Europawahl in Tschechien: Sieg von Ano, Denkzettel für Regierungskoalition und überraschende Dritte

Pressekonferenz der Partei ANO

Am späten Sonntagabend veröffentlichte das Statistikamt (ČSÚ) die Ergebnisse der Europawahl in Tschechien. Auch hierzulande hat – wie in anderen Staaten der EU – die Opposition gesiegt und die Regierungskoalition einen Denkzettel erhalten.

Im Wahlkampfstab der Partei Ano herrschte am Sonntagabend große Freude, als das Ergebnis der Europawahl in Tschechien verkündet wurde. Mit 26,1 Prozent der Stimmen wurde sie stärkste Kraft. Oppositionsführer Andrej Babiš trat wenig später vor die Kameras und Mikrophone:

Klára Dostálová | Foto:  Michaela Říhová,  ČTK

„Das Ergebnis finden wir famos. Ich habe selbst nicht daran geglaubt. Und Klára Dostálová hat wirklich viele Präferenzstimmen erhalten, insgesamt 171.142.“

Bei den Wahlen in Tschechien können die Wähler bis zu zwei Präferenzstimmen vergeben und damit konkrete Kandidaten in einer Parteienliste nach vorne bringen. Das hat diesmal beispielsweise den Spitzenkandidaten zweier weiterer Gruppierungen den Einzug ins Europaparlament gekostet – und zwar bei den Piraten und bei der Rechtsaußenkoalition „Freiheit und direkte Demokratie“ (SPD) und Trikolora.

Die Partei Ano zieht nun mit sieben Abgeordneten ins Europaparlament ein, das ist genau ein Drittel aller Volksvertreter aus Tschechien in Straßburg. Vor allem will sie laut den Aussagen von Babiš und Spitzenkandidatin Dostálová darauf drängen, den Migrationspakt und den Green Deal neu zu verhandeln.

Mit Verweis auf vergleichbare Ankündigungen weiterer tschechischer Parteien kommentierte die frühere tschechische Botschafterin bei der EU Milena Vicenová (parteilos) im öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen (ČT):

„Über einige der Versprechungen muss ich etwas lachen. Dass neu über den Green Deal verhandelt oder der Pakt ganz gestrichen wird, ist wirklich absurd. Natürlich können die tschechischen Abgeordneten im Europaparlament bei den Verhandlungen über einige Durchführungsbestimmungen zum Green Deal eine wichtige Rolle spielen. Aber andere Versprechen sind wirklich irreal.“

Foto: Zuzana Jarolímková,  iROZHLAS.cz

Im Übrigen weiß man bei der Partei Ano noch nicht, welcher Fraktion im Europaparlament man sich anschließt. Darüber werde ab Montag verhandelt, sagte Klára Dostálová. Bisher gehörte Ano zur Fraktion „Renew Europe“, die liberale und zentristische Kräfte vereint.

Alexandr Vondra | Foto: René Volfík,  iROZHLAS.cz

Auf den zweiten Platz hinter der Oppositionspartei kam das liberal-konservative Wahlbündnis Spolu (Gemeinsam) aus Bürgerdemokraten (ODS), Top 09 und Christdemokraten (KDU-ČSL) mit Spitzenkandidat Alexandr Vondra. Dieser Zusammenschluss dreier Regierungsparteien erzielte 22,3 Prozent der Stimmen hierzulande. Premier Petr Fiala (Bürgerdemokraten) wollte daraus aber keine klare Niederlage deuten…

„Es ist die Europawahl. Sie drückt aber auch in einem gewissen Maß die Stimmung in der Gesellschaft aus. Häufig siegen in dieser Wahl die Oppositionsparteien. Daher werden wir aus dem Fingerzeig der Wähler unsere Lehre ziehen“, so der Regierungschef.

Spolu geht nun mit sechs Abgeordneten ins Europaparlament, also einem weniger als die oppositionelle Ano – und zwei weniger, als das Bündnis bisher in Straßburg hatte.

