Pavel Kuka: Tschechen haben EM-Atmosphäre und Verantwortung nicht gemeistert

Pavel Kuka (Foto: YouTube Kanal von FAČR)

Die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich hat die Vorrunde hinter sich und ist seit Samstag in der K.o.-Phase, in der der neue Titelträger ermittelt wird. Nicht mehr dabei ist allerdings die tschechische Mannschaft, die nach wenig überzeugenden Vorstellungen bereits nach den Gruppenspielen aus dem Turnier ausgeschieden ist. Über die Leistungen des Teams von Trainer Pavel Vrba, aber auch über das Niveau dieser Europameisterschaft hat Radio Prag mit dem ehemaligen Nationalspieler und Bundesligaprofi Pavel Kuka gesprochen.

Pavel Kuka  (Foto: YouTube Kanal von FAČR)
Herr Kuka, die Fußball-Europameisterschaft ist am Wochenende in die K.o.-Phase gestartet. Die tschechische Mannschaft aber war im Achtelfinale nicht dabei, sondern ist schon in der Vorrunde als Letzter der Gruppe D ausgeschieden. Wie groß ist die Enttäuschung darüber bei Ihnen?

„Die Enttäuschung ist sehr groß, denn ich und weitere ehemalige Nationalspieler aus Tschechien haben nicht damit gerechnet. Das muss ich ganz ehrlich sagen. Ich glaubte fest daran, dass der dritte Platz in der Gruppe für uns machbar ist, und dass unsere Mannschaft danach noch im Rennen ist. Ich hoffte sogar, dass die Mannschaft nun darum kämpfen wird, einen ähnlichen Erfolg zu landen, wie wir ihn vor 20 Jahren erreicht haben.“

Worin sehen Sie denn die Gründe für das frühe Scheitern der tschechischen Mannschaft?

„Die Enttäuschung ist sehr groß, denn ich und weitere ehemalige Nationalspieler aus Tschechien haben nicht damit gerechnet. Das muss ich ganz ehrlich sagen. Ich glaubte fest daran, dass der dritte Platz in der Gruppe für uns machbar ist.“

„Das ist ganz einfach: Man muss die Realität sehen und so auch die Qualität von Gegnern wie es für uns Spanien und Kroatien waren. Mit diesen beiden Teams können wir uns momentan nicht messen. Man muss nur schauen, welche Rolle und welche wichtigen Positionen Spieler wie Modrić, Rakitić oder Iniesta in ihren Mannschaften einnehmen. Sie spielen in den größten Clubs von Europa wie Barcelona und Real Madrid. Wir aber haben momentan keine Akteure, die auch nur annährend eine solche Rolle in ihren Clubs spielen. Das ist gegenwärtig der größte Unterschied.“

Man hat es auch den Vorberichten der ausländischen Journalisten entnehmen können: Die tschechische Mannschaft sei nur zweitklassig, denn sie habe keine Stars außer Torwart Petr Čech und Mittelfeldspieler Tomáš Rosický, der aber leider häufig verletzt ist. Daher könne man mit den Besten nicht mithalten. Mit Darida, Gebre Selassie und Kadeřábek hat Tschechien zumindest drei Spieler in der deutschen Bundesliga, die aber dort noch keine entscheidenden Rollen spielen, also keine Führungsspieler sind. Warum hat Tschechien nur so wenige Spieler im Ausland, im Gegensatz zu Ihrer Zeit?“ Gibt es denn neben der fehlenden Klasse nicht auch ein Mentalitätsproblem? Ich möchte hier nur an Spieler wie Jiráček, Petržela und Rajtoral erinnern, die von Pilsen aus in die Bundesliga gingen, aber dort nicht Fuß fassten. Oder an Michal Kadlec, der von Sparta Prag zu Bayer Leverkusen wechselte, dann aber in der türkischen Liga abtauchte. Fehlt es da nicht etwas an der Überzeugung, dass man sich gerade im Ausland weiterentwickeln und verbessern kann? Einer wie Pavel Nedvěd hat es schließlich vorgemacht, er ist in Italien zum Star gereift…

