Politik 2019: Skandale und Jahrestage
Politisch hätte das Jahr 2019 recht gelassen sein können, denn gewählt wurde lediglich das Europaparlament. Doch sorgten Skandale rund um Premier Babiš für viel Empörung und sogar die größten Massenproteste seit 1989. Außerdem sorgten der Kulturminister und die Kriegswaisen aus Syrien für stürmische Debatten. Ein politischer Jahresrückblick.
Agrofert und Storchennest
Auch in diesem Jahr war der Dauerskandal von Premier Andrej Babiš rund um seinen Ex-Konzern Agrofert eines der größten Themen in der Politik. Der Ano-Chef wurde angesichts des Betrugsvorwurfs wegen der EU-Förderung an seine Unternehmen nicht müde zu betonen:„Mit allen Mitteln will ich gegen diese Desinformationen kämpfen. Tschechien wird keine Fördermittel zurückgeben, ich sehe nicht den geringsten Grund dazu.“
Dennoch ließen die Gegner des Premiers nicht locker und förderten immer mehr Details ans Licht. Unter anderem machten Investigativjournalisten in der Schweiz Babišs Sohn aus erster Ehe ausfindig, der vor allem in die Storchennest-Causa verwickelt sein soll. Dieser wurde schnell zum Gegenstand von Diskussionen, einerseits wegen seiner psychischen Krankheit, andererseits wegen einer mutmaßlichen Entführung auf die Krim. Zwischenzeitlich konnte der Regierungschef im Fall Storchennest aufatmen, denn die Prager Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen ein. Im Dezember kam jedoch der Rückschlag, denn der Oberstaatsanwalt ordnete an, die Untersuchungen wieder aufzunehmen.
Doch damit nicht genug, denn zudem sorgte ein Audit-Bericht der Europäischen Kommission bei Babiš für Schweißausbrüche. Demnach ist Brüssel der Ansicht, dass, sich der Premier wegen der EU-Förderung an dessen Ex-Konzern Agrofert in einem Interessenskonflikt befindet. Obwohl er diesen im Jahr 2017 an zwei Treuhandfonds überschrieben hat, soll Babiš dennoch die Kontrolle darüber haben. Bei der Kommission hält man das für unvereinbar mit seinem Amt als Premier. Die endgültige Version des Rechnungsprüfungsberichts liegt zwar vor, die zuständigen Ministerien wollen aber weiter gegen das Papier ankämpfen.Europa
Im Mai standen auch in Tschechien die Wahlen zum Europäischen Parlament ins Haus. Wie gewohnt stieß diese nur auf geringes Interesse, denn lediglich knapp 29 Prozent der Wähler gingen tatsächlich an die Urnen. Gewonnen hat mit leicht über 21 Prozent die Partei Ano von Premier Babiš. Diese stellt auch weiterhin den tschechischen EU-Kommissar, und der Posten ging wie schon in der vergangenen Legislaturperiode an Věra Jourová. Für sie hatte sich Babiš eigentlich ein starkes wirtschaftliches Ressort gewünscht, am Ende bekam Jourová den Posten als Kommissions-Vizepräsidentin und den Aufgabenbereich „Transparenz und europäische Werte“:„Darauf freue ich mich, und das lese ich aus meinem Aufgabenkatalog heraus: Ich werde auf keinen Fall viel in meinem Büro sitzen. In meinem Portfolio wird vor allem betont, dass unsere Arbeit den Europäern verständlich gemacht werden muss. Sie müssen einfach verstehen, warum wir die Demokratie brauchen und für Menschenrechte kämpfen müssen. Das kann man aber schlecht vermitteln oder – etwas salopp gesagt – verkaufen, wenn man an seinem Schreibtisch bleibt.“
Stark schnitten bei der Europawahl die Piraten ab, und auch die Bürgerdemokraten konnten sich über ihr Ergebnis nicht beschweren. Eine Ohrfeige bekamen jedoch die Sozialdemokraten, die in den kommenden fünf Jahren keinen einzigen Abgeordneten in Straßburg haben werden.Kulturminister
Der Mai brachte die Regierung aus Partei Ano und Sozialdemokraten an den Rand des Zusammenbruchs. Grund dafür war der Streit um den Posten des Kulturministers. Der damalige Ressortchef Antonín Staněk (Sozialdemokraten) hatte die Prager Nationalgalerie und die Galerie in Olomouc / Olmütz unter die Lupe genommen. Ein Audit deckte Unregelmäßigkeiten in den Ausstellungshäusern auf. Als Konsequenz mussten die Galerie-Chefs, Jiří Fajt und Michal Soukup, ihren Hut nehmen. Doch gerade diese Entscheidung rächte sich für Staněk, denn vor allem Fajt ist in Künstler- und Galeristenkreisen außerordentlich beliebt. Es regte sich Widerstand, und Staněk musste sein Amt schließlich aufgeben. Staatspräsident Miloš Zeman wollte den Rücktritt des Ministers aber lange nicht annehmen:
„Ich will nicht, dass ein Minister entlassen wird, weil er Unregelmäßigkeiten im Zuständigkeitsbereich seines Ressorts aufgedeckt hat.“Die Causa zog sich über mehrere Monate hin, und zahlreiche Bewerber für den Posten lehnte Zeman schon im Vorfeld ab. Am Ende konnte man sich auf den ehemaligen Außenminister Lubomír Zaorálek (Sozialdemokraten) als Kompromisskandidaten einigen.
