Orte der Samtenen Revolution Föderalparlament

Gebäude des Föderalparlaments (Foto: Ondřej Tomšů)

Der Sitz des tschechoslowakischen Parlaments ist ein weiteres Ziel in unserer Serie über die Orte der Samtenen Revolution. Das Gebäude am oberen Ende des Wenzelsplatzes geriet vor allem in der Wendezeit in den Fokus der Öffentlichkeit. Denn die Parlamentssitzungen wurden damals live übertragen. Die Abgeordneten tagten bis Ende 1992 in dem extravaganten Bau. Nach der Spaltung der Tschechoslowakei diente das Parlament fast fünfzehn Jahre lang als Sitz des Senders Radio Free Europe. Heute ist es Teil des Nationalmuseums.

Gebäude des Föderalparlaments  (Foto: Ondřej Tomšů)

Václav Bartuška | Foto: Eva Turečková,  Radio Prague International
Schon Ende 1989 wurden im Gebäude des tschechoslowakischen Parlaments die Forderungen von Studenten und Bürgerforum in die Tat umgesetzt. Der grundlegende Umbruch folgte nicht einmal zwei Wochen nach den ersten Massenprotesten. Václav Bartuška ist heute Diplomat. Im Revolutionsjahr war er einer der Studentenführer und Mitglied der parlamentarischen Aufsichtskommission für die Ermittlungen zu den Ereignissen vom 17. November.

„In den ersten Tagen unseres Universitätsstreiks forderten wir, dass eine Untersuchungskommission zur Polizeigewalt am 17. November eingerichtet wird. Sehr schnell folgte eine weitere Forderung, und zwar nach der Streichung des Artikels 4 der Verfassung über die führende Rolle der kommunistischen Partei in der Gesellschaft. Am 29. November 1989 ist das Föderalparlament unseren Forderungen nachgekommen.“

Kundgebung im November 1989 vor dem Föderalparlament  (Foto: Iva Borisjuková,  Nordböhmisches Museum in Liberec / Nationalmuseum in Praga,  CC BY)
An jenem Tag wurde auch die Kommission errichtet, die die Ereignisse vom 17. November untersuchen sollte.

„Seit August 1988 gab es mehrere Demonstrationen, und ihr Verlauf war im Prinzip derselbe: wir wurden entweder festgenommen oder geprügelt, oder aber beides. Dass es dieses Mal ein so hartes Eingreifen gegen die Demonstranten geben könnte, habe ich nicht geahnt. Genauso dachten auch meine Freunde.“

Am 19. November wurde Václav Bartuška zum letzten Mal zu einem Verhör bei der Staatssicherheit (StB) vorgeführt. Nur zehn Tage später wählte ihn das Parlament in die Kommission, die das Vorgehen der Polizei untersuchen sollte. Er beteiligte sich somit an der Entlassung von mehreren Tausend Stasi-Angehörigen aus dem aktiven Dienst.

Neben Studenten waren in der Kommission auch damalige Abgeordnete vertreten. Doch unter ihnen gab es relativ viele Mitarbeiter des kommunistischen Geheimdienstes. Konnten sich die Studenten da überhaupt Respekt verschaffen?

Parlamentssitzung  (Foto: ČT24)
„Wir waren Vertreter der Studentenbewegung, die von einem erheblichen Teil der Öffentlichkeit unterstützt wurde. Es gab Großkundgebungen in Prag und im ganzen Land, eine Million Menschen kamen auf der Letná-Anhöhe zusammen. Ob die Kommunisten es wollten oder nicht, sie mussten uns ernst nehmen.“

Das Gebäude des damaligen tschechoslowakischen Parlaments wurde schnell zum Zentrum aller Veränderungen im Land.

„Die Föderal-Regierung sowie die beiden Landesregierungen, also die tschechische und die slowakische, wurden abberufen. Danach wurden jeweils neue Regierungen ernannt. Das Parlament bekam mit Alexander Dubček einen neuen Vorsitzenden. Schon im Dezember 1989 wurden neue Abgeordnete aus den Reihen der Opposition kooptiert. Und danach ging es an die Vorbereitung der ersten freien Wahlen im Jahr 1990.“

Kundgebung im November 1989 vor dem Föderalparlament  (Foto: Iva Borisjuková,  Nordböhmisches Museum in Liberec / Nationalmuseum in Praga,  CC BY)
Die Verhandlungen mit der kommunistischen Führung wurden vom Bürgerforum geführt, das vor allem durch Václav Havel repräsentiert wurde. Die Studenten waren bei den Treffen anwesend, seien aber „selbstverständlich nicht die wichtigsten Akteure“ gewesen, erinnert sich Bartuška.

„Das, was im November 1989 passierte, war meiner Meinung nach die Kapitulation der kommunistischen Partei. Wir haben Verhandlungen erwartet, und sie haben ihre Posten im Prinzip aufgegeben. Zumindest die meisten von ihnen.“

Trotzdem waren die beiden Lager nicht ganz voneinander getrennt. Bartuška erinnert sich, dass er den damaligen Premier Ladislav Adamec mehrere Male zu Hause besucht hatte. Ihn habe die Denkweise des ehemaligen kommunistischen Premierministers interessiert, sagt er. Durch die Kooptation wurden 156 neue Parlamentarier vereidigt. Sie lösten kommunistische Abgeordnete ab, die zurückgetreten beziehungsweise abberufen worden waren. Die neue Zusammensetzung hielt bis zu den Wahlen im Sommer 1990.

„Es entstand eine Mischung aus neuen und alten Parlamentsmitgliedern. Es war ziemlich seltsam, dort etwa dem Musiker Michael Kocáb und unmittelbar darauf einem bekannten Funktionär der kommunistischen Partei zu begegnen. Eigentlich trafen bis Juni 1990 das alte Regime und die neue Ordnung unter einem Dach zusammen.“