Obama in Moskau und die Sozialdemokraten in Tschechien
In den Kommentarspalten der tschechischen Zeitungen ging es diese Woche um: den Antrittsbesuch von US-Präsident Barack Obama in Moskau, die Programmkonferenz der Sozialdemokraten und Klaus´ Veto gegen das Krisenpaket der Sozialdemokraten.
Till Janzer: Zumindest die meisten Meinungsäußerungen rief nicht ein innenpolitisches Thema hervor, sondern ein Ereignis hervor, das sich rund 1500 Kilometer nordöstlich von Prag abgespielt hat. Die tschechischen Medien haben den Antrittsbesuch von US-Präsident Barack Obama in Moskau ganz genau beobachtet.
Moderator: Dort ging es ja vor allem um ein Nachfolgeabkommen zum so genannten START-Vertrag. Das heißt Obama und der russische Präsident Dmitri Medwedjew haben sich geeinigt, dass sie ihre Arsenale an Atomsprengköpfen und Trägersystemen reduzieren. Wie kam das denn in Tschechien an.
Till Janzer: Bei den tschechischen Kommentatoren fand das keinen sonderlichen Beifall. Aber nicht etwa, weil die Kommentatoren die atomare Abschreckung verteidigen würden, sondern weil sie das Ergebnis nicht sonderlich aufregend finden. Milan Vodička fragt sich in der „Mladá Fronta Dnes“ wortwörtlich: „Warum lässt mich der historische Durchbruch in Moskau völlig kalt?“
Moderator: Ich nehme an, dass Vodička die Antwort auch gleich selbst parat hatte...
Till Janzer: Genau, und zwar sagt er, viele Jahre lange habe er über die Atonwaffenarsenale geschrieben und Details auswendig gekannt wie die genaue Anzahl der Sprengköpfe einer Rakete vom Typ Minuteman. Wenn man sich heute vor Atomwaffen fürchten sollte, dann wohl kaum vor russischen und amerikanischen. Überhaupt habe sich die Welt gewandelt und weiter schreibt Vodička in der „Mladá Fronta Dnes“:
„Die Welt scheint heute unberechenbar, verschreckt und ohne Führungszentrale. Sind die Regengüsse hierzulande ein Vorbote dafür, dass in Tschechien die Tropen und in den Tropen Wüste herrschen wird? Sagt nicht der Aufstand der Uiguren, dass China dereinst vor allem mit sich selbst Probleme haben wird, anstatt Herr der Welt werden zu wollen? Und wie sehr wird uns die Krise noch beim Schlafittchen packen – und verbindet sie sich im Herbst nicht vielleicht mit der Schweinegrippewelle, vor der wir uns bereits jetzt nicht mehr fürchten? Das sind die Meldungen des Tages, und nicht ein Abkommen über Raketen, das mit mehr als 20 Jahre Verspätung kommt.“
Moderator: Das ist eine erstaunliche Meinung, wo doch gerade der konservative Teil der Tschechen, den die „Mladá Fronta Dnes“ vertritt, zuletzt immer noch Russland als unberechenbar und geheimnisvoll-böse hingestellt hatte. Ich erinnere nur an die Debatte über den Raketenabwehrschild, den die Amerikaner in Mitteleuropa aufbauen wollen...
Till Janzer: Und bei dem in Mittelböhmen eine Radaranlage stationiert werden soll und in Polen die zugehörigen Raketen. Ja, die Raketenabwehr wurde natürlich im Zusammenhang mit Obamas Antrittsbesuch auch in der tschechischen Presse thematisiert. Die linksgerichtete Zeitung „Právo“ merkt an, dass Russland, das den Raketenschild bisher ablehnt, und Obama, der das Projekt von seinem Vorgänger geerbt hat, auch in Moskau darüber kein Übereinkommen getroffen haben. Ich zitiere:
„Dieser Umstand wirft mindestens zwei Kreise von Fragen auf. Der erste betrifft den tatsächlichen Umfang unserer Souveränität, der zweite das Urteilsvermögen unserer eigenen Politgarnitur, und da besonders der ehemaligen Regierungskoalition. Die versicherte uns, dass die Stationierung der amerikanischen Radaranlage bei uns von ganz Europa unterstützt wird. Bei den russisch-amerikanischen Gesprächen wird aber Europa überhaupt nicht gefragt“, soweit der Kommentar von Soziologe Jan Keller in „Právo“.
Moderator: Bisher ging es um Barack Obamas Antrittsbesuch in Moskau. Till, was haben denn die Kommentatoren an innenpolitischen Themen aufgegriffen?