Pressekonferenz der SPOLU-Koalition | Foto: René Volfík,  iROZHLAS.cz

Und die Regierungskoalition hat noch mehr verloren. Inklusive dem Ergebnis für die Piraten und die Bürgermeisterpartei Stan erreichte sie nur rund 37 Prozent der Stimmen, bei den Wahlen ins tschechische Abgeordnetenhaus von 2021 hatte sie 43 Prozent geholt.

Größte Überraschung ist sicher, dass das rechtsnationale Bündnis aus Přísaha (Der Eid) und der Autofahrerpartei Motoristé sobě mit 10,3 Prozent und zwei Abgeordneten zur drittstärksten Kraft wurde. Vorsitzender von Přísaha ist Robert Šlachta – ein ehemaliger Polizist, der viele Jahre lang den Bereich zum Kampf gegen das organisierte Verbrechen geleitet hat. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks sagte er:

Robert Šlachta,  Nikola Bartůšek,  Filip Turek und Petr Macinka | Foto: Michal Krumphanzl,  ČTK

„Ich bin sehr froh über das Ergebnis, weil wir in der letzten Meinungsumfrage eine Woche vor der Wahl nur bei 4,7 Prozent gelegen haben. Das war also nicht einmal die Hälfte des Anteils, den wir nun erringen konnten.“

Vor allem war der kontroverse Spitzenkandidat Filip Turek unter Druck geraten. Von dem früheren Rennfahrer waren Beiträge auf Social Media bekanntgeworden, die ihn zum Beispiel mit dem Hitlergruß in einem Auto sitzend zeigen oder mit einem Helm mit dem Symbol der griechischen neofaschistischen Partei „Goldene Morgenröte“, das dem Hakenkreuz ähnelt. Deswegen war Turek vergangene Woche von allen Diskussionsveranstaltungen abberufen worden. Er führte den Wahlkampf aber im Netz weiter und erreichte die zweithöchste Zahl aller Präferenzstimmen nach der Ano-Spitzenkandidatin Dostálová.

Filip Turek | Foto: Michal Krumphanzl,  ČTK

Ebenfalls ins Europaparlament eingezogen ist der kommunistische Zusammenschluss Stačilo (Es reicht) mit 9,6 Prozent der Stimmen und zwei Abgeordneten. Das zweite Rechtsaußen-Wahlbündnis aus den Parteien „Freiheit und direkte Demokratie“ (SPD) und Trikolora erreichte 5,7 Prozent und hat nur noch eine Parlamentarierin in Straßburg statt bisher zwei.

Auf 8,7 Prozent und zwei Sitze kommt die Bürgermeisterpartei Stan, die diesmal nicht in einem Wahlbündnis antrat, sondern allein. Sie schickt unter anderem Spitzenkandidatin Danuše Nerudová nach Straßburg. Größte Verlierer sind die Piraten mit 6,2 Prozent Zustimmung. Sie verloren zwei Abgeordnete und schicken nur eine Parlamentarierin ins Europaparlament. Markéta Gregorová konnte dabei aufgrund der Präferenzstimmen am Spitzenkandidaten Marcel Kolaja vorbeiziehen und sicherte sich das Mandat.

 Ondřej Dostál und Kateřina Konečná | Foto: Kateřina Šulová,  ČTK

„Angesichts dessen, wie die proeuropäischen, liberalen Parteien in ganz Europa abgeschnitten haben, denke ich, dass derzeit in der EU eher konservative Kräfte gefragt sind. Das mag daran liegen, dass die Bürger Zukunftsängste haben und an unseren Grenzen Krieg geführt wird“, so Gregorová.

Interessant ist die Wahlbeteiligung hierzulande. Sie lag zwar so hoch wie nie zuvor bei einer Europawahl: 36,5 Prozent der Stimmberechtigten kamen zu den Urnen, vor fünf Jahren waren es nur 28,7 Prozent gewesen. Dennoch gehört Tschechien weiterhin zu jenen Ländern der EU, in denen die Abstimmung über die Sitze in Straßburg nur wenige Menschen bewegt.

Autor: Till Janzer
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