckerei dann mit dem Druck neuer Banknoten beschäftigt.
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts war Max Haase der alleinige Chef des Annahofes, der Großvater von Lorenz Mikoletzky. Mikoletzkys Mutter Karolina kam 1916 in Prag zur Welt. 1936 heiratete sie und zog nach Wien um:
„Mein Großvater war der Meinung, dass seine Kinder Tschechisch lernen sollten, weil sie hier im Land aufgewachsen sind. Meine Mutter hat viel erzählt von ihrer Jugend. Sie war sehr sportlich für die damalige Zeit, fuhr in den 1920er Jahren Ski und ist auf den Großglockner gegangen. Als ich nach 1968 mit ihr hierher kam, hat sie mir gezeigt, wo was ist, wo sie geboren wurde. Damals war mir manches aus Erinnerungen bekannt. Das war sehr eindrucksvoll.“
Papierfabrik in Vrané nad Vltavou
Die Buchdruckerei im Annenhof war nicht der einzige Betrieb des Imperiums Haase. 1837 kauften die Söhne des Firmengründers ein Anwesen mit Brettsäge, Mühle und Schankwirtschaft im Dorf Vrané nad Vltavou / Wran in der Nähe von Prag und errichteten dort eine Papierfabrik.
Eben in Vrané nad Vltavou wurde nun die Idee geboren, eine Ausstellung über die Familie Haase vorzubereiten. Vier Mitglieder des örtlichen Vereins Stará škola (auf Deutsch: Alte Schule) verfassten zunächst ein Buch über die Geschichte der Gemeinde. Davon sei es dann nur ein kleiner Schritt zur Aufarbeitung der Geschichte der Haases gewesen, sagt eine der Autorinnen, Soňa Hrdličková Krásová:
„Da sich in Vrané alles um die Papierfabrik dreht, kam man nicht um die Familie Haase herum. Es war ursprünglich ein, zwar mehr als 1000 Jahre altes, aber kleines Dorf mit einer Kirche. Dann kamen die Haases und gründeten hier die dritte Maschinenpapierfabrik auf dem Gebiet der böhmischen Länder, die bald zur größten Papierfabrik anwuchs und eine der wichtigsten in der Monarchie wurde. Und das führte zu einem großen Aufschwung in Vrané.“
„Klein-Paris“
Im 19. Jahrhundert hätte sie die Entwicklung der Gemeinde grundlegend geprägt, sagt Hrdličková Krásová:
„Die Familie Haase war der größte Arbeitgeber in der Umgebung. Laut Statistiken des damaligen österreichischen Industrie- und Handelsministeriums hatten sie etwa 350 Angestellte. Sie wussten auch, dass ein Erfolg nur möglich ist, wenn die Arbeiter gut sind und dass man sich um sie kümmern muss. Sie errichteten ein großes Wohnhaus, in dem sie die Wohnkosten zum Teil trugen. Sie förderten die Verpflegung sowie die Kranken- und Rentenversicherung. In der Papierfabrik waren zwei Ärzte tätig, eine gewisse Zeit lang auch eine Schule. Die Haases setzten sich zudem dafür ein, dass in Vrané nad Vltavou ein Bahnhof errichtet wurde. Der Aufschwung war riesig. Die Angestellten wurden gut bezahlt und konnten auch Geld ausgeben. In der Chronik der Pfarrgemeinde habe ich diesbezüglich gelesen, dass Vrané nad Vltavou damals als ‚Klein-Paris‘ bezeichnet wurde.“
In der Papierfabrik wurden 124 Typen feinen Qualitätspapiers hergestellt, unter anderem Banknotenpapier, sagt Hrdličková Krásová:
„Die Haases erhielten für zweieinhalb Jahre das Privileg, österreichische staatliche Bankscheine zu drücken. Und da die Scheine dieselben Qualitäten hatten wie Zigarettenpapier, wurde dieses als Nebenprodukt hergestellt. Später wurde das Zigarettenpapier zum Hauptprodukt der Fabrik und wurde dort bis zu ihrer Schließung 2001 produziert.“
2001 befand sich die Papierfabrik jedoch schon längst nicht mehr im Eigentum der Haases. Die Familie verkaufte sie 1928 und geriet in der Gemeinde schrittweise in Vergessenheit. Mit der Ausstellung „Vom Lappen zum Papier: Die Familie Haase – Unternehmer, Visionäre, Mäzene“ will man nun wieder an sie erinnern.
Die Wanderausstellung „Vom Lappen zum Papier: Die Familie Haase – Unternehmer, Visionäre, Mäzene“ erlebte im Herbst vergangenen Jahres in Vrané nad Vltavou ihre Premiere. Anschließend wanderten die sechzehn Ausstellungspaneele in die Nationalbank und aktuell werden sie bis zum 26. April im Nationalarchiv in Prag gezeigt. Im Mai kann man sie dann in Mariánské Lázně / Marienbad und im Sommer in Poděbrady / Podiebrad sehen.