Ostrava: Kulturstadt der jüngsten Generation

Die ehemaligen Industrie- und Bergbaugebiete Tschechiens gehören traditionell zu den kulturell vernachlässigten Regionen im ganzen Lande. Trotzdem entstehen auch dort 10 Jahre nach der Wende endlich Orte, wo man das Wort "Kultur" nicht mehr nur als Schimpfwort benutzt. Der Motor dieser Entwicklung war die jüngste Generation, die heutigen Teenager und Zwanzigjährigen. Zumindest in Ostrava, dem Herzen des schlesischen Steinkohlegebietes. Ein Beitrag von Ladislav Kylar.

Ostrava: in der heutigen Jugendsprache ist dieses Wort ein Begriff, nicht nur der bloße Name einer Stadt. Mit dieser Stadt ist in den letzten paar Jahren ein unglaublicher kultureller Aufschwung verbunden, was sie für die Jugendlichen besonders reizvoll macht. Natürlich handelt es sich vor allem um die Musik und um die damit verbundene lokale Club-Szene. Seit 2 Jahren verbreiten sich unter den Jugendlichen im Rest des Landes interessante Gerüchte: Hey, da geht was los in Ostrava. Man hat angefangen von einem typischen Ostrauer Sound zu sprechen. Vielleicht liegt das alles am magischen industriellen Image der Stadt im ehemaligen Steinkohlegebiet mit einem hohen Anteil von Schwerindustrie. Jan Pomuk Stepánek, Mitarbeiter des tschechischen Rolling Stone Magazins.

"Ja, es gibt so etwas wie einen Ostrauer Sound. Es ist etwa 2 Jahre her, dass dort eine Gruppierung entstanden ist, die nannten sich "dvoika.troika", also 23. Damals waren das tatsächlich insgesamt 23 Leute, heute kann man das nicht mehr sagen, die Anzahl der Mitglieder schwankt. Die spielen alles mögliche - zumindest behaupten sie, dass sie es machen. Angeblich spielen sie von Jungle, Hardstep - also den härteren Sachen - bis Techno oder House, aber in Wirklichkeit ist es so: egal, mit welchem Stil sie arbeiten, egal welche Tonpalette sie haben, sie greifen immer instinktiv nach den harten, agressiven Tönen. Ihre Musik ist sehr dunkel, minimalistisch, arbeitet mit dem Unterbewusstsein. Man kann über die einfach sagen: unterschwelliger Deprisound."

Eine Sache ist aber im Zusammenhang mit Ostrava in letzter Zeit stark in den Vordergrund gerückt - die Ostrauer Clubszene. Sie gehört zu den progressivsten der ganzen Republik. Dabei handelt es sich - geographisch gesehen - um ein winziges Areal in einer Großstadt. Ein früher hochnobles Stadtviertel aus der Gründerzeit, das während des Kommunismus ganz verfallen ist, wurde plötzlich zu einem Phänomen, das in der ganzen Republik kaum eine Parallele hat. Auf engstem Raum, innerhalb von ein paar Straßenzügen, ist die Konzentration von verschiedenen Clubs und Kneipen so dicht, wie nirgendwo sonst in Tschechien, Mähren oder Schlesien. Iva Jonásová, Mitarbeiterin des Tschechischen Rundfunks aus Ostrava.

"Heute kann man wirklich von einem Phänomen sprechen, wenn du da vor - sagen wir - sechs oder acht Jahren gewesen wärest, dann hättest du da vielleicht ein Antiquariat gefunden, aus dem mit der Zeit ein Club, oder eine Kneipe entstanden ist. Dann gab's da noch eine Kneipe - das sogenannte Desperado. Aber das war einmal. Jetzt - ich kann das leider nicht ganz genau sagen, wie viele Kneipen und Clubs es da heute gibt. Man spricht von mehreren Dutzend. Das Merkwürdige daran ist, dass alle diese Einrichtungen fast ausnahmslos in einer Strasse liegen - der sogenannten Stodolní Strasse und in ihrer unmittelbaren Umgebung. Noch vor paar Jahren war die Stodolní ein Zigeuner-Ghetto, wo sich, wenn's dunkel war, niemand hinwagte. Aber noch früher - am Anfang des 20. Jahrhunderts - war das ein ganz schönes Viertel, das zweite Zentrum von Ostrava. Nach der Wende bekamen viele Häuser ihre alten Inhaber, man hat angefangen alles zu renovieren, und irgendwie wurde dieses Viertel zum Zentrum des Nachtlebens der ganzen Stadt. Heute ist die Strasse so etwas wie ein Korso, vor allem am Freitag und Samstag Abend."

Es dauerte etwas länger als in anderen Städten Tschechiens bis sich in Ostrau eine Szene elektronischer Tanzmusik etablierte. Als erste Stadt hat diese Musik natürlich Prag kennen gelernt. Dann kamen auch die anderen größeren Städte. Aber keine von ihnen hat sich so einen Respekt verdient wie Ostrava. Die Prager Szene ist mittlerweile ziemlich kommerziell geworden, tendiert eher in Richtung Pop, während die Szene in anderen Städten noch nicht so entwickelt zu sein scheint. In Ostrava ist sie am lebendigsten. Jan Pomuk Stepánek:

"Im Prinzip gab es den größten Boom in Prag, dann kamen die anderen Städte, darunter auch Ostrava. Vor kurzem habe ich ein Interview mit den Leuten von "dvoika.troika" gelesen, die sagten sogar, dass Ostrava mit der Szene im englischen Bristol vergleichbar ist. Bristol ist auch eine Industrie-Stadt, wo sich ganz viele kulturelle Einflüsse vermischen, genauso wie Ostrava, das im Länderdreieck -Mähren und Schlesien, Polen und Slowakei liegt. Also von daher ist es schon ein bisschen ähnlich, zudem ist die Szene in Bristol auch dadurch bekannt, dass sie sehr verzweigt ist - die Namen, die wir kennen - wie zum Beispiel Massive Attack und weitere, das ist nur die Spitze eines riesigen Eisbergs. Das gleiche gilt auch hier - man kennt ein paar Leute aus der "dvoika.troika", aber in Wirklichkeit ist es ein unglaublich stark verknüpftes Netz von verschiedensten DJ-s, Soundsystems, die nur auf der Basis von gemeinsamer Freundschaft funktionieren. Von diesen Gruppen breitet sich dann die gemeinsame Atmosphäre aus und die Legende entsteht."

Autor: Ladislav Kylar
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