Pilsener Landkreis will im Wettbewerb der europäischen Regionen eine gute Rolle spielen
Der bevorstehende EU-Beitritt der Tschechischen Republik bestimmt schon seit Monaten das Denken und Handeln der hiesigen Wirtschaftskapitäne. In welcher Weise sich die regionalen Politiker und Wirtschaftsbosse aus dem Landkreis Pilsen einschließlich der westböhmischen Kreisstadt selbst im Vorfeld mit diesem auseinander gesetzt haben, damit befasst sich unser heutiges Wirtschaftsmagazin, das diesmal Lothar Martin für Sie ausgearbeitet hat.
Im Rahmen der populären Ausstellung "For Arch 2004", auf der sich in mehreren Großstädten der Tschechischen als auch der Slowakischen Republik bedeutende Firmen und Zulieferer aus der Baubranche präsentieren, veranstaltete die tschechische Gesellschaft ABF a.s. am 1. April in Plzen/Pilsen auch eine Wirtschaftskonferenz unter dem schlichten Namen "Europäischer Tag in Pilsen". Der erste wirklich europäische Tag, an dem auch die Arbeitgeber und Arbeitnehmer der bekannten Brauereistadt und des umliegenden Landkreises der Europäischen Union angehören werden, steht nun schon in rund zehn Tagen ins Haus. Was er sich von diesem Beitritt für sein Land und insbesondere für seine Region erwarte, dazu äußerte sich auf der Konferenz auch der Landeshauptmann des Landkreises Pilsen, Petr Zimmermann:
"Unser Beitritt zur EU öffnet uns die Barrieren, die es bisher gab, wenn auch noch nicht alle, wie z. B. bei der Freizügigkeit auf dem Arbeitsmarkt. Aber zumindest die Handelsbarrieren werden fallen. Ganz sicher aber bringt der Beitritt im weitesten Sinne des Wortes eine kulturvolle Komponente mit sich. Ich meine damit solche Dinge wie eine kultivierte Lebensweise, eine kultivierte Form der Verhandlungsweise im Geschäftsleben sowie eine kultivierte Art und Weise des Zusammenlebens und der demokratischen Entscheidungsfindung. Das erwarte ich ganz sicher und ich denke, das erwartet hierzulande auch die Mehrzahl derer, die für den EU-Beitritt gestimmt haben."
Er selbst, so Zimmermann, könne sich die EU eines Tages auch als die Vereinigten Staaten von Europa vorstellen. Vorstellungen ganz anderer Art und diesbezüglich auch ziemlich konkrete, formulierte der stellvertretende Bürgermeister von Pilsen, Miroslav Kalous, als er davon sprach, dass die Kreisstadt gut auf den Beitritt und die damit verbundenen Möglichkeiten bei der Ausschöpfung der europäischen Strukturfonds vorbereitet sei:
"Die Stadt Pilsen als solche ist, so denke ich, auf die Ausschöpfung und Nutzung der finanziellen Zuwendungen vorbereitet. Zum ersten, weil sie eine Vision hat, und die kommt im vorbereiteten und gebilligten Entwicklungsprogramm der Stadt zum Ausdruck. Die Mittel der Europäischen Union wollen wir hierbei insbesondere für die Verkehrsinfrastruktur nutzen. Mit Hilfe dieser Gelder wollen wir zum Beispiel den Bestand an Fahrzeugen und Technik der städtischen Verkehrsbetriebe modernisieren und damit eine Revitalisierung einleiten. Außerdem wollen wir weitere Entwicklungszonen schaffen."
Zur Realisierung von klar definierten Entwicklungsprojekten steht der Tschechischen Republik im laufenden Drei-Jahres-Turnus von 2004 bis 2006 ein nicht unerheblicher Milliardenbetrag aus Brüssel zur Verfügung. Der beim "Europäischen Tag" in Pilsen weilende EU-Vertreter, der Niederländer Pascal Boijmans, machte die Konferenzteilnehmer mit dessen Höhe vertraut:
"Es handelt sich um etwas mehr als 2,6 Milliarden Euro, mit denen die Tschechische Republik der drittgrößte Subventionsempfänger unter den neuen Mitgliedsländern nach Polen und Ungarn ist."
Dass die Vergabe der Mittel aus den europäischen Strukturfonds jedoch an ganz konsequent vorgegebene und kontrollierte Auflagen geknüpft ist, die es einzuhalten gilt, dies machten sowohl Boijmans als auch die Beamtin des tschechischen Ministeriums für regionale Entwicklung, Vera Jourová, in ihren Vorträgen immer wieder deutlich. Jourová ist dabei in Vorbereitung des tschechischen EU-Beitritts sowie der sich anschließenden Etappe für die Durchsetzung des so genannten Gemeinschaftlichen regional-operativen Programmes (SROP) verantwortlich. Was es mit diesem Programm auf sich hat, dazu sagte Vera Jourová:
"Das Gemeinschaftliche regional-operative Programm ist ein Programm, über das wir hinsichtlich der besseren Ausschöpfung der Fonds derzeit mit der Europäischen Kommission verhandeln. Dieses Programm, in dem die strategischen Ziele für die regionale Entwicklung definiert werden, sollte uns den Zufluss von 450 Millionen Euro sichern."
