Pavel Kohout: neun europäische Jahrzehnte

Pavel Kohout (Foto: Milan Baják, Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Pavel Kohout ist einer der wichtigsten tschechischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Erst war er überzeugter Kommunist, dann Dissident und schließlich Exilant in Österreich. Von dort aus wurde Kohout zum meistgespielten tschechischen Dramatiker im Ausland. Vergangene Woche ist er 90 Jahre geworden und hat im Tschechischen Rundfunk Bilanz gezogen.

Pavel Kohout  (Foto: Milan Baják,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Das sei ja schon fast wie ein Nachruf, sind die ersten Worte Pavel Kohouts beim Geburtstagsinterview im Tschechischen Rundfunk. Tatsächlich ist es noch viel zu früh, überhaupt an einen Nekrolog für einen der größten tschechischen Dramatiker des 20. Jahrhunderts zu denken. Obwohl er vergangenen Freitag seinen 90. Geburtstag gefeiert hat, kann man Pavel Kohout noch viel Lebenskraft bescheinigen.

Der Schriftsteller kann auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Einen großen Teil davon hat er unter anderem im Prager Funkhaus verbracht. Darunter war auch der wohl glücklichste Moment in seinem bisherigen Leben, wie er der Moderatorin Barbora Tachecí erklärt:

„Ich habe den Rundfunk kennengelernt, als er noch ‚Rundfunk Böhmens und Mährens‘ hieß. Es war damals nämlich noch die Zeit des Protektorats. Meine wichtigste Erinnerung an damals fällt auf den 5. Mai 1945. Ich bin da um sechs Uhr morgens in den Rundfunk gekommen und sollte eine kleine Rolle im Hörspiel ‚Dädalus und Ikarus‘ einsprechen. Statt eines Textes haben wir aber Schraubenzieher in die Hand bekommen. Aus irgendeinem Grund hat der Regisseur Miloslav Disman angeordnet, alle Orientierungstafeln im Gebäude abzuschrauben. Das haben wir dann auch den ganzen Tag über gemacht und konnten uns irgendwann nicht mehr rühren. Irgendwann hörten wir den Rundfunkaufruf, dass der Prager Aufstand begonnen hätte. Ich bin bis zur Bombardierung des Rundfunks dort geblieben und dann über die Barrikaden nach Hause.“

Pavel Kohout  (Foto: Nationaal Archief,  Wikimedia Commons,  CC0 1.0)
Später fügt er jedoch hinzu, dass auch der wohl traurigste Augenblick etwas mit dem damaligen Staatssender zu tun hat. Dies war im Jahr 1977:

„Ich würde sagen, das war der Moment, als mich der Rundfunk zum ‚Schiffbrüchigen‘ und zur ‚verkauften Seele‘ erklärt hat. Das tat mir damals schon sehr weh. Aber das ist lange her, für mich ist das schon fast so weit weg wie die Französische Revolution.“

Der lange Weg zur Einsicht

Pavel Kohout ist ein wahres Kind des 20. Jahrhunderts. Jeder Tag im Leben des im Ausland meistgespielten tschechischen Dramatikers ist eng mit der Geschichte seiner und ganz Mitteleuropas verbunden. Trotz seiner späteren Rolle als Dissident ist er im heutigen Tschechien gerade deshalb aber umstritten. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg war Kohout glühender Kommunist. Er selbst erklärt das so:

„Ich streue mir keine Asche aufs Haupt, ich verteidige auch nichts. Ich will bloß erklären, wie es dazu gekommen ist. Das Ganze liegt nämlich an dem, was ich erlebt habe und was mich determiniert hat. Zum einen ist da die schwere Wirtschaftskrise der 1930er Jahre, dagegen sind die Wirtschaftskrisen heute ein Spaziergang im Stadtpark. Das hat die ganze Tschechoslowakei betroffen, auch mein Vater war vier Jahre lang ohne Arbeit. Damals haben die Menschen den Glauben an den Kapitalismus verloren. Die zweite Erfahrung kam dann fünf Jahre später, als ich als Zehnjähriger auf einem Prager Platz stand. Über 300 Menschen waren da und wollten Waffen haben gegen die deutschen Besatzer – sie durften aber nicht kämpfen. Damals haben sie den Glauben an die westliche Demokratie verloren.“

Klement Gottwald  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Zudem machte die Befreiung der Tschechoslowakei durch die Sowjetunion großen Eindruck auf den jungen Pavel Kohout. Mitte der 1950er Jahre kam aber die Ernüchterung.

