Nordrhein-Westfalen verliert einzigen Lehrstuhl zu Kultur und Geschichte Deutscher in Osteuropa
In unserem heutigen Geschichtskapitel geht es um ein Thema, das in Nordrhein-Westfalen Politiker, Historiker und Akademiker gleichermaßen beschäftigt: Die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf schafft den Lehrstuhl für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa in seiner bestehenden Form ab. Der Forschungsbereich wird in das Osteuropa-Institut eingegliedert. Gerechtfertigt oder nicht? Dazu lassen wir im ersten Teil Personen zu Wort kommen, die sich von Amts wegen mit dem Thema befassen. Der zweite Teil des Geschichtskapitels ist ein Interview mit Professor Detlef Brandes, der den Lehrstuhl 1991 ins Leben rief und bis Sommer 2008 leitete.
Das Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa ist keine Einrichtung, die sich ausschließlich mit den deutschen Angelegenheiten in der ehemaligen Tschechoslowakei beschäftigt. Vielmehr wird Wissen über historische Vorgänge in sämtlichen Ländern Osteuropas vermittelt. Man unterhält unter anderem enge Beziehungen zur Karlsuniversität Prag. Professor Detlef Brandes, ehemaliger Leiter des Instituts, wurde 2001 mit der Ehrendoktorwürde der tschechischen Partneruniversität ausgezeichnet. Administrativ ist sein früherer Lehrstuhl der Philosophischen Fakultät unterstellt. Deren Dekan, Professor Hans Siepe, zu den Veränderungen am Institut:
„Die Philosophische Fakultät besaß zwei Professuren zur Geschichte Osteuropas. Die Professur zu Geschichte und Kulturen Osteuropas bleibt erhalten. Die Professur, die Herr Brandes innehatte, mussten wir jedoch aus strukturellen Gründen umwandeln. Man muss das auch vor dem Hintergrund sehen, dass die Heinrich-Heine-Universität keine Slawistikforschung im eigentlichen Sinne betreibt und wir nicht zwei Professuren für osteuropäische Geschichte und Kulturen halten können. Wir benötigen frei werdende Stellen, um die Sprachwissenschaft in einen Sonderforschungsbereich zu überführen.“
Im Sommer letzten Jahres wurde der Lehrstuhl nach der Emeritierung von Professor Brandes nicht neu besetzt. Erwartungsgemäß wenig Anklang findet die vollzogene Umwandlung bei den zahlreichen Vertriebenenverbänden in Deutschland. Der Lehrstuhl ist in der Form schließlich der einzige in Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland, das mit etwa 2,4 Millionen die meisten Vertriebenen aufnahm. Auf die Frage, was man beim Landesverband der Vertriebenen in Nordrhein-Westfalen davon hält, antwortet Geschäftsführer Markus Patzke prompt:
„Gar nichts. Paragraph 96 des Vertriebenengesetzes sagt unserer Meinung nach aus, dass sich Bund und Länder für Bildung und Wissenschaft zum Thema Vertreibung einzusetzen haben. Zwar soll das Osteuropa-Institut diese Aufgabe übernehmen, aber dort ist es dann nur ein Bereich unter vielen. Es ist schon bedauerlich, dass dieser Lehrstuhl, der speziell für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa eingerichtet worden ist, wegfällt.“
Auch auf politischer Ebene sorgte die Entscheidung der Uni für geteilte Meinungen. Bodo Wißen, Landtagsabgeordneter der SPD in Nordrhein-Westfalen, war selbst Student bei Professor Brandes. Auch er versteht nicht, warum gesetzlich begünstigte Forschungen wie diese in größere Fachbereichen eingegliedert werden.
„Ich denke, dass es im größer werdenden Europa sehr wichtig ist, dass man die gegenseitige Kultur kennen lernt. Am Institut bei Professor Brandes lehrte man keine einseitige Sichtweise allein auf die Deutschen, die dort siedelten, sondern ein Gesamtbild. Es wäre einfach schade, wenn das Institut wegfallen würde. Begründet wird dies von einer CDU-geführten Landesregierung, und wenn man dann noch weiß, dass in den verschiedenen Landesverfassungen ausdrücklich festgelegt ist, dass man diese Kultur begleiten soll und auch entsprechende Angebote an den Hochschulen fördern soll, dann stimmt einen das als ehemaligen Studenten des Instituts natürlich traurig.“
Zeit, Detlef Brandes selbst zu Wort kommen zu lassen. Er gilt als Experte für deutsch-tschechische Beziehungen und ist unter anderem Mitglied der länderübergreifenden Historikerkommission. Im Jahre 1991 berief man Brandes als Professor an die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, wo er das Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa aufbaute. Letztes Jahr wurde er emeritiert und widmet sich nun größtenteils seinen Publikationen. Was sagt er zur Abschaffung dieses Lehrstuhls, den er selbst 17 Jahre innehatte?