Einzelne, in der Region um Pilsen angesiedelte Großbetriebe haben die europäische Integration schon zu einem guten Stück vollzogen. Dazu zählt die Firma Lasselsberger, die sich aus dem Zusammenschluss der bis dahin existierenden tschechischen Keramikbetriebe rekrutiert hat und die sich bereits zu den "Big-Playern" auf dem europäischen Markt - insbesondere auf dem mittel- und südosteuropäischen Markt - zählt. Wie sich sein Unternehmen den "Weg nach Europa" quasi schon selbst gebahnt hat, dazu erklärte der Vorstandsvorsitzende der Aktiengesellschaft Lasselsberger, Josef Pavelka:
"Unser Weg nach Europa bedeutet nicht nur, dass wir auf den umliegend regionalen und den etwas weiter entfernt liegenden inländischen Märkten flächendeckend präsent sind, sondern dass wir heute bereits medial und gedanklich im Bewusstsein der Verbraucher verankert sind. Ein gutes Beispiel dafür ist, dass heute am 1. April in drei Beitrittsländern der zukünftigen Europäischen Union, in der Tschechischen Republik, in Polen und in der Slowakei, eine umfangreiche Aktion gestartet wird, bei der wir das so genannte Lasselsberger Keramik-System vorstellen wollen."
Was die Großkonzerne in Pilsen und Umgebung, wie Lasselsberger oder die europaweit bekannte Urquell-Brauerei anbelangt, da hat man längst europäischen Boden betreten und ist dick im Geschäft. Weniger optimistisch hingegen äußerte sich der Vorstandsvorsitzende der Handelskammer des Landkreises Pilsen, Zdenek Muzík, was die seiner Meinung nach sich mit dem EU-Beitritt verschärfende Situation der hiesigen Kleinunternehmer und Mittelständler betrifft:
"Wir rechnen mit Problemen, und zwar in der Hinsicht, dass sich die Konkurrenz erheblich erhöht, insbesondere durch die klein- und mittelständischen Unternehmen aus Bayern. Bisher hatten sie sich noch nicht in Tschechien niedergelassen aus Furcht vor der tschechischen Gesetzgebung, die ihnen zu wenig Rechtssicherheit zu geben schien. Bisher hatten sich nur Großunternehmen nach Tschechien gewagt, weil sie das nötige Geld dafür aufbringen konnten, ihre Vertragsbeziehungen rechtlich überprüfen und absichern zu lassen. Ab dem 1. Mai werden aber auch die kleinen und mittleren Firmen diesen Schritt vollziehen, weil sie dann die gleichen Rechte haben wie auf dem bisherigen EU-Gebiet. Der massive Zulauf dieser Firmen wird daher zum Problem für die örtlichen Unternehmer."
Um diesem Konkurrenzdruck gewachsen zu sein, will der Landkreis Pilsen - ganz nach dem Vorbild der angrenzenden bayerischen Regionen Oberpfalz und Niederbayern - seine Mittelständler und Kleinunternehmer mit Hilfe des Aufbaues von Clustern unterstützen. Diese Cluster sollen nichts anderes als "ein spezialisiertes, oftmals branchenübergreifendes Netzwerk von Unternehmen und unterstützenden Einrichtungen in einer Region" darstellen. Dass der Pilsener Landkreis, der über große mittelständische Traditionen auf dem Gebiet des Maschinenbaues verfügt, dafür geradezu prädestiniert erscheint, das wusste mir in einem Gespräch für Radio Prag Zdenek Vacík, der Leiter der Abteilung strategisches Marketing des Landkreises, zu sagen:
"Der Pilsener Landkreis liegt zwar nicht nach Prag, aber nach dem Mittelböhmischen Landkreis an zweiter Stelle bei der Bildung des Bruttoinlandsproduktes. Das ist ein Fakt, der nicht wegzudiskutieren ist, und daher denken wir, dass wir ein großes unternehmerisches Potenzial haben, das es gilt, effektiv zu nutzen. Wir haben hierbei letztlich die Vorstellung, eine Brücke zwischen den gefestigten und neu zur EU stoßenden europäischen Regionen sein zu können. Und was die tschechischen Regionen anbelangt, so sprechen wir im gemeinsamen Europa schon nicht mehr über Staaten, sondern vom Wettbewerb der Regionen."
Und in diesem Wettbewerb wollen die Menschen aus dem Landkreis Pilsen gemeinsam mit ihren Partnern aus Niederbayern und der Oberpfalz recht bald eine führende Rolle in Europa spielen.