Till Janzer: Die vorgezogenen Neuwahlen werfen ihren Schatten voraus. Am verlängerten Wochenende haben zum Beispiel die Sozialdemokraten ihre Programmkonferenz in Prag angehalten. Und da muss es hoch hergegangen sein. Parteichef Jiří Paroubek bemerkte dazu nur, dies beweise, wie sehr seine Partei lebe. In jedem Fall wollte eine starke Gruppe unter den Sozialdemokraten verhindern, dass David Rath…
Moderator: Das ist der umstrittene Hauptmann des Kreises Mittelböhmen...
Till Janzer: Und Olga Zubová…
Moderator: Das ist wiederum die ehemalige Sozialdemokratin, ehemalige Grünen-Politikerin und heutige Chefin der Demokratischen Partei der Grünen...
Till Janzer: Genau, dass diese beiden für die Sozialdemokraten bei den Wahlen ins Abgeordnetenhaus kandidieren. Die politischen Beobachter unken, Parteichef Paroubek verlöre langsam den Boden unter den Füßen. Hintergrund seien sinkende Umfragewerte für die Sozialdemokraten. Martin Weiss fragt daher in der „Lidové Noviny“, auf welche Machtbasis sich Jiří Paroubek eigentlich stützen kann. So schreibt er:
„Prag ist es nicht und Nordböhmen auch nicht. Paroubeks Machtbasis ist der Erfolg in den Meinungsumfragen. Sobald er dies aber nicht mehr sicherstellen kann, muss er feststellen, dass bisher treue Gefolgsleute sich hinter seinem Rücken auf ihre Art einigen. Er hat auch keinen klar sichtbaren Feind, der ihm als ritueller Blitzableiter dienen könnte.“
Moderator: Und was schließt Martin Weiss daraus, schließlich hat Paroubek ja sowohl Rath als auch Zubová letztlich durchgebracht?
Till Janzer: Martin Weiss packt sein Urteil in einen einzigen Satz: „Nur scheinbar hat sich am Wochenende bei den Sozialdemokraten nichts geändert. Die Sozialdemokraten spielen auch bei einem weiteren Thema eine Rolle. Staatspräsident Václav Klaus hat am Donnerstag sein Veto gegen ihr Krisenpaket eingelegt. Ihn stört zum Beispiel, dass damit auch eine Verschrottungsprämie eingeführt werden soll.
Moderator: Auf der anderen Seite hat Klaus das Krisenpaket der ihm näher stehenden Bürgerdemokraten hat gebilligt…
Till Janzer: Eben, und beide Krisenpakete sollen verabschiedet werden, so lautet der Kompromiss von Sozialdemokraten und Bürgerdemokraten. Damit sollte die Pattsituation im tschechischen Abgeordnetenhaus bis zu den vorgezogenen Neuwahlen im Herbst gelöst werden. Martin Hekrdla schreibt nun in der den Sozialdemokraten nahe stehenden Zeitung „Právo“:
„Jeglicher politischer Friede, um sich auf die Wahlkampagne zu konzentrieren - falls man davon so sprechen kann -, beruht darauf, dass die Bürgerdemokraten die von den Linken lancierte Verschrottungsprämie geschluckt haben. Und zugleich haben die Sozialdemokraten mit Zähneknirschen den Angriff der Blauen auf den Sozialstaat hingenommen – das ist eine zeitweilige Reduktion der Lohnnebenkosten. Nun ist es um den Frieden geschehen und wir werden dank des Präsidenten gleich doppelt Spaß haben im Wahlkampf.“
Moderator: Und was meinen andere Kommentatoren zu dem Thema?
Till Janzer: In der wirtschaftlich ausgerichteten „Hospodařské noviny“ zeigt Petr Kamberský in der Sache Verständnis für Klaus, in der Art aber nicht. Wörtlich schreibt er:
„In einem Land, dessen Wirtschaft vom Export abhängt und dessen Autofabriken nur zu einem Drittel den eigenen Markt bedienen, ist eine Verschrottungsprämie ökonomischer Unsinn. Dieses Argument lässt sich breit stützen, das hat unsere Zeitung an dieser Stelle schon häufiger getan. Das Veto ist also ein Punkt für Klaus. Frage bleibt jedoch, ob ein Staatsoberhaupt sich in diese Dinge einmischen soll. Von einem Mann, der behauptet, dass der Präsident mit dem Veto so vorsichtig umgehen soll wie mit Safran, würden wir dies nicht erwarten. Von einem Mann, der auch Gesetze über Lärmverschmutzung und Mehrwertsteuer mit einem Veto versieht, kann man hingegen nichts anderes erwarten. Leider.“