Proteste
Doch zurück zu den Skandalen rund um Premier Babiš. Im Sommer tauschte der Regierungschef seinen Justizminister aus, just einen Tag nachdem die Polizei neue Ermittlungen wegen der Causa Storchennest angekündigt hatte.
Dem jungen Polit-Aktivisten Mikuláš Minář platzte da der Kragen, und er organisierte ab dem Frühjahr Großdemonstrationen gegen die Regierung. Erst bekam seine Initiative „Eine Million Augenblicke für die Demokratie“ den Prager Wenzelsplatz voll, im Juni schließlich brachte sie rund 250.000 Menschen auf die Letná-Anhöhe. Das war die größte Demonstration in Prag seit der Samtenen Revolution 1989:„Es geht nicht nur um die Justiz. In unserem Land müssten viele wichtige Dinge angegangen werden. Doch die Regierung kümmert sich nicht darum, weil der Premier zu sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt ist. Es kann nicht sein, dass eine Person, gegen die die Polizei ermittelt, unser Regierungschef ist. Babiš ist ein ehemaliger Agent des kommunistischen Geheimdienstes, ein Oligarch, der Medien besitzt und mehrere Hundert Millionen Kronen an Fördergeldern aus der Tasche der Steuerzahler kassiert. Wir werden nicht so tun, als ob all das normal wäre. Wir fordern den Rücktritt von Andrej Babiš!“
So Mikuláš Minář im Juni vor versammelter Menschenmenge.Das Ganze wiederholte sich schließlich am 16. November, also am Vorabend des 30. Jahrestages der Samtenen Revolution. Auch da kamen wieder über 200.000 Menschen auf die Letná-Anhöhe.
Flüchtlinge
Auch in diesem Jahr hat sich die tschechische Haltung zur Aufnahme von Flüchtlingen nicht geändert. Nach wie vor bleibt das Land hart und will keinen reinlassen. Doch könnte Babiš mit seinem Standpunkt 2019 Magenschmerzen bekommen haben. Denn einerseits schob die Europäische Kommission ihre Klage gegen Tschechien wegen der Ablehnung der EU-Flüchtlingsquoten aus dem Jahr 2016 an. Andererseits brachte ein Vorschlag der Europaabgeordneten Michaela Šojdrová die Regierung in Bedrängnis. Die Christdemokratin wollte und will 40 syrische Kriegswaisen aus griechischen Flüchtlingslagern nach Tschechien holen, die Koalition aus Ano und Sozialdemokraten lehnt dies jedoch bis heute ab. Premier Andrej Babiš machte unter anderem in der Tageszeitung Právo deutlich, Zitat:
„Warum sollten wir sie aufnehmen? Wir haben auch bei uns Waisenkinder, die wir auf das Leben vorbereiten müssen. Meine Stiftung hat da schon viel investiert. Außerdem helfen wir vor Ort in Syrien mit unseren Experten und Ärzten. So haben wir unter anderem in Tschechien schon 2500 Patienten behandelt, darunter viele Kinder.“Ein Ersatzplan von Babiš, ein Kriegswaisen-Zentrum in Syrien zu bauen, ist jedoch im Herbst gescheitert. Deshalb schwelt weiter der Streit in dieser Angelegenheit.
Erinnerung an 1989
Im Herbst kam man schließlich nicht um die Erinnerung an den 30. Jahrestag der Wende herum. Erster großer Akt waren dabei die Gedenkveranstaltungen zur Flucht von mehreren Tausend DDR-Bürgern über die Prager Botschaft der Bundesrepublik in den Westen. So erinnerte sich beispielsweise der ehemalige Kanzleramtsminister Rudolf Seiters. Er war im September 1989 direkt neben Bundesaußenminister Hans Dietrich Genscher bei dessen berühmter Rede auf dem Balkon der Vertretung gestanden:„Es war praktisch der erste Stein, der aus der Mauer gebrochen wurde. Die Hilfslosigkeit der DDR-Führung war ja klar erkennbar. Sie hatte sich wochenlang geweigert, die Realitäten zur Kenntnis zu nehmen. Ost-Berlin drängte immer darauf, dass wir unsere Botschaften schließen, doch das haben wir abgelehnt.“
Höhepunkt des Jubiläums-Herbstes waren schließlich die Feiern am 17. November in Prag und anderen Städten Tschechiens. Premier Babiš dankte im Nationalmuseum den Studenten und Dissidenten für ihren Verdienst um die Demokratie bei den Protesten vor 30 Jahren. Und das mit viel Selbstkritik:
„Wie Sie alle wissen, war ich Mitglied der Kommunistischen Partei. Ich bin nicht stolz darauf. In jener Zeit war ich nicht so mutig und engagiert wie Václav Havel. Außerdem war ich im November 1989 überhaupt nicht in der Tschechoslowakei. Heute stehe ich aber hier, als demokratisch gewählter Premier unseres Landes – und dafür will ich Dankbarkeit und Demut zeigen.“Doch bei der Erinnerung an die Samtene Revolution ging es natürlich nicht nur um die Ereignisse von damals. Auch die aktuelle Politik war ein Thema.
So wurde Premier Babiš bei der Kranzniederlegung in der Nationalstraße erneut ausgepfiffen. Jedoch nicht nur wegen seiner jetzigen Skandale, sondern vor allem für seine mutmaßliche Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Geheimdienst StB.