Östlich vom Westen - Deutsche suchen Arbeit in Tschechien

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Bis zu sieben Jahre, so legen es die Beitrittsverträge der EU-Erweiterung fest, dürfen die Länder Alt-Europas den Bürgern aus den neuen Mitgliedsstaaten den freien Zutritt auf ihren Arbeitsmarkt verwehren. Zu groß war die Angst vor eine Welle von Billig-Arbeitern aus dem Osten. Übersehen wird in der Diskussion aber oft, dass die Arbeitsmigration keine Einbahnstraße ist. Thomas Kirschner stellt zwei Deutsche vor, die trotz Sprachhürde und Lohngefälle ihre Zukunft in Tschechien suchen.

Es sind neue Realitäten, an die man sich in Deutschland gewöhnen muss, und sie stören das vertraute Selbstbild: Deutschland ist längst nicht mehr nur ein Ein-, sondern auch ein Auswanderungsland. Seit sich die Wolken über dem deutschen Arbeitsmarkt immer schwärzer zusammenziehen, suchen immer mehr Bundesbürger eine Perspektive auch im Ausland. Rund 150.000 waren es im vergangenen Jahr - teils, um nach einiger Zeit mit neuer Erfahrung zurückzukehren, teils aber auch, um sich eine Zukunft anderswo aufzubauen. Beliebteste Ziele waren Nordamerika sowie die Nachbarländer Österreich und die Schweiz. Die Thüringerin Kristin Vogelbein hat sich dagegen für Tschechien entschieden - ein Land, das ihr ans Herz gewachsen ist, seit sie vor Jahren einen Gedenkdienst in Terezin / Theresienstadt abgeleistet hat. Sie sei gern nach Tschechien zurückgekommen, aber nicht ganz freiwillig, erzählt sie. In Deutschland konnte die junge Frau mit ihren Studienabschlüssen in Soziologie und Anglistik keine berufliche Perspektive finden.

"Meine Arbeitssuche hat sich über zwei Jahre erstreckt. Erst war ich eine Weile arbeitslos, dann habe ich eine Umschulung gemacht und Bewerbungen über Bewerbungen geschrieben, aber darauf eigentlich nur Absagen erhalten. Dann habe ich einige Praktika gemacht, um überhaupt weiter Arbeitserfahrung sammeln zu können, aber das war ziemlich hoffnungslos. Ich habe zwar Arbeit finden können, aber es hat dafür niemals wirklich Lohn gegeben."

Eine tschechische Freundin brachte Kristin Vogelbein auf die Idee, sich auch in Tschechien zu bewerben. Bereits der erste Versuch führte zum Erfolg: Bei der Niederlassung eines bekannten deutschen Großunternehmens in Prag konnte die junge Frau sofort anfangen - und sogar zwischen zwei Stellen wählen. Ihr Trumpf waren die Sprachkenntnisse:

"Das war ganz erstaunlich: Die einzige Voraussetzung war, dass sich Deutsch kann! Ich arbeite in einem deutschen Unternehmen in Tschechien, und Inhalt der Arbeit ist hauptsächlich, für die Chefs, die meist Deutsche sind, zu übersetzen. Und hier in Tschechien ist die Situation so, dass es einfach zu wenige Fachkräfte mit entsprechenden Fremdsprachenkenntnissen gibt. Und so wurde hauptsächlich nach Leuten gesucht, die sehr gut Deutsch können. Und alles andere, hat man mir gesagt, das kannst du hier lernen!"

Sich in Tschechien zu bewerben, das heißt allerdings auch, sich auf tschechische Lohnverhältnisse einzulassen: Das Durchschnittsgehalt liegt bei knapp 20.000 Kronen, etwa 670 Euro - ein Betrag, mit dem auch in Tschechien nicht leicht auszukommen ist.

"Als ich meine ersten Lohnzettel bekommen habe, war ich ein bisschen schockiert, denn das war ungefähr so viel, wie man als Sozialhilfeempfänger in Deutschland bekommt. Aber ich habe mir gedacht, es gibt wichtigere Dinge. Zudem kann ich es mir nicht wirklich aussuchen - ich könnte jetzt nicht nach Deutschland zurückkehren und würde dann sofort eine gute Arbeitsstelle mit guter Bezahlung bekommen. Mir war es vor allem wichtig, eine Arbeit zu finden, die mich zufrieden stellt und bei der ich auch eine Perspektive für Weiterentwicklung habe. Und was den Lohn angeht: Meine tschechischen Kollegen können auch damit leben - dann kann ich das auch!"

