Obdachlose: Kaum beachtete Corona-Risikogruppe

Illustrationsfoto: Klára Stejskalová

Isolation in der Heim-Quarantäne gilt auch in Tschechien als wirksames Mittel gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Wo sollen aber die Menschen hin, die kein eigenes Zuhause haben? Hierzulande ist klar, dass man für Obdachlose in Zeiten der Corona-Krise kein Konzept hat.

Illustrationsfoto: Klára Stejskalová

Illustrationsfoto: Jaroslav Mach
Es ist eine klassische Obdachlosen-Biografie: René hat vor einigen Jahren seine Arbeit verloren und danach seine Wohnung. Zwar hielt er sich mit der Schauspielerei und Gelegenheitsjobs über Wasser, doch bei den Prager Mietpreisen reichte das nicht für ein Dach über dem Kopf. Wie geht es ihm in Zeiten der Corona-Pandemie? Er sei sich des Problems bewusst, so René. Sein weniges Geld hat er unter anderem in Desinfektionsmittel investiert:

„Natürlich stehen Hygiene und Sauberkeit für mich an erster Stelle“, meint René.

Auch Libor lebt auf der Straße. Ihn hat eine unglückliche Scheidung aus der Bahn geworfen. Libor macht sich aber mehr Sorgen als René, wenn es um die Vorbeugung vor Covid-19 geht:

Jan Vaněček  (Foto: Archiv von Naděje)
„Wir haben hier keine Mundschutze und auch keine Desinfektionsmittel für die Hände“, beschreibt er die Lage in der Notunterkunft, in der er derzeit wohnt.

Tatsächlich fühlen sich die sozialen Einrichtungen, die sich um die Obdachlosen hierzulande kümmern, alleingelassen in der Krise. Unter anderem die NGO Naděje reagiert mit einem Notbetrieb auf die Pandemie. Bei der Essensausgabe wolle man größere Menschenansammlungen vermeiden und man bereite die eigenen Gesundheitsstationen auf das Schlimmste vor, so eine Sprecherin der Organisation. Immerhin seien ihre Klienten durch die meist angeschlagene Gesundheit besonders gefährdet. Der Leiter von Naděje in Prag, Jan Vaněček, macht aber auf ein weiteres großes Problem aufmerksam. Er betont, dass viele Obdachlose die Dienste von Notunterkünften überhaupt nicht wahrnehmen würden:

„Viele von ihnen bewegen sich im öffentlichen Raum. Wenn sich das Coronavirus bei ihnen ausbreiten würde, wäre das ein potentielles Risiko für den Rest der Bevölkerung.“

Die tschechische Regierung steht in der Kritik, für den Mangel an Mundschutzbinden und Atemschutzmasken verantwortlich zu sein. Beispielsweise beklagen sich Behörden und Kliniken, dass die Versorgung mit medizinischem Material nur schleppend vorangehe. Bei der Versorgung von Obdachlosen heißt es deshalb Improvisieren. In Brno / Brünn verteilt man beispielsweise Schals und Tücher an Menschen, die auf der Straße leben. Jan Polák vom Sozialreferat der mährischen Großstadt bereitet aber noch etwas anderes Kopfschmerzen:

Milena Johnová  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass wir im Fall der Fälle einige Obdachlose unter Quarantäne stellen müssen. Wir halten bereits nach Orten Ausschau, an denen wir Betroffene isolieren können.“

In Prag sucht man ebenfalls nach Möglichkeiten, um infizierte Obdachlose unter Quarantäne stellen zu können. Milena Johnová ist Stadtverordnete für die Partei Praha Sobě

„Mir ist klar, dass diese Bevölkerungsgruppe sehr stark vom Coronavirus gefährdet ist, obwohl das derzeit kein großes Thema in der Öffentlichkeit zu sein scheint. Wir verhandeln bereits darüber, dass wir einige Krisenwohnungen der Stadtverwaltung zur Verfügung stellen, um die geforderten Quarantäne-Maßnahmen der Regierung umsetzen zu können.“

Die Regierung selbst hat bisher jedoch kein Rezept für den Umgang mit Obdachlosen in Zeiten der Corona-Krise. Das Ministerium für Arbeit und Soziales hat Sozialarbeiter lediglich angewiesen, bei den Betroffenen regelmäßig Fieber zu messen. Zudem hat das Ressort Notunterkünfte dazu aufgefordert, einen 24-Stunden-Betrieb sicherzustellen. Dabei ist Obdachlosigkeit hierzulande ein massives Problem. Allein in Prag leben offiziellen Zahlen zufolge 8000 Menschen auf der Straße, wobei die Dunkelziffer weitaus höher liegen dürfte.