Tomáš Rosický  (Foto: Miroslav Bureš,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Auf diese Frage gibt es keine einfache und klare Antwort, nach der man sagen könnte: Das ist der Grund. Natürlich ist es auch eine Frage der Mentalität jedes Einzelnen. Doch ich glaube, das größte Problem an der Misere ist, dass unsere guten Spieler zu früh ins Ausland gehen. Und zwar deshalb, weil sie noch nicht reif und bereit dafür sind, in einem Verein der Bundesliga oder der Premier League in eine führende Rolle zu schlüpfen. Das ist sehr schwer. Die tschechische Liga ist nicht so stark. Dort haben unsere Besten nur vielleicht sechs, sieben schwere Spiele im Jahr zu bestreiten, und das ist zu wenig. Manchmal gewinnen sie durch die Champions League oder die Europa League an internationaler Erfahrung, so wie es früher bei Spielern von Sparta und Slavia Prag häufig der Fall war. Früher hatte deren Spieler schon reichlich internationale Erfahrung gemacht, auch durch eine ganze Reihe von Länderspielen. Als ich zum Beispiel ins Ausland gewechselt bin, hatte ich schon über 30 Länderspiele absolviert. Das ist der Unterschied. Denn heute ist das bei uns leider alles eine Frage des Geldes. Die Clubs müssen irgendwie überleben und deshalb verkaufen sie ihre Besten oft schon sehr früh nach dem Motto ´Gut ist alles, was laufen kann´. Das ist natürlich ein großer Fehler – und ein Problem, mit dem man leben muss. Eine Ausnahme war seinerzeit Tomáš Rosický, als er von Prag nach Dortmund ging. Doch er war schon mit 17, 18 Jahren ein Ausnahmetalent. Folglich war man sich gewiss: Er schafft das. Alle anderen aber waren oder sind in dem Alter noch nicht so weit.“

„Das größte Problem an der Misere ist, dass unsere guten Spieler zu früh ins Ausland gehen. Und zwar deshalb, weil sie noch nicht reif und bereit dafür sind, in einem Verein der Bundesliga oder der Premier League in eine führende Rolle zu schlüpfen. Das ist sehr schwer.“

Wenn man die Spielweise der tschechischen Mannschaft bei der EM in Frankreich mit ihrem Auftreten während der EM-Qualifikation vergleicht, dann muss man schon sagen: Die Mannschaft von Trainer Vrba hat bei der Endrunde enttäuscht ist weit unter ihren Möglichkeiten geblieben. Warum fehlte der Schwung aus der Qualifikation?

„Ich kann das im Moment auch nicht kapieren. Die Mannschaft hat wirklich schlecht gespielt und nicht alles gezeigt, was in ihr steckt. Zudem muss man leider auch festhalten, dass ein Rosický schon fast 36 Jahre alt ist und ein Čech 34. Damit muss man einerseits leben, andererseits müssen wir nun aber den altersbedingten Neuaufbau in den nächsten zwei, drei Jahren meistern. Wir müssen uns dazu neu aufstellen und junge Talente in den Kader einbauen.“

War das tschechische Team bei der EM wirklich optimal besetzt oder nicht? Oder lag das schwache Auftreten vielleicht auch an der Vorbereitung? Mir ist zu Ohren gekommen, dass die Ungarn ihre Meisterschaft extra früher beendet haben, um einen Monat lang gemeinsam für die Endrunde zu trainieren. Wie es jetzt aussieht, mit Erfolg, denn die Magyaren haben in Frankreich eine sehr positive Rolle gespielt. Hätten Sie sich eine solche Rolle auch von der tschechischen Mannschaft gewünscht?

„Ich glaube, am meisten hat es die Mannschaft belastet, dass es für 90 Prozent der Spieler das erste größere Turnier war. Die ganze Atmosphäre und Verantwortung, die dann auf sie einprasselte, haben sie schlicht und einfach nicht gemeistert.“

EM 1996  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Wenn wir einmal auf das bisherige Niveau der EM schauen? Wie ordnen Sie es ein? Und gibt es für Sie eventuell neue Trends zu beobachten?

„Was ich sehr positiv finde ist, dass alle Spiele ausverkauft sind und in den Stadien eine riesige Stimmung herrscht. Wenn ich das mit der EM 1996 in England vergleiche, bei der ich aktiv dabei war, dann muss ich sagen: Das ist ein Unterschied wie zwischen Tag und Nacht. Zudem ist festzuhalten: Der Fußball hat sich sehr schnell (weiter)entwickelt. Alle Spieler sind sehr schnell, sehr stark am Ball, und die Qualität der Begegnungen ist sehr hoch. Das ist besonders bei Partien mit der deutschen Mannschaft, den Spaniern, den Franzosen und den Kroaten der Fall, obwohl die Letztgenannten bereits jetzt die Heimreise antreten müssen. Da kann ich nur konstatieren: Es ist schon einiges passiert, in den letzten paar Jahren.“

Kroatische Mannschaft ist ausgeschieden  (Foto: ČTK)
Welche Teams haben Sie bisher am meisten überzeugt? Und wer wird für Sie Europameister beziehungsweise kommt mindestens bis ins Finale?

„Ich bin wie immer davon überzeugt, dass die deutsche Mannschaft wieder im Finale stehen wird. Ich bin sehr positiv überrascht von Italien. Das ist nach wie vor eine Turniermannschaft. Doch die größte Überraschung für mich war Kroatien. Nach deren Leistungen in den Gruppenspielen waren sie für mich ein Geheimfavorit, doch nun sind sie doch schon im Achtelfinale ausgeschieden.“

Autor: Lothar Martin
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