Poesie dominiert tschechische Buchpreise Magnesia Litera
Anfang dieser Woche wurden die tschechischen Literaturpreise Magnesia Litera vergeben.
Der Hauptgewinner des Literaturwettbewerbs Magnesia Litera ist Miloš Doležal mit seinem Gedichtband „Jana bude brzy sbírat lipový květ“ (auf Deutsch: „Jana wird bald Lindenblüten pflücken“). Zum ersten Mal seit 2009 und erst zum zweiten Mal insgesamt gehört das Buch des Jahres zur Poesie. Der Dichter Miloš Doležal setzt sich darin mit dem Tod seiner Frau Jana auseinander. Sie starb unerwartet im Juni 2021:
„Damals hat uns niemand gewarnt, kein Engel hat uns in der Nacht gesagt, dass es am nächsten Tag passieren würde. Ich habe es von Gott als Rebellion wahrgenommen, als Dolch im Rücken, als Schlag mit dem Hammer auf den Kopf. Ich habe nicht verstanden, wie das möglich war.“
Soweit der Dichter, Schriftsteller und ehemalige Mitarbeiter des Tschechischen Rundfunks Miloš Doležal über den Tag, an dem seine Frau starb.
„Es hat mir sehr geholfen, dies irgendwie festzuhalten und mit Hilfe der Poesie gegen den Tod und die Sterblichkeit anzukämpfen. Ich erkannte, dass die Literatur, insbesondere die Poesie, ein feinfühliges Medium ist, das so belastende Themen wie den Tod eines geliebten Menschen ansprechen kann.“
Jedes Gedicht in dem Band ist mit einem konkreten Datum versehen:
„Die Datierung ist wichtig. Ich habe die Gedichte tatsächlich an jenen Tagen geschrieben. Es war keine Therapie, es war eher ein Bedürfnis, damit zu leben, damit zu sein und nicht wie im Albtraum zu leben. Die Literatur war für mich damals vielleicht ein Geländer oder ein Stock, auf den ich mich gewissermaßen stützen konnte.“
Er habe die Verse in jenen Nächten in Grundzügen niedergeschrieben, in denen er nicht schlafen konnte, sagt Doležal. Zunächst dachte der Dichter, die Texte könnten für seine Kinder interessant sein. Letztlich wurde er von seinem Freund, einem Literaturwissenschaftler und Verleger des Bandes, überzeugt, sie zu veröffentlichen.
Auseinandersetzung mit Tod geliebter Frau
Die Jury von Magnesia Litera, dem wichtigsten tschechischen Literaturpreis, hat das Werk nun zum Buch des Jahres gekürt. Jury-Mitglied Roman Polách begründet die Wahl:
„Die Gedichtsammlung von Miloš Doležal ist durch die tragischen Umstände ihrer Entstehung einzigartig, das heißt den Tod seiner Frau. Auf dieser Grundlage entsteht eine strukturierte Gedichtform. Im Band mischen sich gebundene und freie Verse, das Leben, der Tod, die Träume und der Alltag, so stehen die Grenzsituationen im menschlichen Leben etwa neben der Gartenarbeit. Diese Verbindung macht die Sammlung sehr stark. Sie vermittelt das, was in der Poesie am wichtigsten ist: Der Autor teilt mit uns seine individuelle Betrachtung der Welt, und zwar nicht nur in Dingen des Alltags, sondern auch seine Begegnung mit dem Tod, der als natürlicher Bestandteil unseres Lebens dargestellt ist.“
Während also ein Gedichtband den Hauptpreis bekam, ist der Gewinner in der ansonsten meistbeachteten Kategorie „Prosa“ ein desillusionierendes Buch über den Alltag und die menschlichen Schwächen. „Čistý, skromný život“ (auf Deutsch: „Reines, bescheidenes Leben“) heißt der Band, es ist die zweite Kurzgeschichtensammlung des Dichters Viktor Špaček:
„Es ist eine Reflexion des Lebens als solchem, so wie wir es wahrnehmen und täglich gewissermaßen philosophisch betrachten. Ich habe mich schon in meinen Gedichten auf dieses Thema konzentriert, vor allem in meinem zweiten Gedichtband. Und nun knüpfe ich in den Erzählungen daran an, nutze dabei aber die Mittel der Prosa, die anders als bei Gedichten sind“, erläuterte der Autor selbst.