„Dazu könnte ich viel sagen. Ich habe versucht, das zu verhindern und viele Kollegen haben sich dafür eingesetzt, dass der Lehrstuhl wieder besetzt wird. Es ist uns nicht gelungen. Diese Stelle wird für eine Linguistikprofessur verwendet, in der Hoffnung, dass daraus irgendwann ein Sonderforschungsbereich wird. Das ist eine Entwicklung, die durch diese Konkurrenz um die Exzellenz-Initiative angestoßen worden ist und den Geisteswissenschaften allgemein schadet. In diesem Fall bedeutet das unter anderem, dass eine der ganz wenigen Stellen zur Ostmitteleuropaforschung verschwindet.“
Professor Brandes, Sie halten oft Vorträge oder werden eingeladen, aus Ihren Büchern zu lesen. Was genau weiß Ihr Publikum im jeweiligen Land bereits über die Geschichte des Nachbarn?
„Das ist natürlich sehr unterschiedlich. Häufig wird man in Deutschland zu einem Publikum eingeladen, das von Vertriebenen dominiert wird. Dort gibt es natürlich feste Positionen, die gar nicht so leicht zu erschüttern sind.“
Welche zum Beispiel?
„Ganz bestimmte Vorstellungen von Edvard Beneš als Haupturheber und Organisator der Vertreibung. Es herrscht die Vorstellung, dass alles 1918 angefangen hat, indem die Sudetendeutschen gegen ihren Willen in die Tschechoslowakei eingegliedert worden seien. Die Menschen haben oft auch nur ein geringes Interesse an der Zeit von 1933 bis 1938 und an der deutschen Besatzung, das wird eher heruntergespielt. Es gibt aber auch ein allgemeines Publikum, und da sehe ich keine wirklichen Vorurteile. Wenn ich in Tschechien einen Vortrag halte, manchmal auf Tschechisch mit ein paar - oder vielen - Fehlern, dann habe ich eigentlich immer das Gefühl, dass es keine großen Gegensätze gibt.“Was wird auf tschechischer Seite für die Aufklärung um die Ereignisse der Vertreibung getan und was weiß man dort über das Münchener Abkommen?
„Es gibt eine Gruppe von tschechischen Historikern und Einzelpersonen, die sehr viel für die Aufklärung über Vertreibung und Zwangsaussiedlung getan haben. Das Münchener Abkommen ist natürlich ein Thema, das in der tschechischen Historiografie eine große Rolle spielt und sicherlich auch zur politischen Argumentation benutzt wird. Über die deutsche Besatzung ist in den letzten Jahren weniger gesprochen und geschrieben worden, weil nun natürlich das Erbe der kommunistischen Zeit im Mittelpunkt steht.“
Ist überhaupt ein Ende der Diskussionen und Forschungen zum Thema Vetreibung realistisch oder ist das ein Fachgebiet, das uns noch jahrzehntelang beschäftigen wird?
„Ich sehe eine Zäsur in der Aufnahme Tschechiens in die Europäische Union. Bis dahin haben mache Interessenten versucht, mit dem Vertreibungsthema diese Aufnahme zu verhindern oder aber eine positive Stellungnahme der Tschechischen Regierung zu ihren Forderungen zu erreichen. Nach der Aufnahme in die EU ist meiner Ansicht nach die Luft aus dem politischen Streit raus. Trotzdem wird immer noch dazu geforscht und diskutiert. Das wird so weitergehen, schließlich war das ein großes Ereignis mit vielen Opfern und großen Leiden. Es hat die Menschen, die davon betroffen waren, beschäftigt oder tut es immer noch - und auch diejenigen, die jetzt zum Beispiel in einem Fernsehfilm davon erfahren.“