„Nach ein paar Jahren war ich dann in derselben Lage, wie alle anderen 1,5 Millionen Kommunisten im Land. Wir haben begriffen, dass alles nur blutiger Betrug war und dass wir als Rechtfertigung für die Verbrechen missbraucht wurden. Gütiger Gott, was haben wir damals mit verantwortet.“

Grund dafür waren aber nicht nur die bleiernen Jahre des Stalinismus unter Klement Gottwald. Für den Künstler war es eher ein ganz persönliches Versagen des Systems. Als Dramatiker für das Armeetheater kam er erstmals mit der Zensur in Berührung, wobei er jedoch keine direkten Konsequenzen fürchten musste. Er konnte aber nicht verkraften, dass ihm sein System den Mund verbieten wollte. Dennoch sieht er auch diese Zeit als untrennbaren Teil seines Lebens:

„Alles das gehört einfach zu meiner persönlichen Geschichte. Wenn ich beispielsweise jetzt einen meiner Gedichtbände aus dem Jahr 1948 zum Signieren bekomme, dann schreibe ich: ‚Mit Entschuldigung, Pavel Kohout‘. Natürlich empfinde ich das aber auch als eine Seite meines Lebens.“

Die Tschechoslowakei als Übungsfeld

Ota Šik  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Irgendwann kam aber der Prager Frühling, und Pavel Kohout wurde eine der wichtigsten Figuren jener freien Jahre. In Tschechien weiß man bis heute nicht, wie man mit der Reformbewegung umgehen soll – immerhin war sie ein Projekt der kommunistischen Partei. Pavel Kohout hat seine eigene Theorie, was hinter der Öffnung im Jahr 1968 stand:

„Damals war die wirtschaftliche Lage in der Sowjetunion sehr schlecht. Man dachte deshalb, dass die Tschechoslowakei, die ja Ota Šik und weitere Top-Ökonomen hatte, ein rettendes Modell finden könnte. Und zwar eines, bei dem der Kommunismus erhalten bliebe. Šik und sein Team arbeiteten daran und hatten im Grunde die Erlaubnis zu experimentieren. Dadurch hat eigentlich Moskau den Prager Frühling zugelassen.“

Alexander Dubček | Foto: Archiv des Abgeordnetenhauses des Parlaments der Tschechischen Republik
Im Rahmen dieses Experiments erlangte man laut Kohout dann ungeahnte Freiheiten. Einige „heilige Kühe“ des Kommunismus blieben aber unantastbar. Das Scheitern des Prager Frühlings war jedoch absehbar, beziehungsweise sein Ende unter den Ketten der Panzer der Warschauer-Pakt-Truppen. So denkt heute zumindest der Schriftsteller Kohout:

„Heute müssten wir uns eine Frage stellen, und zwar: ‚Was wäre passiert, wenn die Russen am 21. August nicht gekommen wären?‘ Ich glaube, dass sie trotzdem etwas später gekommen wären. Beim geplanten 14. Parteitag der tschechoslowakischen kommunistischen Partei sollte der konservative Flügel gestürzt werden. Spätestens da wäre der Bruch gekommen, der von vielen schon vorher gefordert wurde. Auch weil wir den damaligen Vorsitzenden Alexander Dubček als einen sehr schwachen Politiker kennengelernt haben, denke ich, dass er spätestens da den Druck nicht länger ausgehalten und aufgegeben hätte.“

Spätestens nach dem Jahr 1968 wird Pavel Kohout offen zum Dissidenten, er will sich den Kommunisten entgegenstellen. Den Höhepunkt seines Aufbegehrens findet Kohout in der Charta 77, zu deren Initiatoren er zählt. Noch heute sieht er das als das wichtigste Ereignis seines Lebens, will aber heute einen anderen Zugang dazu finden:

