Einsturzgefahr: Experten fordern, die Decken alter Industriehallen in Tschechien zu überprüfen

Eingestürztes Dach einer Industriehalle in Ostrau am 19. April 2023

Zahlreiche Stahlbeton-Decken von Industriehallen aus kommunistischer Zeit sind in Tschechien einsturzgefährdet. Doch es gibt hierzulande keine Pflicht, solche Bauten regelmäßig auf ihre Statik zu überprüfen. Auf das Problem haben Ingenieure schon vor vier Jahren aufmerksam gemacht, und es bestehen auch Möglichkeiten der Diagnostik und für eine Sicherung solcher Gebäude.

Ab den 1960er Jahren stellten einige Firmen wie etwa Priemstav in Bratislava oder Prefa Hýskov in Beroun / Beraun spezielle Spannbetonbinder für die Decken von Industriehallen her. Geliefert wurde in alle Ostblockländer. Zumindest in der Tschechoslowakei wurden die Binder aber nicht immer richtig verbaut. Das Problem sind die Stahlseile in dem Beton, die erst nachträglich gespannt wurden. Sie befinden sich in einem Hüllrohr, das dann noch mit Zementmörtel aufgefüllt wurde. Doch genau diese Verfüllung wurde laut den Nachforschungen von Experten der Technischen Universität in Ostrava / Ostrau nicht immer korrekt und manchmal auch gar nicht vorgenommen. Oder die Eigner der Hallen führten nicht-fachgerechte Umbauten durch. Die Folge: Wenn Wasser in die Spannbetonkonstruktion dringt, korrodieren die Stahlseile – und es droht der plötzliche Deckeneinsturz.

Petr Mynarčík | Foto: Technische Universität Ostrava

Ingenieur Petr Mynarčík gehört zu den Wissenschaftlern, die das Problem in mehreren Fachartikeln beschrieben haben. Sie haben auch ein System der Diagnostik entwickelt. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks sagte er:

„Wir kommen dann zum Beispiel zu einem Spannbetonbinder, der in den vergangenen fünf Jahren neu gestrichen und irgendwie saniert wurde. Aber niemand hat sich gefragt, wie es um die Verfüllung der Hüllrohre steht. Mit unseren diagnostischen Möglichkeiten, einer endoskopischen Untersuchung der Rohre, schauen wir aber in das Innere der Konstruktion und ermitteln den Zustand der Stahlseile.“

Sind die Seile korrodiert, muss ihre Funktion durch eine Hilfskonstruktion ersetzt werden. Denn wie Mynarčík und weitere Forscher in Fachartikeln und Interviews dargestellt haben, können die Dächer auch ohne Vorwarnung einstürzen.

Zu den Fachleuten gehört auch Jaroslav Cejnar, der eine Firma betreibt, die diagnostische Dienste für Spannbetonbauten und ihre nachfolgende Sicherung anbietet. Alle Experten zusammen haben im Jahr 2021 dem Ministerium für Regionalentwicklung eine Liste übergeben, auf der die ihnen bekannten Risikobauten genannt wurden. Sie baten um eine Lösung auf zentraler Ebene.

„Die Bauämter haben in der Folge alle Eigentümer der aufgelisteten Bauten, die ausfindig gemacht werden konnten, angesprochen. Denn die Pflicht, einen Bau so zu erhalten, dass seine Statik nich

Michal Drahorád | Foto: ČKAIT

t lebensbedrohlich ist, liegt laut Gesetz bei den Eigentümern“, so Karolína Nová, Sprecherin des Ministeriums für Regionalentwicklung.

Die Kammer der autorisierten Ingenieure und Techniker (ČKAIT) drängt aber auch auf Gesetzesänderungen. Sie empfiehlt, regelmäßige Kontrollen der Statik dieser Bauten vorzuschreiben. Michal Drahorád ist stellvertretender Vorsitzender der Kammer:

„Wir haben eine gewisse Vorstellung, was sich machen ließe. Allerdings drängt die Zeit. Es handelt sich um eine ganze Reihe an Bauten verschiedener Art, sodass auch die Anforderungen unterschiedlich ausfallen. Aber sicher könnte der Staat mehr darauf drängen, dass Kontrollen und Erhaltungsmaßnahmen durchgeführt werden, indem er das im Baugesetz genauer spezifiziert.“

In Tschechien sollen laut den Schätzungen der Fachleute heute noch bis zu 10.000 der genannten Spannbetonbinder verbaut sein. Im vergangenen Jahr zählten Ingenieur Mynarčík und seine Kollegen in einem Fachartikel vier Einstürze von Industriehallen hierzulande auf, zu denen es zwischen 2010 und 2024 wegen Korrosion der Stahlseile kam. Zum Glück gab es weder Tote noch Verletzte. Allerdings arbeiten den Schätzungen von Jaroslav Cejnar nach rund 20.000 Menschen hierzulande in Industriebetrieben mit solchen Hallen.

Der bekannteste Fall für den Einsturz einer Spannbetonkonstruktion in Tschechien ist im Übrigen die Fußgängerbrücke über die Moldau im Prager Stadtteil Troja. Bei dem Unglück im Dezember 2017 wurden vier Menschen verletzt.

Autor: Till Janzer | Quelle: Český rozhlas Ostrava
schlüsselwort:
abspielen