Ivana Myšková war Jury-Mitglied in dieser Kategorie:
„Für mich sind es bravourös geschriebene Texte. Die bilden ein Ganzes. Das sollte zwar zum Handwerk jeden Autoren gehören, aber in der tschechischen Gegenwartsliteratur ist dies nicht selbstverständlich. Vor allem sind die Erzählungen aber wahrhaftig, geschrieben mit dem nötigen Abstand, aber auch mit großer Trauer. Der Autor spießt damit die Partnerschafts- und Familienbeziehungen auf. Er fürchtet sich nicht davor, männliche Schwächen zu zeigen und in ihnen herumzustochern. Dies mag wohl rücksichtslos gegenüber den Figuren erscheinen, aber die Literatur sollte auf Hühneraugen treten.“
Weltumsegelung in Versen
Der Preis in der Kategorie „Poesie“ wurde dem Dichter Petr Hruška verliehen. Bereits 2013 war er für den Magnesia Litera vorgeschlagen worden, und zwar für seine Sammlung „Darmata“, für die er später den Staatspreis für Literatur erhielt. Das diesjährige preisgekrönte Buch „Spatřil jsem tvou tvář“ (auf Deutsch „Ich sah dein Gesicht“) erinnert an die erste Weltumsegelung vor 500 Jahren und präsentiert in 40 Gedichten das tragikomische Bild einer fiktiven Reise. Warum hat dieses Thema Petr Hruška angesprochen?
„Ich hatte einfach Lust, um die Welt zu fahren. Und da die Mittel, die ich habe, nicht einmal dafür ausreichen, auf anständige Weise Wien zu besuchen, musste ich diese Reise erfinden. Gleichzeitig hat mich ein Bericht über Ferdinand Magellans Weltumsegelung vor 500 Jahren inspiriert. Zu seiner phänomenalen Entdeckungsreise existiert eine etwa 100 Seiten lange Niederschrift von Antonio Pigafetta, die ich gelesen habe. Dabei habe ich festgestellt, dass Pigafetta – ohne es zu beabsichtigen – ein großes literarisches Werk verfasst hat. Zudem wurde mir bewusst, dass das Bild vom menschlichen Handeln und dem Zustand der Welt vor 500 Jahren kaum anders war als heute. Ich habe darin das Tragikomische, das Bizarre, das Elend und die Großartigkeit der heutigen Zeit erkannt. Das hat mich ausreichend erschüttert, um weiter nachzudenken. Das war die Genesis der Gedichtesammlung.“
Erstmals Preis für Autor aus der Roma-Minderheit
Ein traditioneller Teil des Wettbewerbs ist auch der Preis für das Debüt des Jahres. Dieser ging an das autobiografische Buch des Journalisten, Musikers und Moderators Patrik Banga, es heißt „Skutečná cesta ven“ (auf Deutsch „Der wahre Ausweg“). Damit ist Banga auch der erste Autor der Roma-Minderheit, der mit dem Magnesia Litera ausgezeichnet wurde. In seinem Buch beschreibt er seine Jugend in den 1990er Jahren und den Konflikt zwischen seinem persönlichen Nonkonformismus und dem Gefühl der Ausgrenzung, des Desinteresses und der Diskriminierung durch seine Umgebung. Der heute 41-jährige Patrik Banga schildert, wie er seinen Weg aus dem Umfeld eines Roma-Stadtviertels in Prag in die Welt der Medien fand, und wie schwierig es war, den Vorurteilen gegenüber Roma zu entkommen.
„Ich habe den Text bereits vor 20 Jahren geschrieben. In der Corona-Zeit konnte ich – wie auch viele weitere Autoren – die Zeit nutzen und ihn komplett überarbeiten. Denn die Version, die ich damals geschrieben hatte, war so stark aktivistisch, dass sie sich nicht veröffentlichen ließ. Ich habe sie nun an die Sprache der Gegenwart angepasst und einige heutige Probleme mit hineingenommen.“
Vor über 20 Jahren habe ihn ein Freund dazu bewogen zu schreiben, sagt Banga:
„Wir waren 1999 zusammen in Jugoslawien, und ich habe ihm damals erzählt, was ich in den 1990er Jahren im Prager Stadtviertel Žižkov erlebt habe. Er drängte mich, dies niederzuschreiben, denn bis dahin gab es keine entsprechenden Schilderungen. Der Motor war also, die damalige Zeit festzuhalten. Und leider – oder Gott sei Dank – hat es so lange gedauert.“
Die Literaturpreise wurden in insgesamt 13 Kategorien vergeben. Außer den bereits erwähnten gehörten dazu auch die Bereiche Fachliteratur, Publizistik, Übersetzung und Verlagsleistung sowie neu auch Krimi und Fantasy. Nicht zuletzt wurde ein neuer Preis für Leistungen für die Kultur des Buches verliehen, und zwar an Adolf Knoll von der Nationalbibliothek. Er wurde für seinen Beitrag zur Digitalisierung von Manuskripten, alten Drucken und Zeitungen und deren breite Bereitstellung für die Öffentlichkeit ausgezeichnet.