Tereza Boučková  (Foto: Adam Kebrt,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Ich glaube, dass dies die wichtigste Etappe meines Lebens war. Ich möchte sie aber nicht mehr in fünfminütigen Kommentaren aufwühlen.“

Der Dissens forderte aber seinen Tribut, und das nicht nur für Kohout selbst. Vor allem seine Töchter mussten darunter leiden, dass sie einen „schlechten Vater“ hatten. Besonders Tereza Boučková, die später in die Fußstapfen ihres Vaters trat und Schriftstellerin wurde, verübelte Kohout oft seine Haltung. Sie sei Dissidentin wider Willen geworden, schrieb sie einmal. Kohouts andere Tochter, Katerina, nahm die Lage eher mit Humor:

„Sie hat einmal den Innenminister Jaromír Obzina, also meinen größten Feind, besucht. Sie ist anonym in seine Sprechstunde gekommen und meinte zu ihm: ‚Herr Minister, Sie lassen mich doch sicher nicht auf einer Hotelfachschule im Ausland studieren?‘ Er antwortete: ‚Warum sollte ich Ihnen das nicht erlauben? Sie sind hübsch und wahrscheinlich auch recht klug.‘ Sie antwortete darauf: ‚Ich habe aber einen schlechten Vater.‘ Obzina fragte sie also nach ihrem Namen, worauf sie Kohoutová sagte und fragte, ob sie denn nicht gleich verschwinden sollte. Die Kommunisten hatten aber Respekt vor solch einem entschiedenen Auftreten, und Kateřina konnte später tatsächlich im Ausland lernen.“

Leichtgläubigkeit, Tyrannei und Warnungen aus der Vergangenheit

Foto: Archiv des Tschechischen Zentrums Wien
1979 emigrierte Kohout nach Österreich, ein Jahr später nahm er die dortige Staatsangehörigkeit an. Der zunächst unfreiwillige Schritt führte jedoch zu seinem ungeahnten Erfolg im deutschsprachigen Raum und machte Kohout zum meistgespielten Dramatiker im Ausland. Heute lebt er zwischen Wien und Prag, womit er zu einem Beobachter beider Gesellschaften geworden ist. Und so sehr unterscheiden die sich seiner Meinung nach nicht:

„Ich erlebe das politische Leben zweier Hemisphären, der tschechischen und der österreichischen. Österreich hat klar einen Vorsprung vor Tschechien, die Demokratie ist dort fester verankert. Dennoch hat man auch da die gleichen Probleme wie wir hier. Demokratie ist nämlich eine Erziehungssache. Man muss auf sie vorbereitet sein, um ihre Vorteile zu verstehen. Trotz ihrer Mängel – also der langsamen Gerichtsbarkeit und der Möglichkeit der offenen Lüge – ist die Demokratie das beste aller schlechten Gesellschaftsmodelle. Und das vor allem deswegen, weil alle vier Jahre die Karten neu gemischt werden.“

Foto: Jan Hagelstein,  Flickr,  CC BY-SA 2.0
Die Demokratie ist auch das, worum sich Pavel Kohout die meisten Sorgen macht bei der aktuellen politischen Lage in der Welt. Eine Sache ist dabei die Abhängigkeit der öffentlichen Meinung von den Medien. Eine andere wiederum die Gefahr, dass Tyrannen wieder an die Macht kommen. Mit seinen Erfahrungen weiß Kohout gut, dass die Demokratie schneller zu Ende sein kann, als man glauben möchte:

„Ich habe die Demokratie zweimal zerfallen sehen. Einmal im Jahr 1938, als innerhalb von wenigen Monaten hier ein halb-faschistisches Land entstanden ist, in dem Karel Čapek zu Tode gehetzt und in dem Präsident Edvard Beneš innerhalb von wenigen Monaten zum Feind wurde. Ein weiteres Mal dann im Jahr 1948, als ich ja eigentlich auf der Seite der Sieger stand. Dennoch war es so, dass die Demokratie innerhalb von wenigen Tagen weg war.“