Pfarrer Leitgöb: „Dem Alltag Regelmäßigkeit geben“

Martin Leitgöb (Foto: Klára Stejskalová)

Die Corona-Krise wirkt sich auch auf das Leben der Kirchengemeinden in Tschechien aus. Seit fast zwei Wochen ist es nicht mehr möglich, gemeinsame Gottesdienste zu zelebrieren. Martin Leitgöb ist Seelsorger der deutschsprachigen katholischen Pfarrei in Prag. Martina Schneibergová hat mit dem Priester darüber gesprochen, vor welchen Herausforderungen die Gläubigen und Geistlichen in der derzeitigen Lage stehen.

Martin Leitgöb  (Foto: Klára Stejskalová)
Pater Leitgöb, wegen der Coronavirus-Pandemie finden keine Gottesdienste statt, das Leben der Kirchengemeinden ist teilweise eingeschränkt. Was bedeutet dies für Sie als Seelsorger?

„Diese Situation ist irgendwie schwierig. Ich persönlich habe aber aufgehört, sie als schwierig zu bezeichnen, und rede lieber von einer außergewöhnlichen Situation. Wie in der ganzen Gesellschaft, so sind wir auch in der Kirche jetzt herausgefordert, in anderer Weise die Kontakte zueinander zu halten. Ich versuche, mit meinen Gemeindemitgliedern viel über Telefon in Verbindung zu sein. Das ist das eine. Und das andere: Ich möchte alle einladen, ein Netzwerk des Gebetes oder ein Netzwerk der Gottesdienste untereinander aufzuspannen. Wir können natürlich keine gemeinsamen Messen in unserer Kirche feiern. Aber für alle ist es möglich, zu Hause zu beten oder sogar einen kleinen Gottesdienst in der Familie zu zelebrieren und an einem Fernsehgottesdienst teilzunehmen.“

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Wenden sich die Gemeindemitglieder mit Bitten oder Fragen an Sie, und was halten sie für das größte Problem, mit dem sie sich täglich auseinandersetzen?

„Was ich aus den Telefongesprächen und E-Mail-Kontakten mitbekomme, ist es jetzt eine Herausforderung, den Alltag in der Familie zu organisieren. Die Eltern arbeiten oft im Homeoffice, und die Kinder erhalten von den Schulen digitalen Unterricht. Manchmal stehen auch in den Haushalten einfach nicht genügend Computer zur Verfügung. So muss man in der Familie alles neu koordinieren. Außerdem ist es sehr anspruchsvoll, dass man nicht daran gewöhnt ist, 24 Stunden am Tag in der Familie zusammen zu sein. Das heißt, man muss auch das Miteinander, die Kommunikation neu einüben. Etwas, was ich immer wieder von den Mitgliedern meiner Pfarrei höre, ist Folgendes: ‚Bisher waren wir auch in unserer Auslandssituation gewohnt, sehr mobil zu sein. Es war überhaupt kein Problem, am Wochenende nach Deutschland oder nach Österreich zu fahren, um jemanden zu besuchen. Das ist jetzt nicht möglich, denn die Grenzen sind geschlossen.‘ Für viele Menschen ist es schmerzhaft, gerade das in der jetzigen Situation nicht tun zu können. Für manche ist es weniger ein praktisches, sondern vielmehr ein psychologisches Problem. Sie wissen, dass man nicht schnell zu den Angehörigen nach Deutschland oder Österreich fahren kann, wenn mit denen etwas sein sollte. Schließlich haben sich viele Menschen in den letzten Tagen gefragt, wo sie die nächsten Wochen verbringen wollen, ob sie in Deutschland, in Österreich oder in Tschechien leben wollen. Für manche war es schwierig, eine solche Entscheidung zu treffen. Natürlich muss man im Nachhinein mit einem solchen Entschluss umgehen, weil er etwas Endgültiges an sich hat.“

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Gibt es Gemeindemitglieder, die in ihre Heimat zurückgereist sind, oder sind bisher die meisten in Prag geblieben?

„Soweit ich gehört habe, sind die meisten in Tschechien geblieben. Auch ich habe mich bewusst entschieden, als Pfarrer hier in der Gemeinde zu sein. Es ist gut, das Gefühl zu haben: ‚Wir stehen zusammen, auch wenn wir äußerlich voneinander Abstand halten müssen, wir sind im Herzen verbunden. Und im Notfall können wir einander tatkräftig helfen und zur Verfügung stehen.‘“

Was würden Sie den Menschen empfehlen, um die derzeitige Krise zu überstehen und keiner Panik zu verfallen?

„Es ist sehr wichtig, miteinander nicht hysterisch zu werden. Ich glaube, es gibt ein paar ganz einfache Tipps, die wir in unseren Alltag integrieren können. Wir dürfen uns nicht Minute für Minute mit der Krise auseinandersetzen. Wir müssen auch lernen, die Nachrichten mal abzuschalten, auch nicht uns immer in den Social Media zu bewegen, sondern wir müssen unserem Alltag konkrete Ziele und eine Regelmäßigkeit geben. Ich komme aus der klösterlichen Tradition. In den Klöstern gibt es einen Spruch: ‚Halte die Regel, dann hält die Regel dich.‘ Ich denke, das ist etwas, was jetzt für uns alle gilt: dem Alltag eine Regelmäßigkeit geben.“

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Finden Sie nicht, dass wir während der Corona-Krise in den letzten Tagen Zeugen vieler Beispiele von Solidarität zwischen den Menschen sind?

„Wir als Kirchen beteiligen uns an der gesamtgesellschaftlichen Solidarität. Die gibt es tatsächlich. Daran erfreue ich mich jeden Tag, dass in dieser Zeit, die so außergewöhnlich ist, wirklich ein großer gesellschaftlicher Zusammenhalt entstanden ist. Als Kirchen versuchen wir in dieser besonderen Zeit, den Draht zum Himmel zu halten. Ich sage immer allen Menschen, mit denen ich verbunden bin: ‚Ihr könnt euch darauf verlassen, dass wir für euch beten und fühlt euch bitte von unserem Gebet getragen.‘“

In den Internetdiskussionen habe ich in den vergangenen Tagen auch die Meinung gelesen, die Pandemie sei eine Strafe. Wie ist Ihre Antwort auf derartige Behauptungen?

„Solche Formulierungen kamen von einigen sehr konservativen oder reaktionären Seiten in den Kirchenkreisen. Ich lehne es wirklich ab, so zu sprechen. Denn wir wissen nichts. Im Grunde genommen wissen wir, dass es um ein Virus geht, das sich rasant schnell verbreitet. Das sind einfach die Fakten. Was auch zu den Fakten gehört: Wir machen alle die Erfahrung, dass wir in neuer Weise lernen, auf das Wesentliche zu schauen, dass wir lernen, in der Familie, in der Gesellschaft zusammenzustehen, dass wir die Hilfsbereitschaft lernen. Insofern möchte ich wirklich nicht von einer Strafe sprechen, ich möchte eigentlich eine Chance in dieser Situation sehen.“