Regisseur Matthias Krepp in Karlsbad: Mini-Gesellschaftspanorama vor einem großen Umbruch
Der Jahreswechsel 2019/2020: eine Silvesterfeier, die nicht nur voller Feierlichkeiten und Freude ist. Drei ganz unterschiedliche Paare kämpfen darum, Trost und Bedeutung in einer Zeit des Umbruchs zu finden. Ihre Geschichten werden im Film „Strangers in the Night“ von Regisseur Matthias Krepp erzählt. Der Absolvent der Filmakademie Wien hat seinen Steifen in dieser Woche in der Sektion „Future Frames“ auf dem Filmfestival in Karlovy Vary / Karlsbad präsentiert.
Herr Krepp, Sie kommen mit dem Streifen „Strangers in the Night“ zum Filmfestival nach Karlsbad. Können sie Ihren Film vorstellen?
„Es ist ein mittellanger Film, was eher ungewöhnlich und auch schwer zu vermarkten ist. Deswegen freue ich mich enorm, bei einem solchen Festival dabei sein zu dürfen. Der Film heißt ‚Strangers in the Night‘ und spielt am Silvesterabend 2019/2020 in Wien, also bevor die Pandemie kam und die Welt ein bisschen verändert hat. Es sind drei lose miteinander verknüpfte Geschichten, die kleine Überschneidungspunkte haben. Es ist ein Mini-Gesellschaftspanorama in einer Zeit, bevor ein großer Umbruch gekommen ist, und die Protagonisten wissen noch nicht, dass im nächsten Jahr der Umbruch passieren wird.“
Was sehen Sie als diesen großen Umbruch? Sie haben die Corona-Pandemie erwähnt, ist dies das Einzige?
„Meine Protagonisten spüren schon ein bisschen die Endzeitatmosphäre, obwohl sie noch nicht wissen, was im folgenden Jahr passiert.“
„Die Pandemie passierte. Leute, die sich direkt mit solchen historischen Umbrüchen professionell beschäftigen, haben sie immer zitiert und beschrieben. Wahrscheinlich kann man sich erst mit einer Distanz von einigen Jahren anschauen, ob es ein Umbruch war. Dass danach auch einige historisch und politisch relevante Sachen passiert sind – vor allem der Ukraine-Krieg, aber auch die wirtschaftliche Situation –, geht ein bisschen ineinander über. Aber schon die Pandemie war diese Zeitenwende, die sich jetzt langsam fortentwickelt. Sie war eine Art Startschuss.“
Wann haben Sie angefangen, an dem Film zu arbeiten?
„Lustigerweise noch ein Stück vor der Pandemie. Und der Film war schon damals relativ ähnlich. In der ersten Drehbuchversion kam schon Einiges inhaltlich vor, was heute in dem Film ist. Und auch eine bestimmte Endzeitatmosphäre gab es bereits. Als die Pandemie zuschlug, habe ich beschlossen, dass es ein gutes Mittel ist, diese Geschichten zusammenzukitten und zu sagen: Das ist sozusagen der letzte Silvesterabend in einem relativ normalen Jahr. Aber meine Protagonisten spüren schon ein bisschen die Endzeitatmosphäre, obwohl sie noch nicht wissen, was im folgenden Jahr passiert.“
Haben auch Sie selbst damals so etwas gespürt?
„Nicht in einem prophetischen Sinne, dass Umbrüche auf uns zukommen. Aber es ist schon in meiner Generation so, dass man Grundtöne hört wie: Es wird nicht besser oder: Eine bestimmte Entwicklung kommt an ihr Ende. Jüngere Kollegen sagen, es sei ein typischer Millennial-Film. Ich weiß nicht, ob das so stimmt, ich habe mich bis dahin nie als Millennial definiert.“
Können Sie sich erinnern, wie Sie selbst die Silvesternacht 2019 erlebt haben?
„Ja, tatsächlich, ich war nämlich krank. Zum ersten Mal seit einigen Jahren hatte ich eine Virusinfektion mit ordentlich Fieber und Husten. Als dann die Pandemie kam, gab es die Zeitungsmeldungen, dass sie schon viele Monate im vorherigen Jahr in Europa gewesen war. Daher habe ich überlegt, ob ich das Virus vielleicht schon hatte. Aber es war wahrscheinlich kein Covid. Und ich habe bis heute nie das Corona-Virus gehabt.“
Sie haben gesagt, es werden drei unterschiedliche Geschichten erzählt, die sich teilweise berühren. Woher kam die Inspiration für die einzelnen Geschichten?