Die Familie von Kristin Vogelbein hat ihren Schritt nach Prag unterstützt - einen festen Arbeitsvertrag zu bekommen, das ist nicht nur in Ostdeutschland inzwischen etwas Besonderes. Auf Verunsicherung ist die Thüringerin jedoch bei ihren tschechischen Arbeitskollegen gestoßen.

"Da gab es eigentlich sehr unterschiedliche Reaktionen. Die meisten sind davon ausgegangen, dass ich eine tschechische Familie habe und es mich daher zurück nach Tschechien verschlagen hat. Andere haben geglaubt, dass ich wegen der Liebe hierher gekommen bin - das waren alles ´natürliche´ Erklärungen. Niemand hat sich vorstellen können, dass ich tatsächlich einfach so meine Koffer gepackt habe und nach Tschechien gegangen bin. Das musste ich immer erst aufklären."

Tatsächlich sorgen das niedrige Lohnniveau und die sprachliche Hürde dafür, dass es sich bei deutschen Auswanderern nach Tschechien immer noch um Einzelfälle handelt.

"Wir können derzeit keinen aktuellen Trend erkennen, dass sich Leute speziell Richtung Tschechien bewerben, weil sie auf dem deutschen Arbeitsmarkt keine adäquate Anstellung finden. Richtig ist aber, dass es in der Tat bei uns regelmäßig Anfragen gibt, wie man denn eine Stelle auf dem tschechischen Arbeitsmarkt finden könnte",

bestätigt Jan Immel von der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer. Einer, der ebenfalls bewusst eine Stelle in Tschechien gesucht hat, ist Gregor Koppelberg. Er war zuvor bei einem Metall verarbeitenden Unternehmen unter anderem für die Kontakte nach Tschechien zuständig.

"Das hatte mir so gut gefallen, dass ich das ausbauen wollte. Der Osten wird europäischer, es entsteht ein neuer großer Markt und diese Entwicklung wollte ich gerne mitmachen. Ja, und jetzt bin ich hier."

Seit einigen Wochen arbeitet Gregor Koppelberg nun ebenfalls für ein deutsches Großunternehmen in Prag - zu tschechischen Konditionen. Seine gut bezahlte Stelle in Deutschland hat er dafür aufgegeben.

"Die Verwandtschaft hat das gar nicht verstanden, aber auch aus dem Grund, weil sie sehr häuslich sind, und nicht gerade sehr weltoffen. Aber sie haben es dann akzeptiert. Meine alten Arbeitskollegen konnten es auch nicht so nachvollziehen, weil sie eine Familie und finanzielle Bindungen haben."

Der 32-jährige Rheinländer ist demgegenüber noch ganz unabhängig und möchte diese Freiheit nutzen, um Erfahrungen zu sammeln. In den letzten Jahren hat er sich Ersparnisse zurückgelegt - um Geld zu verdienen, sei er nicht nach Tschechien gekommen, so Koppelberg.

"Finanziell zahlt man auf jeden Fall drauf, wenn man den gleichen Lebensstandard haben will wie in Deutschland, bezüglich einer relativ guten Wohnung, bezüglich Auto, bezüglich Kleidung. Aber ich gehe hier nicht wegen des Geldes arbeiten, sondern wegen der Erfahrung. Das muss hier eben an erster Stelle stehen."

Knapp 1650 Arbeitnehmer mit deutschem Pass verzeichnet die offizielle Statistik der tschechischen Ausländerbehörden derzeit - eine verschwindend geringe Zahl. Hochbezahlte Manager im Auslandseinsatz gehören ebenso dazu, wie Bohemiens, die sich mit Sprachunterricht ein Auskommen im "Paris des Ostens" sichern. Aber eben auch ganz normale Arbeitnehmer wie Kristin Vogelbein und Gregor Koppelberg. Wie sehen Sie ihre Zukunft? Gregor Koppelberg:

"Ich denke, ich werde hier viele Erfahrungen machen können, insbesondere auch, was die Mentalität des östlichen Europa betrifft. Diese Erfahrungen möchte ich gerne mitnehmen - dazu gehört natürlich auch, die Sprache zu lernen. Die Zukunft ist für mich in erster Linie der Osten. Was daraus genau wird, das weiß ich aber noch nicht."

Wie es weitergeht, dass weiß auch Kristin Vogelbein noch nicht genau. Zurück nach Deutschland zieht es sie aber jedenfalls erst einmal nicht.

"Am Anfang, als ich hierher gekommen bin und angefangen habe, bei diesem deutschen Unternehmen zu arbeiten, habe ich schon mit dem Gedanken gespielt, zurückzugehen und das als Chance zu nutzen, gerade bei einer deutschen Geschäftsstelle dieser Unternehmens zu arbeiten. Aber inzwischen gefällt es mir hier so gut, dass ich mir eigentlich gar nicht vorstellen kann zurückzugehen."