„Der Großteil ist aus meinem näheren oder weiteren Umfeld. Das ist interessant, das war bei anderen Sachen, die ich gemacht habe, nicht ganz so. Es ist also sehr realitätsinspiriert und gleichzeitig nicht so direkt von mir.“
„Strangers in the Night“ ist ein Spielfilm. Sie haben früher eher Dokumentarfilme gedreht. Warum haben Sie sich nun für die Fiktion entschieden? Wie unterscheidet sich die Arbeit daran?
„ Mein Hauptinteresse war immer ein fiktionaler Film. Ich mag es auch, Welten zu erschaffen.“
„Mein Hauptinteresse waren eigentlich immer Spielfilme. Das war eher fast ein Zufall, dass es sich in meinem Berufsweg bisher anders entwickelt hat. Ich habe auch immer den Eindruck, dass das, was man mit der Dokumentarfilmarbeit assoziiert – nämlich Spontaneität, Improvisation, schnell zu sein, immer zu reagieren, vieles nicht vorbereiten zu können –, nicht meine starke Seite ist. Mein erster Dokumentarfilm, der ganz gut auf Festivals lief, ‚Sand und Blut‘, war kein konventioneller Dokumentarfilm. Das Projekt lief über ein Jahr, war sehr günstig, hat mir sehr viele Freiheiten gegeben. Ich arbeite mittlerweile manchmal an Fernsehdokumentarfilmen und bin ein bisschen hineingewachsen, aber ich würde sagen, manche Kolleginnen und Kollegen können das besser. Mein Hauptinteresse war immer ein fiktionaler Film.“
Bevor Sie mit dem Film angefangen haben, haben Sie vergleichende Literaturwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien studiert. Ist Ihre Filmarbeit dadurch irgendwie geprägt?
„Es ist schwer zu sagen. Erstens muss ich dazu sagen: Ich habe beides nicht abgeschlossen, aber mein Interesse, speziell für Literatur, ist immer noch groß. Als Konsument ist mir die Literatur manchmal sogar etwas näher als Film. Es ist schön, eine Leidenschaft zu haben, die man nicht professionell macht und nur konsumiert. Das hat sicher auch eine gewisse Auswirkung. Im Gegensatz zu manchen Kollegen und Kolleginnen war ich mit 16 Jahren kein großer Filmfan, sondern habe immer gelesen. Es spiegelt sich dann auch im Geschmack, wenn man erst mit 20 Jahren beginnt, sich für Filme zu interessieren. ‚Strangers in the Nigt‘ hat zum Beispiel einen realistischen Ton, und gleichzeitig gibt es ein bisschen etwas Magisches daran. Ich mag es auch, Welten, dunkle Welten zu erschaffen. Eines der für mich interessantesten Komplimente war von einer Kollegin: Sie kenne alle Orte in dem Film, und trotzdem sei es für sie nicht Wien, sondern es habe auch eine abstrakte Qualität. Das gefällt mir sehr, so möchte ich meine Filme machen. Und das hat vielleicht mit der Literatur zu tun, wer weiß...“
Kommen wir zum Festival in Karlsbad. Was erwartet Sie hier, wie sieht das Programm „Future Frames“ aus? Und was erwarten Sie von dem Aufenthalt hier?
„Es ist so ein Vernetzungstreffen. Das ist sehr gut strukturiert und von der EFP (European Future Promotion, Anm. d. Red.) gestaltet. Und es spielt mir ein bisschen in die Karten, weil ich kein guter Netzwerker bin. Ich habe die früheren Festivals, bei denen ich mit meinem letzten Film war, nicht in dem Ausmaß genutzt, obwohl ich weiß, wie wichtig das ist. Deswegen werde ich davon Gebrauch machen.“
Reisen Sie oft zu Filmfestivals?
„Das ist jetzt der zweite Film überhaupt, den ich auf Festivals habe. Der erste Film ‚Sand und Blut‘ hat eine tolle Festivalreise gefördert, ich war auch in Tschechien, das Dokumentarfilmfestival in Jihlava hat mir sehr gefallen. Ich bin dadurch also zu einigen Festivals gekommen. Und es war immer spannend, zu sehen, wie sich die verschiedenen Festivals positionieren, wie verschieden sie angelegt sind.“
Im Moment können Sie wahrscheinlich noch nicht einschätzen, was für das hiesige Festival kennzeichnend ist. Oder?
„Nein, aber ich habe etwas gehört. Ich habe gehört, dass es recht publikumsnah ist, was angenehm ist. Es gibt Festivals, auf denen viele Leute sehr snobisch sind. Ich hoffe und glaube, nach all dem, was ich höre, dass das hier nicht so ist – und das freut mich sehr.“
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